Jay Bates

Der Schnüffel-Chip


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da war schon der Teufel los. Krahl war weiß vor Wut und nahm in den wenigen kurzen Telefonaten, die er im Hinausstürmen mit seinem Handy führte, kein Blatt vor den Mund. In seinem Ministerium purzelten die Mitarbeiter, die den Werbeauftritt für die ePässe in der Sendung geschickt arrangiert zu haben glaubten, durcheinander wie die Kegel.

      Noch ehe die Sendung zu Ende war, hatte der Leitende Redakteur schon Besuch von zwei sehr unfreundlich aussehenden Herren. Nachdem sie kurz, aber nachdrücklich ihre Missbilligung über diesen Beitrag und die Konsequenzen für den Sender im allgemeinen und seinen Job im besonderen kundgetan hatten, kamen sie ohne Umschweife zur eigentlichen Sache: „So, nun sagen Sie uns, wie Sie das gemacht haben! Oder war das nur eine alberne Spielerei mit einer Manipulation des Lesegerätes oder der Anzeige?”

      „Nein, keineswegs. Die Änderungen waren echt. Wir hatten zwei Reader, also Lesegeräte im Sofa, auf dem die beiden saßen, allerdings mit zusätzlicher Schreibeinrichtung. Hinter der Bühne saß unser Experte mit seinem Laptop und aktivierte den Schreibvorgang.”

      Die Besucher schnappten nach Luft und tauschten ungläubige Blicke. „Die Änderungen waren echt?! Der Minister und dieser Kabarett-Clown laufen jetzt mit falschen Ausweisen durch die Gegend?“

      Der Redakteur hob beschwichtigend die Hände. Er glaubte, alles noch glatt bügeln zu können. „Nein, was denken Sie denn? Im Golden Gate haben wir natürlich die Daten wieder zurückgesetzt.“

      „Wo?“

      „In unserem goldenen Auftrittsportal... so nennen wir es. Deswegen heiß die Sendung auch so.“

      Das schien die beiden Racheengel hinreichend zu besänftigen. Sie konzentrierten sich auf die nächste Frage: „Woher haben Sie die Reader?”

      „Im Internet gekauft und umprogrammiert.”

      „Na, zau-ber-haft!”, sagte einer der beiden, jede Silbe betonend, „das ist illegal. Sie haben sich strafbar gemacht. Und woher haben Sie den Code?”

      „Von unserem Experten.”

      „Und wer ist der Experte?”

      „Informantenschutz!”

      „Na, toll! Wun-der-bar! Hilft Ihnen auch nichts. Straftatbestand Nummer zwei.”

      Der Redakteur entgegnete nichts.

      Die Besucher wurden deutlicher: „Also – unterm Strich – Sie haben der Öffentlichkeit suggeriert, die ePässe hätten Schwachstellen.“

      Noch gab der Redakteur nicht auf: „Nicht suggeriert, bewiesen! Es ist unser gutes Recht, auf Schwachstellen der ePässe hinzuweisen. Pressefreiheit, falls Sie verstehen, was ich meine... Investigativer Journalismus.“

      „Ihre Pressefreiheit können Sie sich...“ Er fing sich wieder: „Das ist kein Journalismus, das ist Geheimnisverrat und Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Strafbar! Ich sage Ihnen, was die Experten sagen: ein ePass kann nicht unbemerkt gelesen werden. Und ein Schreibzugriff ist ein Märchen, so etwas geistert nur durch die Verschwörerseiten des Internet! Oder sind Sie klüger als unsere Experten?!?“

      Der andere assistierte: „So, passen Sie auf, wir machen folgendes: die Reader und die Schleuse nehmen wir mit. Übermorgen, in der nächsten Sendung, machen wir dasselbe noch einmal, nur mit Ihnen und dem kleinen Moderationsfuzzi. Sie versuchen, Ihre zwei Identitäten zu ändern, vor laufender Kamera. Von mir aus auf Dick und Doof oder Jekyll und Mister Hyde. Pässe sichtbar, Reader sichtbar, Experte sichtbar. Wenn Sie wollen, mit Kapuze. Informantenschutz, he he! Hilft Ihnen auch nichts. Dann wollen wir doch mal sehen! Das wird nämlich nicht klappen. Sie werden den Pass nicht einmal lesen können!”

      Der Redakteur blieb immer noch stumm.

      „Und dann sitzt Ihr Intendant auf der Bühne, entschuldigt sich in aller Form und erklärt, dass das Ganze ein Trick war. Der Anzeigebildschirm war angezapft und bekam seine falschen Identitäten aus einem zweiten Rechner. Das zeigt er dann auch vor. Es war ein Trick, haben wir uns verstanden!? Ein Jux! Sie brauchten Quote. Und bitte glaubhaft! Auf Wiedersehen.”

