Achim Hildebrand

Zwielicht 14


Скачать книгу

denn?“, fragte ich knapp. Unsere Art vor der Kamera zu sprechen hatte sich im Laufe der Zeit auf unsere privaten Gespräche übertragen.

      „Ich hab’s machen lassen“, sagte sie und kicherte dann wie verrückt, als ob sie sich damit selbst Applaus spendete. „Ich habe keinen Geruchssinn mehr. Futschikato. Ein winziger Eingriff.“

      „Crazy Bitch! Hast du echt?“

      „Ja, vielleicht klingt das im Moment noch verrückt für dich, aber ich sag dir: Nicht mehr lange, dann ist das so normal wie Botox. Man kann optimal sein Gewicht halten. Ist gesünder als Magersucht oder Bulimie, das ist mal klar. Und es nimmt den Ekel. Das ist in der Unterhaltungsbranche bestimmt in mehrfacher Hinsicht nützlich.“

      „Ist ja gut“, stimmte ich zu, hauptsächlich, um das Thema rasch zu beenden und mir nicht wieder einen Vortrag über Geruchssinn und Schokolade einzuhandeln „ich kommentiere den Schimmel, kein Problem.“ Sie küsste mich auf die Wange und wir gingen zum Wohnmobil zurück.

      Zwoh

      Ohne Janusz’ Polnischkenntnisse und seinen guten Orientierungssinn hätten wir uns gnadenlos verfahren und das Loch im Zaun wohl nie gefunden. Wir befanden uns jetzt im militärischen Sperrgebiet. Oder ehemaligen Sperrgebiet, wenn man unserem geheimen Tippgeber glauben konnte. Es gibt nicht viel, das dem Gefühl gleicht, leise über unbekanntes Terrain zu schleichen bis endlich das Objekt der Begierde sichtbar wird. Die Vorfreude darauf, ein abandoned premise zu betreten, der Kick, wenn es endlich soweit ist. Das Jagdschloss im Wald war zu Zeiten des Kalten Kriegs vom Służba Bezpieczeństwa, dem Polnischen Geheimdienst, genutzt worden. Janusz versuchte, uns das Wort für die Anmoderation phonetisch beizubringen, der reinste Zungenbrecher. Das Gebäude von 1860 lag seit Ende der Achtziger im Dornröschenschlaf und war aufgrund der abgeschiedenen Lage ungestört geblieben. Es dauerte daher ein bisschen, bis wir einen Weg hinein fanden.

      „Hey Leute“, sagte Judy und flirtete sofort was das Zeug hielt mit der Kamera. Dieses „Hey Leute“ war ihr nicht auszutreiben. Ich fand immer, dass das klang, als ob wir bei Bibis Beauty Palace wären.

      „Wir haben eine supergroße Überraschung für euch. Wir machen es ab heute ohne.“ Kunstpause. „Ohne Masken, ihr kleinen Perverslinge.“ Schwungvoll entledigte sie sich ihrer Hasenmaske. Jetzt war ich dran:

      „Na, wenn das Häschen blankzieht, wirft auch der Fuchs die Maske ab.“

      „Fuchs?“, fragte sie verdattert.

      „Wir machen das hier seit zwei Jahren und du wusstest nicht, dass ‚Zorro‘ das spanische Wort für Fuchs ist?“, fragte ich ungläubig.

      „Äh“, machte sie, verhaspelte sich und endete mit „Scheißesorrysorryscheiße“. Die Aufnahme hatte sie komplett geschmissen. Nicht schlimm. Wir wiederholten es, bis sie sich darin gefiel. Im Schloss roch es übrigens nirgends nach Schimmel, alles befand sich in sehr gutem Zustand. Allerdings gab es nicht viel zu entdecken, weil es fast vollständig leer stand. Zum Abschluss gingen wir in einen grünen Spiegelsaal zurück, den Judy für „am meisten instagramable“ hielt. Wie immer zu solchen Gelegenheiten holte sie ihre Spitzentanzschuhe aus dem Rucksack und ließ sich, diesmal wieder mit Maske, in verschiedenen Posen von mir ablichten. Mich erstaunte, dass ihre Follower der ewig gleichen Arabesken, Attitüden, Croisés, Pointés und Tombés des balletttanzenden Karnickels immer noch nicht überdrüssig waren.

