Michael Schwingenschlögl

Schöttau - Ein Heimatdrama


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Kollegen in der grauen Trübung verschwand.

      „Ich brauche sofort einen Schnaps, sonst überlebe ich den Tag nicht.“, sagte der verschwitzte Ludwig zum Grafen und der Pfarrer schloss sich diesem Wunsch natürlich an: „Ich auch!“

       „Sauft nicht immer so viel, wir brauchen einen klaren Kopf! In drei Wochen werden wieder mehr Gäste kommen und da können wir so einen Wildschütz nicht gebrauchen! Letztes Jahr haben das die Leute noch lustig gefunden, aber es wirft kein gutes Licht auf uns, wenn dauernd irgendwelche Wilderer durch unser Land ziehen.“, meinte der überhaupt nicht erfreute Johann.

       „Da hat er recht.“, sagte der Graf und fragte noch: „Was sollen wir denn da jetzt machen?“

       „Du lässt nun einmal von deinen Leuten den depperten Kopf da entfernen. Und wir machen uns auf die Suche, irgendwo wird ja schließlich noch der Rest von dem Vieh herumliegen.“, antwortete der Johann.

       „Ist das derselbe gewesen, der dem Ludwig den komischen Zettel geschrieben hat, oder waren das doch nur die Jamminger Buben und das hier mit dem Gamsbock ist das Werk von einem Verrückten?“, fragte der Graf.

       Da war sich niemand zu hundert Prozent sicher, aber einen Zusammenhang hielten doch alle für wahrscheinlich.

       Nun standen sie vor dem Gamskopf, die mächtigsten Männer aus Schöttau, und blickten ungewohnt ratlos drein. Normalerweise waren sie Weltmeister darin, ungute Sachen relativ unkommentiert unter den Teppich zu kehren. So wie man das eben in Österreich macht, aber irgendetwas war dieses Mal anders.

      Während das böhmische Personal des Grafen den ungustiösen Kopf von der Türe entfernte, sagte der Johann: „Karl, du gehst in die Stadt und trommelst alle Jäger zusammen, jeder mit Gewehr natürlich. Wir gehen dann rauf und suchen die tote Gams. Vielleicht finden wir bei ihr brauchbare Spuren, die uns zu dem Wilderer führen. Dann könnten wir heute den ganzen Spuk beenden, bevor noch mehr passiert.“

       Der gute Ludwig konnte dem nur zustimmen: „Ja, weil sonst schlitzt er mich morgen auf und nagelt mich ans Kirchentor.“

       Die Angst blitzte ihm noch immer aus den Augen, aber der Pfarrer stellte mit erhobenen Zeigefinger klar: „An mein Kirchentor nagelt niemand etwas!“

       Einzig der Graf machte sich andere Sorgen: „Bei dem Wetter wollt ihr auf den Berg gehen?“

       „Wir haben keine andere Wahl, es ist Krieg!“, sagte der Johann mit einem fahlen Blick.

      Na bitte, da gesellt sich doch glatt das uralte Duell Jäger gegen Wilderer zu unserer famosen Story hinzu, ein Traum!

       Ich bin ja wahnsinnig darüber erfreut, dass uns dieses Thema nun begleiten wird. In jedem guten Heimatepos muss sich der fleißige Jägersmann mit dem bösen Wildschütz duellieren, jawohl!

      Der Johann war über diese Situation nicht so erfreut wie wir, immerhin hatte sich vor einem Jahr genau dieselbe Problematik schon einmal aufgetan. Sehen wir uns die Geschichte vom Vorjahr einmal genauer an.

      3. Der Wildschütz

      Im Mai 1898 fanden nicht nur wieder zahlreiche Touristen den Weg vom Ennstal herauf in diese pittoreske Landschaft, sondern auch ein garstiger Wildschütz.

       Am 20. Mai 1898 veranstaltete der Graf seine berühmte Maijagd. Wichtige und selbstverständlich hochrangige Teilnehmer aus Wien, Innsbruck, Mailand, Genua, München, Nürnberg und Prag wohnten jedes Jahr der fröhlichen Schießerei bei und wollten am Berg und im Wald die prächtigsten Alpentiere abknallen.

       Am 19. Mai 1898, also einen Tag davor, machten sich der Graf, der Johann, der Brenner Karl und eine Handvoll anderer Jäger auf die Suche, um die schönsten Exemplare für die heitere Maijagd zu lokalisieren, damit die versnobten Jagdgäste nicht lange danach suchen mussten. Den prachtvollsten Steinbock fanden sie relativ schnell auf einem Schuttfeld unterhalb der Kirchenkogel Westwand. Dieser Bock war für einen Mailänder Adelsmann reserviert, der irgendwie mit den Borgias verwandt war. Was hatte der Typ für ein Glück, er musste am nächsten Tag nicht einmal sein Schießgewehr den beschwerlichen Weg hinaufschleppen, denn der Steinbock war schon tot. Blattschuss, das hätte der Johann selbst nicht besser gekonnt.

