Gerstäcker Friedrich

Wilde Welt


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wieder finde. Mein Indianer hielt dazu treulich bei mir aus, und kaum dämmerte im Osten der Tag, trotzdem daß es wieder einmal wie mit Kübeln vom Himmel goß, so waren wir schon, ich meine Büchse, er seine Lanze geschultert, auf dem Weg.

      Die ersten Stunden schritten wir, um kein Wild uns kümmernd, rasch vorwärts, bis wir die ungefähre Gegend erreichten, wo wir vom Weg aus links, im Dickicht drin, die Scynos zuerst gehört und dann, ihnen nach, abgebogen waren. Es zeigte sich aber gar nicht so leicht, den Platz jetzt genau wieder anzugeben, denn der ganze Wald bestand aus nichts als niederen wellenförmigen Hügeln mit schmalen, von /113/ Negrito bewachsenen Sumpfstellen dazwischen, die einander stets vollkommen gleich sehen. Außerdem hatte gestern keiner von uns Beiden genau, oder auch nur überhaupt darauf geachtet, wo wir abbogen. Ein paar Stellen, die wir für die richtigen hielten, wurden deshalb vergebens abgesucht, um in der Nähe der Trocha eingeknickte Zweige zu finden, und es war schon fast wieder Mittag geworden, als mein Begleiter sich eines Baumes mit gebrochenem Wipfel erinnerte, der ganz in der Nähe von dort gestanden haben sollte. Kaum hundert Schritt weiter entdeckten wir denselben wirklich, und dort begannen auch die ersten Spuren durch einen eingeknickten Busch.

      Es war keine leichte Arbeit, jetzt der Bahn zu folgen, denn nur alle zehn bis fünfzehn Schritt trafen wir wieder auf ein ähnliches Zeichen, und oft verloren wir in dem furchtbaren Dickicht diese schwachen Merkmale und mußten weit umhersuchen, ehe wir sie wieder fanden. Einer von uns Beiden ging in dem Fall stets zu dem letztgefundenen Merkmal zurück, um dieses nicht auch zu verlieren, während der Andere weiter suchte und bei glücklichem Fund das Zeichen durch ein lautes „aqui" gab.

      So rückten wir allerdings sehr langsam, aber doch vollkommen sicher vorwärts, und nach einer guten Stunde etwa erreichten wir den Platz, wo das erlegte Seyno von uns zerwirkt war. Nur die Blutspuren bezeichneten ihn freilich noch, denn kleine Raubthiere schienen alles Uebriggebliebene schon beseitigt zu haben. Selbst der Kopf war durch eine der dort ziemlich zahlreichen Tigerkatzen eine kurze Strecke fortgeschleppt worden.

      Das Seyno aber hatte ich nicht auf der Stelle todt, sondern erst angeschossen gehabt, so daß es noch etwa hundert oder hundertundfünfzig Schritt lief, ehe es zusammenbrach. Dort auf dem Anschuß war ich auch, als ich Schweiß fand, stehen geblieben, um wieder zu laden, und es galt jetzt - wahrlich keine Kleinigkeit, - den Anschuß oder die Stelle, auf der das Wild von der Kugel zuerst getroffen worden, wieder zu finden. An jedem andern Orte der Welt würde das auch der strö-/114/mende Regen, der den ganzen Morgen gefallen war, unmöglich gemacht haben - in diesen dichten Wäldern nicht. Die Wipfel derselben schließen so dicht und massenhaft ineinander, daß kein einziger Regentropfen direct auf die Erde niederschlägt, sondern nur von den Blättern langsam niederträufelt.

      Ohne meinen indianischen Begleiter weiß ich freilich nicht, ob ich der fast verwaschenen Spur hätte folgen können; er aber blieb mit ziemlicher Leichtigkeit darauf, bis wir zu einer Stelle kamen, an der ich das Terrain selber erkannte. Dort stand der Baum, hinter dem das Seyno, von dem ganzen Rudel gefolgt, herausbrach - dahinüberzu hatte ich geschossen, und einmal den ungefähren Platz festgestellt, hieb ich rings herum die Büsche ein - und jetzt begann das Suchen.

      Meinem Begleiter hatte ich übrigens vier Dollars versprochen, wenn er so glücklich sein sollte, das Lademaß, das ich ihm genau beschrieb und das mit der langen grünen Schnur auch ziemlich auffällig blieb, zu finden. Vier Dollars waren für ihn ein Capital, und wie ein Spürhund suchte er Busch nach Busch durch, drebte jedes Blatt um und entwickelte einen ordentlich rührenden Eifer. Natürlich stand ich nicht müßig dabei, und wir hatten schon den größten Theil jener kleinen Blöße durchsucht, als er plötzlich einen Sprung nach vorn machte und wie ein Geier auf das Gefundene niederstieß. Ein Jubelschrei verkündete mir zugleich den Fund, und ich selber hielt jetzt die viele Mühe, die es uns gekostet, um mitten in einem solchen Urwald einen so kleinen Gegenstand wieder zu finden, für reich belohnt.

      Beide sehr zufrieden, kehrten wir, ohne heute weiter zu jagen, nach San Lorenzo zurück und hielten dort ein lukullisches Mahl an Seynofleisch, Reis und Austern und junger Cocosmilch mit Chocolade - lauter Landeserzeugnisse, die aber nur höchst selten gemeinschaftlich zu erhalten waren.

