Michael Schwingenschlögl

Schöttau - Ein Heimatdrama


Скачать книгу

Schuldigen: den Wilderer natürlich.

       Am nächsten Tag dachte man, Schöttau befindet sich im Krieg. Der Johann und der Graf hatten völlig den Verstand verloren und drückten jedem eine Waffe in die Hand, der eine tragen konnte. Heeresführer Johann schickte seine Truppen tagelang in die Berge und Wälder, aber sie fanden weder einen Wilderer noch ein weiteres gewildertes Vieh.

       Jetzt hätte man meinen können, dass die ganzen friedvollen Männer mit ihren Schießeisen und die extrem aufgeheizte Stimmung, einen schlechten Eindruck auf die Touristen machten. Vor allem der Ludwig vertrat diese Meinung und sah schon sein geliebtes Geld in der Enns davonschwimmen.

       Doch das Gegenteil trat ein. So wie wir, war auch ein Großteil der Gäste von diesem uralten, epochalen Kampf Weidmann gegen Wildschütz fasziniert. Die gute, alte Heimatromantik zeigte sich von ihrer kitschigsten Seite, heureka!

      Bis Mitte Juni dauerte dieses Theater an und als man da noch nicht einmal den Hauch einer Spur hatte und in all der Zeit kein Tier mehr illegal geschossen wurde, kam der Graf zu der Erkenntnis: „Der Sauhund wollte mir nur meine schöne Maijagd ruinieren!“

       Der Johann stimmte dem zu und berief seine radikalen Jagdisten wieder ab. Obwohl, den Wilderer hätte er schon gerne geschnappt, denn er war der unangefochtene Herr im Schöttauer Tal, vor allem was die Jagd betraf. Das bestritt er auch nie, aber der Feind war schon lange auf und davon.

      Nach ein paar Tagen zog der traute Frieden wieder ein und der Johann gönnte sich eine feine Gamsbockjagd. Endlich konnte er wieder selbst ein Wildvieh schießen und musste nicht den bereits geschossenen Tierlein hinterherjagen. Hoch oben am Schöttauer Joch, sah er ein Prachtexemplar und visierte es sofort an. Just in jenem Moment, in dem er gerade den Abzug betätigen wollte, erschien in der Ferne eine schwarze Gestalt und schoss den Bock zuerst. Ehe es der Johann überhaupt realisieren konnte, war das dunkle Geschöpf auch schon wieder verschwunden. Sofort hetzte unser Freund hinterher. Wie der eben gewilderte Gamsbock in besseren Tagen, sprang er durch die Felsen, aber er hatte keine Chance, der garstige Wilderer war längst schon über alle Berge.

       Das verstand der Johann als einen persönlichen Angriff auf ihn und er rief wieder den Krieg aus.

      Nun drohte die Situation komplett zu eskalieren. Der Johann hatte seinen Verstand in die Enns geschmissen und drehte völlig am Rad.

       Kennt ihr dieses Bild aus den alten Westernfilmen, wo man die schwarzen Silhouetten von ein paar Outlaws sieht, wie sie gerade mit dem Gewehr auf der Schulter Richtung Sonnenuntergang in die Schlacht schreiten?

       Haargenau so sah es aus, als der Johann, der Graf, der Brenner Karl und ein paar andere Jäger wie der Pichler Wilhelm und der Ortner Franz, wieder loszogen, um den Feind in die Knie zu zwingen.

       Zum Glück wussten unsere Freunde damals nicht wirklich über den Wilden Westen Bescheid, sonst wäre Schöttau vermutlich voll von diesen „Wanted – Dead or Alive“ Steckbriefen gewesen.

      Das ganze Spiel wiederholte sich von vorne. Als sich die Lage nach ein paar Wochen wieder entspannte, ging der Johann erneut auf die Pirsch. Wieder erschien ihm in der Ferne eine schwarze Gestalt, wieder schoss sie ihm einen Gamsbock vor der Nase weg und wieder verschwand sie spurlos.

      Was dann kam, könnt ihr euch sicherlich vorstellen, oder?

      Dieses Katz- und Mausspiel zog sich bis in den Herbst hinein und der bitterböse Wildschütz wurde dabei immer frecher. Er war ein schlaues Kerlchen und wusste, wer wo und wann patrouillierte. Das nutzte er selbstverständlich aus, wilderte fröhlich vor sich hin und hielt alle Jäger zum Narren.

      Wie bitte? Wie das mit der Falle vom Pichler Wilhelm genau war?

       Nun ja, wollt ihr seine Version hören oder die Wahrheit?

       Die Wahrheit? Perfekt.

      Der Pichler Wilhelm hatte an einem wunderschönen Spätsommertag einen fürchterlichen Streit mit seiner Frau. Daraufhin trank er eine beängstigende Menge Schnaps und kam dabei auf die glorreiche Idee, im Vollsuff nach dem Wilderer zu suchen. Mit dem schussbereiten Schießgewehr in der Hand, torkelte er durch die herrlichen Bergwälder der herbstlichen Abendsonne entgegen.

