Achim Hildebrand

Zwielicht 14


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der eigene Tod durch undankbare Sohneshand. Hauptsache, Kaiser. Wenn er herrscht, mag er töten. Damit konnte Bengt-Jörn sich nicht wirklich identifizieren, aber es bewies zweifellos, dass die Mutter als Mitglied einer besonderen Spezies manchmal einfach so sein muss, wie sie ist.

      Mein Junge, hast du dir weh getan? Er war jetzt sechsundfünfzig. Seine Mutter beschwor ihn jeden Tag, „dieses dumme kleine Ding“ zu verlassen. Im Leben nicht, so ein Prachtweib würde er nie wieder kriegen. Und nie wieder würde er sich so als ganzer Kerl fühlen wie mir ihr. „Big Daddy“ sagte sie zu ihm. Und stöhnte. „Oh, Big Daddy!“ Gab es Herrlicheres auf Erden?

      Kurzum: Er würde mit Corinna im Haus seiner Mutter mit dem Ersparten seiner Mutter sehr, sehr glücklich werden. Ohne seine Mutter.

      Bengt-Jörn überlegte. Prinzipiell ästhetisch wäre es, sie würde sauber in der Badewanne sterben. Schlaftabletten. Strom. Den Kopf unter Wasser drücken, bis … Nein, das würde er auf gar keinen Fall tun. Solch eine plumpe Art Mörder war er nicht. Aber Strom? Er hatte gehört, das könnte schnell gehen. Freilich auch langsam. Mit scheußlichen, qualvollen Krämpfen. Die wollte er seiner Mutter natürlich ersparen, wenn sie denn nicht unabänderlich sein würden.

      Strom. Der Kerl, den Sean Connery mit einem Ventilator erledigt hatte, - ins Badewasser geworfen und bingo - , war, soweit Bengt-Jörn sich erinnern konnte, sofort tot. Aber das war James Bond der 1960er. So funktionierte das vielleicht auch gar nicht. Zudem befand sich im Badezimmer seiner Mutter kein Ventilator. Auch kein Heizstrahler. Eigentlich richtig so, das hätte er alles auch nicht erklären können. Es sollte schon sehr nachvollziehbar nach einem tragischen Unfall aussehen. Oder Selbstmord. Warum auch nicht? Es gab bekanntlich unglaublich viele ausgesprochen unterschiedliche Leute, die sich umbrachten.

      Bengt-Jörn vertiefte sich noch ein wenig in gängige Fachlektüre. In den 1990ern gab es einen regelrechten Trend besonders unter älteren einsamen Damen, deren Stromleichen man gemeinsam mit Haartrocknern, Lampen, Bügeleisen, sogar Toastern in Badewannen fand.

      Nun war seine Mutter nicht wirklich einsam. Sie hatte die Katze, den Chor, Marga Deverdin von nebenan. Ihn. Aber furchtbar unangebracht alt war sie. Irgendwie lebensmüde auch. Wie oft sagte sie: „Hach Gott, am liebsten wäre ich tot.“

      Hach Gott, am liebsten wäre ich tot. Bengt-Jörn überlegte. Wie oft sagte sie das denn? Selten. Eigentlich nie. Egal. Ihm gefiel es, daran zu glauben. Ihm gefiel auch die Idee von der Wasserleiche. Nur, wie jetzt anstellen? Konnte er einem banalen Föhn trauen? Oder sollte er es mit einem an Strom angeschlossenen Handy versuchen? In der Zeitung stand, das würde funktionieren. Im Regelfall unfreiwillig. Gut, das wäre es in ihrer Situation auch. Aber sie würde für das Wohlergehen ihres einzigen Sohnes sterben. Ein paar Schmerzen wären dabei. Mein Junge, hast du

      dir weh getan? Bengt-Jörn grinste verschämt in sich hinein. Nein. Aber du.

      Er würde es am Freitag machen. Freitags war Badetag. Immer schon. An anderen Tagen wurde geduscht, wenn's denn pressierte, aber nicht gebadet. Dafür freitags ausgiebig und mit viel Schaum. Der Gedanke daran beruhigte Bengt-Jörn. Bei all dem Schaum würde er gar nicht richtig hingucken können, immerhin war sie auch noch nackt, da sah er nun wirklich nie genau hin. Er würde sich ins Badezimmer schleichen, den Föhn oder das Handy sozusagen blind hinein schmeißen in die Wanne, - er hatte sich noch nicht entschieden, aber der Föhn war ein altes klobiges Ding mit geklebtem Kabel, der müsste den Zweck erfüllen, besser vielleicht - , und dann erst mal raus laufen und einen trinken. Soweit.

      Was dann freilich geschah, war sondersam, aber irgendwie auch unvermeidlich: Bengt-Jörn hatte einen wahrlich scheußlichen Albtraum. Er führte ihn auf seine intensive Beschäftigung mit der SACHE zurück, - Muttermord war ja kein unbelastender Lehrstoff -, freilich auch auf die offensichtlich leere Flasche Ramazzotti neben dem Fernsehsessel. Normalerweise gehörte der Platz kompromisslos seiner Mutter, aber die war bei ihrer Chorprobe, also hatte er ihn in Beschlag genommen, eine banale Familientragödie eingeschaltet und war eingenickt.