      Im Hinausgehen drehte sich einer der beiden noch einmal um und schoss mit verächtlich herabgezogenen Mundwinkeln einen kalten Blick auf den Redakteur ab. „Übrigens, wussten Sie, dass der Innenminister und Ihr Intendant oft zusammen golfen? Zusammen mit dem Bundesanwalt, wenn Ihnen das etwas sagt.“

      23.

       Die Kneipe Les Trois Bouteilles in einer winkligen Hafenstraße Marseilles war vielleicht nicht gerade der Ort, wohin ein hochkarätiger Experte von einem professionellen Headhunter zum Interview gebeten wurde. Aber für Matubo Umptaluobo waren solche Schauplätze Routine, ebenso wie getäfelte Büros im Penthouse eines Glaspalastes, in dem die Führungsspitze eines internationalen Großkonzerns residierte. Er hatte sich in seiner Kleidung dem Ambiente des Treffpunktes angepasst und war nicht im Geringsten überrascht, dass sein Gesprächspartner ebenfalls wie ein einfacher Hafenarbeiter aussah. Ein geübter Beobachter hätte höchstens an ihren gepflegten Händen oder an Matubos randloser Brille erkannt, dass sie im normalen Leben in anderen Kreisen verkehrten.

      Sein Gesprächspartner wusste offensichtlich genau, wen er vor sich hatte. Die Fragen nach seiner Qualifikation und seinen vorherigen Engagements hatten offenbar nur den Sinn, sich über Matubos Identität zu vergewissern. Schließlich konnte er ihn ja schlecht nach seinem Pass fragen. Aber auch nachdem das klar war, schlichen beide im Gespräch wie Sumo-Ringer umeinander. Jeder war bemüht, den anderen bei einem falschen Schritt zu ertappen.

      Gespräche über heikle Aufträge sind schwierig, wenn sich beide Partner nicht kennen. Wenn dann der Auftraggeber auch noch gänzlich im Dunkeln bleibt und einen Mittelsmann einschaltet, um den Posten in geeigneter Form zu besetzen, dann wird die Sache nicht einfacher. So dauerte es einige Zeit, bis ein Vertrauensklima so weit hergestellt war, dass der Headhunter mit seinem Anliegen herausrückte: „Also, wie ich schon andeutete, es ist ein Projektauftrag. Meine Klienten sind an gewissen Dokumenten interessiert, die in internationalen politischen Kreisen eine wichtige Rolle spielen. Wir wissen wo sie sind, kommen aber nicht heran. Wenn die Konditionen beiderseitig akzeptiert werden, dann werden Sie mit dem Auftraggeber direkt in Kontakt treten und den Aufbewahrungsort erfahren. Wichtig ist, dass Sie alles mitbringen, was Sie finden, auch und besonders elektronische Speichermedien oder ähnliches. Dokumente gibt es ja nicht nur in Papierform.”

      Matubo Umptaluobo nickte zustimmend: „Das ist für mich nichts Ungewöhnliches, wie Sie ja sicher wissen. Sie kennen ja gewiss auch die Höhe und Modalitäten meiner Honorarregelungen...”

      „Ja, natürlich. Meine Klienten sind darüber informiert.”

      „Können Sie mir vorab schon sagen, wo sich diese Dokumente befinden? Dann könnte ich bei meinem Angebot bereits sehr konkret werden, insbesondere was die Kosten der Beschaffung anbelangt. Reisespesen und so weiter. Kunden schätzen so etwas, das brauche ich Ihnen ja auch nicht zu sagen.”

      Der Headhunter zögerte einen Augenblick. Eigentlich war er nicht autorisiert, diese Information im Vorfeld preiszugeben. Andererseits hatte er genau auf diese Frage gewartet, denn – so hatte er vorab recherchiert – genau dies war die Arbeitsweise von Matubo Umptaluobo. Korrekt wie ein preußischer Buchhalter. Also deutete er so allgemein wie möglich, aber so präzise wie nötig an, wo, wie und bei wem die Dokumente gelagert waren.

      Matubo Umptaluobo musste alle seine Routine aufbieten, um sich nicht durch eine Reaktion zu verraten. Mit allem hätte er gerechnet, aber nicht damit. Der Mann, dem er schon lange persönlich gegenübertreten wollte. Er war am Ziel. Wie lange hatte er darauf hingearbeitet! Er versuchte, gleichmäßig zu atmen, während in seinem Kopf die Implikationen dieser glücklichen Fügung kreisten. Jetzt bekäme er die Infrastruktur und alle Unterstützung, über deren Beschaffung er sich bisher vergeblich den Kopf zerbrochen hatte, von seinem Auftraggeber. Und als Sahnehäubchen noch ein sattes Honorar dazu. Unwillkürlich schüttelte er den Kopf: des Geldes hätte es gar nicht bedurft.

      Etwas ungläubig schaute der Headhunter ihn an: „Sie