       Der durch den vielen Vogelbeerschnaps schon stark beeinträchtigte Gleichgewichtssinn, brachte ihn zusammen mit der Schützenhilfe des holprigen Steigs, nach langem Kampf, schlussendlich doch zu Fall. Als Zugabe, schoss er sich bei diesem Kunststück dann noch selbst ins Knie. Da dies jetzt nicht die epische Heldengeschichte war, die man gerne seinen Freunden am Stammtisch erzählt, dichtete er sie einfach ein wenig um. Wieder so ein Abenteurer, der etwas ins Knie bekam.

       That's it, es gab also nie eine Falle, der Wilderer schoss ihm auch nicht in sein Beingelenk und irgendwelche Drohungen sprach er auch nie aus. Es war alles nur ein Märchen!

      Was? Nein, ich kenne keine „Märchenstunde“.

       So, zurück zu unserem lieben Wildschütz.

      Der Johann brannte weiter vor Wut, in seinem Tal war kein Platz für einen Wilderer. Niemand wagte es, in seinem Tal zu wildern. Niemand wagte es, sich ihm entgegen zu stellen. Er war der Johann und er war der Herr. Den ganzen Herbst lang waren seine Gedanken nur auf ihn gerichtet, auf ihn und seine blutige Rache an ihm. Tagelang kam er nicht nachhause, übernachtete wie Bear Grylls in der Wildnis und suchte jede einzelne Sekunde nach seinem Erzfeind. Nicht einmal die ersten Schneefälle konnten ihn davon abbringen. Frei nach Wolfgang Ambros: Er hatte sich seit 10 Tagen nicht mehr rasiert und auch nicht mehr gewaschen.

       Nur hatte er eben keine Flasche Rum in der Manteltasche.

       „Johann, so bleib doch einmal da! Wo soll denn das alles enden?“, sagte seine Frau, die liebe Anna, zu ihm, als er sich mit ungepflegtem Look nach ewigen Zeiten wieder einmal daheim blicken ließ.

       Ihr rachsüchtiger Mann atmete tief durch und entgegnete ihr mit einem bösartigen Feuer in seinen Augen und in seinem Herzen: „Ich muss ihn finden und töten, ich muss, ich kann nicht anders. Er hält uns seit fast einem halben Jahr zum Narren, er hat mir zwei Böcke vor der Nase weggeschossen, in meinem Tal! Ich werde ihn finden und ich werde über ihn richten!“

       Die Anna schlug ihre Hände zusammen und sagte: „Du hast ja völlig den Verstand verloren!“

       Den hatte er tatsächlich verloren, der Johann. Er nahm eines der zahlreichen Bilder mit dem Erzherzog Johann darauf von der Wand und hielt es seiner Frau vor die Nase.

       „Wenn das der Erzherzog noch erleben würde, durchdrehen würde er!“, sagte der Johann.

       Seine Frau schüttelte den Kopf und meinte: „Jetzt lass doch den armen Erzherzog in Frieden!“

       Ihr Mann hängte das Bild wieder zurück an die Wand, ging zum Fenster und sagte: „Irgendwo da draußen ist er und ich werde ihn finden und zur Strecke bringen.“

       Obwohl die dunklen Höllenflammen in ihm loderten, behielt er bei seiner Drohung eine stoische Ruhe und blickte dabei starr in die Berge.

       „Du hast kein Recht dazu, du kannst ihn nicht einfach töten.“, meinte seine verängstigte Gemahlin.

       Der Johann sah sie mit eiskaltem Blicke an und sprach ernst: „Ich allein habe das Recht.“

       Dann verschwand er und ward nicht mehr gesehen.

      Seine krankhafte Suche wurde schlussendlich in einem Moment des Zufalls belohnt.

       Am 3. Dezember 1898 unternahmen der Johann und der Brenner Karl eine kleine Winterwanderung durch die Schöttauer Berge. Als hätte es der Johann geahnt, nahm er sein Gewehr mit.

       Die beiden Wandersburschen standen oben auf der Leitnermauer und genossen bei einem zarten Lüftchen die herrliche Aussicht über das verschneite Dachsteinland. Ein traumhaftes Bild, wie der große, in weiße Kleider gehüllte, König mit seiner steinernen Krone friedlich vor sich hinschlummerte. Bis ans Ende ihrer Kimmung glitzerte der Schnee bezaubernder als alle Diamanten dieser Welt.

       Plötzlich entdeckte der Brenner Karl unten am Wandfuß eine Gestalt in schwarzem Lodengewand, die sich langsam durch den Schnee von der Wand entfernte.

       Der Karl tippte dem Johann auf seinen stattlichen Oberarm und deute mucksmäuschenstill