      In seinem Traum stand seine Mutter vor ihm, hielt ihm einen bluttriefenden Klumpen Fleisch vor die Nase und sagte mit dieser betont sanften Stimme, die er nicht leiden konnte: „Ihr Herz für meins, mein Sohn.“ Hinter ihr lag Corinna lang ausgestreckt auf dem Boden mit weit aufgerissenen Augen, definitiv tot und nicht freiwillig dahin geschieden. In ihrer Brust klaffte ein hässliches Loch. Seine Mutter schien ihr das Herz nicht getreu ihrer ordentlichen Art sauber heraus geschnitten zu haben, eher gerissen. Gerupft. Den Brustkorb durchwühlt mit ihren knochigen Fingern. Bengt-Jörn mochte über die Details nicht nachdenken. „Warum, Mutter? Warum?“ Er hörte sich schreien, gleich darauf klatschte es. Seine Mutter hatte ihm eine geknallt. „Darum.“ Sie baute sich zornig vor ihm auf, stemmte die Hände in die Hüften, schüttelte den Kopf. „Immer deine dummen Fragen. Weil du mich mehr liebst als sie. Darum.“

      Benommen rappelte Bengt-Jörn sich aus dem Sessel hoch. Sein Nacken war nass geschwitzt, seine Mundhöhle wie ausgetrocknet. Da war noch eine Pfütze in der Flasche. Er setzte sie sich an die Lippen, schluckte den spärlichen Rest und schüttelte sich. Er würde sich jetzt ein kühles Bier aus der Küche holen, sich dabei ein wenig sortieren und Corinna anrufen. Er könnte ja noch mit ihr … natürlich, er wollte noch mit ihr. Nach allem, was er über sich hatte ergehen lassen müssen. Wenn auch nur im Traum. Trotzdem. So verdammt echt. Und überhaupt. Corinna!

      Er blickte auf sein Handy, das neben dem noch Aschenbecher auf dem Glashocker neben dem Sessel lag. Bengt-Jörn rauchte nicht. Er hasste das. Seine Mutter rauchte. Zigarillos am Abend bei einem Gläschen Gin. Wenn er sich das so überlegte … fast scheintot war seine Mutter noch nicht. Oder sterbenskrank. Als Barmherzigkeit konnte er seinen Plan nun nicht gerade durchgehen lassen.

      Er verscheuchte den Gedanken. Es war beschlossen. Corinna rauchte allerdings auch. Was nahm er nicht hin für die Liebe! Wenn sie schwanger von ihm würde, wäre das Thema hoffentlich erledigt.

      Auf dem Handy fand er tatsächlich eine Nachricht von ihr. Geistesverwandt, wie nett. Er überlegte, ob er sich zuerst das Bier … nein. Aber besser wäre es gewesen. Bier beruhigte ihn. Bengt-Jörn las

      „Will nur sagen, dass es aus ist, habe einen kennengelernt, der wohnt nicht bei Mutti und hat eigenes Geld. Du bist echt ein Loser, Alter, also denn.“

      Bengt-Jörn glaubte es nicht. Fasste es nicht. Wollte heulen, ließ es bleiben. Loser. Er lief rot an vor Wut, schwankte. Er hatte das Gefühl, nicht mehr ganz sicher auf seinen Beinen zu stehen. Alter. Er stöhnte laut auf. Innerlich tobte er. Da war Enttäuschung, da war Verzweiflung. Und diese grenzenlose Wut. Und dort im Türrahmen stand seine Mutter in ihrem blauen Sonntagskostüm und sah ihn recht besorgt an.

      „Bin schon zurück. Ist was, Junge?“

      Ihr Sohn war augenscheinlich völlig aufgelöst, griff sich die leere Ramazzotti-Flasche und warf sie gegen den Wohnzimmerschrank. Dann brüllte er los. „Ob was ist? Gar nichts ist. Nur, dass Corinna mich nicht mehr sehen will. Feierabend ist. Verfluchte Scheiße, sonst ist gar nichts!“ Für das dreckige Miststück wollte ich dich umbringen, so sieht's aus. „Und was mach ich jetzt?“ Ich liebe die Schlampe. Sie sollte dein Herz kriegen.

      Seine Mutter seufzte, deponierte gemächlich ihre Handtasche in der Sofaecke und atmete kräftig durch. „Ach, Junge, das wird schon. Gibt Schlimmeres. Ich bin tatsächlich erleichtert. Die taugt doch nichts. So eine Person in meinem Haus. Dass sie weg ist … dem Himmel sei Dank.“

      In MEINEM Haus! „Zur Hölle mit dir!“ Bengt-Jörn hechtete mit einem einzigen großen Satz auf seine Mutter zu, - erstaunlich zielsicher, immer hatte er reichlich Alkohol in sich - , griff ihr an die Kehle, stieß sie mit dem Rücken an die Wand und drückte mit beiden Händen zu. Zeit, sich ernsthaft Sorgen um ihr Leben zu machen, hatte die Mutter nicht mehr. Bengt-Jörn erwürgte sie. Und damit nicht genug. Als ihr Körper auf den Boden sackte, raste Bengt-Jörn wie ein Besessener in die Küche, holte das Brotmesser, kniete sich neben die Leiche und stach wieder und wieder zu. In die Brust, den Bauch, die Beine. In die Augen, in den Mund. Es war ein Schauerbild. Alles, alles voller Blut. Darüber hatte er gelesen. Hier bei ihm war mehr.

      Nach