      Ich bin nicht abergläubischer als wir Alle miteinander, denn einen kleinen Theil von Aberglauben trägt ein Jeder mit sich herum, aber ich muß gestehen, daß ich mich recht herzlich über das Wiederfinden des Ringes freute und ihn jetzt auch, wie schwer es ging, an die rechte Hand zwang, um ihn nicht wieder zu verlieren. /115/

      Giebt es Ahnungen oder Vorbedeutungen, - oder spielt ein tückischer Zufall nur manchmal so boshaft mit unseren Gefühlen und Empfindungen? - Ein Jahr später - genau in der nämlichen Nacht, in der mein Ring allein im Wald von Ecuador gelegen, starb daheim allein - während ich noch meinen mühseligen Ritt durch Brasilien verfolgte, mein braves Weib. Es war die Nacht vom 22. zum 23. August.

      Eine Mississippi-Fahrt.

      Erstabdruck: Illustr. Familienbuch, 4. Band, Neue Folge, Seiten 35-38. Triest: Oest. Lloyd, 1864

      Was für ein wildes Leben die Leute doch in all' jenen noch halb civilisirten Ländern der bekannten Erde führen! Wir hier haben wahrlich keine Idee davon, und halten einen Menschen, der einmal Nachts draußen im Freien hinter einem Heuhaufen schläft, schon gewöhnlich für einen entsetzlichen Strolch, auf den die hochlöbliche Polizei nur um Gottes willen ein wachsames Auge haben müsse. Und wie treiben sich Tausende nachher dort drüben herum, die, als sie auswanderten, von goldenen Bergen und Carrièren träumten, und denen es, in vielen Fällen, auch in der That nicht an der Wiege gesungen wurde, wie und auf welche Art sich sich später einmal durch die Welt schlagen und am Leben erhalten sollten, nur ganz allein eben des Lebens wegen.

      Dort drüben stehen Grafen und Barone neben dem Neger vor den Kesseln der Dampfer, mit der Schürstange in der Hand, oder hinter dem Schenktisch, um irgend einem durstigen Gast ein Glas Cognac und Wasser zu mischen, oder hinter der Tadle d'hote - an der sie sonst die Kellner springen ließen - mit der Serviette unter dem Arm; dort drüben klopfen Gelehrte und Ungelehrte Steine an den Chausseen oder hüten Schafe oder Kinder (fand ich doch in Australien selber einen österreichischen Lieutenant als Kindermädchen) - da kehren alle Schichten der Gesellschaft die Straßen, tragen Theaterzettel und Zeitungen aus, schleppen für Reisende Koffer /117/ von der Landung in's Haus, oder Mehl- und Kaffecsäcke, und rollen Fässer mit Schweinefleisch oder Spiritus vor sich her - um kargen Lohn.

      Aber wunderbarer Weise schadet es ihnen gar nichts - wenn auch einmal ein oder das andere Muttersöhnchen dabei zu Grunde geht. Sie sind deshalb von der „Gesellschaft", die sich daheim mit Entrüstung von einem solchen Individuum abwenden würde - nicht weniger geachtet, weil sie sich ihr Brod ehrlich verdienen, und haben sie sich etwas verdient, daß sie sich wieder in die Gesellschaft mischen können, dann frägt keine Seele nachher, was sie zu der oder der Zeit getrieben - ob sie selber gedient oder sich einen Diener gehalten haben.

      Wunderlich, ganz erstaunlich wunderlich geht es da drüben zu, und wer draußen in der Welt herumfährt und sich eben diese Welt nicht blos durch das Kajütenfenster eines bequemen Dampfers und nachher aus der ersten Etage eines ersten Hotels betrachtet, kann da oft ganz sonderbare Sachen zu sehen bekommen.

      Wenn ich so manchmal zurückdenke, welche Leute ich, und in welchen Stellungen und Situationen ich sie getroffen habe, und wie die Familien, deren alten Namen sie tragen, indessen hier in Deutschland spazieren gehen - ich könnte bunte Geschichten davon erzählen. Aber haben Sie keine Furcht, meine Gnädigen, ich bin nicht indiscret, und was ich hier erzählen wollte, ist einfach eine Scene aus meinem eigenen Leben, denn ich habe mich eben so wild zu meiner Zeit dnrch's Leben schlagen müssen, und eben so wenig wie es den Anderen geschadet, hat es mir selber etwas angethan.

      Ich war in Cincinnati wieder einmal total ohne Geld, was mir verschiedene Male passirte. Kellner oder Ausschenker mochte ich nicht werden - ich habe immer lieber Holz geschlagen oder auf einem Dampfer gefeuert - das Jagen hatte ich ebenfalls für eine Weile satt zum Ueberdruß, denn die furchtbaren Sumpfpartien von Arkansas lagen mir noch frisch in den Gliedern. Da hörte ich, daß jetzt jenes Rohr, durch das ich mir so manchmal mit triefender Stirne Bahn gehauen, und dessen junge Stengel im Norden zu den kurzen Pfeifen- /118/röhren benutzt und viel gekauft werden, gänzlich fehle, weil der Mississippi