       Als sie über den Septembergrad abstiegen, fanden sie noch eine Gams, die unter denselben Gegebenheiten ums Leben kam.

       Am Abend berichtete dann ein Wanderer von zwei toten Gämsen und einem toten Steinbock bei den Petri Spitzen, ein anderer erzählte von einem toten Hirschen beim Grünacher Weiher und eine Familie aus Krems fand drei tote Rehböcke in der Nähe der Krauter Alm. Dort, wo die Almblumen so schön dufteten, zog nun der Gestank der verwesenden Tiere in die schnuppernden Näschen ein.

       Blattschuss, Blattschuss, Blattschuss, alles Blattschüsse, das war eine ordentliche Ansage, das gefiel nicht nur dem Johann.

      „Katastrophe!“, rief der Graf nur, als er davon erfuhr und einige seiner geschleckten Gäste reisten noch in der Nacht wieder ab. Obwohl die Stimmung keine gute mehr war, trieb die Schießlust die wenigen Verbliebenen am nächsten Tag dann dennoch in die Berge und Wälder. Nur ein großer Erfolg sollte die Maijagd nicht mehr werden.

       Vor allem, weil unterhalb der Riffner Mauer am Großen Lärchenstein eine schwarze Gestalt erschien und einem reichen Bankier aus Nürnberg einen erstklassigen Steinbock vor der Nase wegschoss. Des Grafens renommierte Maijagd verkam nun endgültig zum absoluten Debakel.

       Der Bonze aus Nürnberg war fuchsteufelswild, das könnt ihr mir glauben. Als er sich wieder im Tal befand, packte er schnurstracks seine sieben Sachen und seine Frau und stürmte aus der Villa.

      „Herr von Schildbach, so warten Sie doch!“, rief der Graf ihm nach.

       Kurz blieb er stehen, der feine Herr von Schildbach, wandte sich mit glühendrotem Kopf an seinen Gastgeber und brüllte zornig: „Skandal! Einen Skandal veranstalten Sie hier! Ich werde jeden in Nürnberg davon erzählen!“

       Dann schnappte er seine gut gekleidete Gemahlin und hastete mit ihr Richtung Kutsche.

       Der liebe Graf hatte seine Nerven schon längst weggeschmissen, stand nur fassungslos da und schrie die Gräfin an: „Ja Irmgard, so mach doch bitte etwas! Irmgard!“

       Sie machte tatsächlich etwas, und zwar kippte sie sich einen Cognac nach dem anderen in die Birne und lachte dabei nur dumm.

       Während der Graf in seinem großen Garten hektisch auf und ab rannte, verließen nach und nach weitere tobende Jagdgäste seinen Prunkbau.

       „Was kann denn ich dafür, dass so ein verfluchter Wilderer sein Unwesen treibt? Bleibt doch da, wir können in Ruhe über alles reden!“, rief der verzweifelte Graf.

       „Eine Schande! Sie sind eine einzige Schande!“, kreischte ihm die geharnischte Gattin eines Münchner Adeligen zu.

       „Jawohl, schleicht euch doch alle, ihr Volldeppen!“, schrie ihnen der Graf zum Abschied hinterher.

       Dann riss er einem Wiener Geschäftsfreund, der gerade eilig und mit einer Portion Fremdscham im Gepäck an ihm vorbei schritt, den Koffer aus der Hand und fetzte ihn mit voller Wucht ins Gebüsch, so dass er aufsprang und sich die edle Seidenunterwäsche im dornigen Gestrüpp verfing.

       „Du schleich dich auch! Schleicht euch endlich alle!“, brüllte der völlig in Rage geratene Graf bei dieser noblen Aktion und sprang dabei wie das Rumpelstilzchen herum.

      Die feine Gräfin konnte gar nicht soviel Cognac trinken, wie sie benötigt hätte, um diesen entspannten Ausklang der Maijagd zu ertragen.

       „Schön hast du uns blamiert!“, sagte sie zu ihrem Mann.

       Dieser wollte darauf etwas Nettes antworten, aber vor lauter Wut brachte er kein Wort mehr heraus.

       Die Irmgard konnte nur noch lachen und ätzte nach: „Vielleicht holst du noch die Blaskapelle, damit sie ihnen zum Abschied wieder den Radetzky-Marsch spielen.“

       Der Graf ergriff darauf hin wortlos die Flucht, ging ins Wirtshaus und soff dort so lange, bis er vom Stuhl flog.

      Eines war klar: Seine berühmte und sehr beliebte Maijagd