      Janusz hatte sich derweil nach draußen verdrückt und wartete ungeduldig auf uns.

      „Wenn wir die Kapelle noch schaffen wollen und im Tageslicht zurücklaufen, müssen wir uns beeilen“, sagte er mürrisch und zeigte auf einen zugewucherten Pfad.

      „Kapelle?“, fragte Judy.

      „Stand doch alles in den Unterlagen, die ich dir geschickt habe, Honeybunny“, antwortete ich spöttisch. „Die Sankt-Wilgefortis-Kapelle.“ Wir nahmen die Geheimhaltung ernst und hatten deshalb alle separate Urbexer-Smartphones, die wir nur für unsere Einsätze und deren Planung nutzten. Die Paranoia mittels Handyortung geschnappt zu werden war szenetypisch und auch wir davon befallen.

      „Die Kapelle, na sicher, aber klar doch“, murmelte Judy. Ich sah ihr an, dass sie mal wieder keine Ahnung hatte.

      Drai

      Ich sollte das eigentlich nicht offen eingestehen und könnte den Sachverhalt wohl auch mit blumigen Ausflüchten verschleiern, aber ich gebe zu, dass ich mit großen Schlössern ziemlich gut kann. Ich hatte selten Probleme, sie schnell und ohne Schäden aufzubekommen. Besonders bei Kirchen und Kapellen haben Schlösser oft eher symbolischen Wert. Viele Urbexer denken, man müsse sich bei solchen Bauwerken immer an Seiteneingänge und Fenster halten, aber das stimmt nicht. Durchs große Portal führt oft der leichteste Weg.

      Die Wilgefortis-Kapelle war ein schöner Ort, der durch das einfallende eigelbfarbene Licht wie mit uraltem Firnis überzogen wirkte. Der Polnische Geheimdienst hatte offenbar nie Interesse an diesem Gebäude gezeigt und es ungenutzt gelassen. Die Gebetbücher für katholische Christen, die wir fanden, waren alt und in deutscher Sprache. Alles schien noch genauso zu sein, wie zu jenem Zeitpunkt, an dem hier zuletzt göttlicher Beistand gesucht worden war. Wir schnatterten drauflos und gerieten in einen regelrechten Rausch. Vor dem großen Kreuz blieb Judy stehen und stutzte.

      „Wieso trägt Jesus goldene Pumps?“, fragte sie und kratzte sich ratlos am Kopf.

      „Weil das nicht Jesus sondern Sankt Wilgefortis ist“, antwortete ich und machte mich über sie lustig, weil sie natürlich mal wieder die Infos nicht gelesen hatte.

      „Das ist eine Frau? Mit Bart? Das ist ja mal schrill!“ Ich erzählte ihr die Geschichte der Heiligen, die sich geweigert hatte einen ungläubigen Heidenkönig zu heiraten und in ihrer Not Gott angefleht hatte, sie Jesus ähnlich zu machen. Gott ließ ihr daraufhin über Nacht einen Vollbart wachsen und der Heiratskandidat nahm Reißaus. Das erboste den Vater von Wilgefortis, oder auch Sankt Kümmernis, wie sie später genannt wurde, derart, dass er sie auch in anderer Hinsicht Jesu ähnlich machte und sie ans Kreuz schlagen ließ, von wo aus sie über ihren Tod hinaus Wunder wirkte.

      „Warum hast du vorher nix gesagt, Red!“, rief sie aus, knuffte mich und hielt mich in etwas, das gleichermaßen als Schwitzkasten wie auch als Umarmung hätte durchgehen können. „Du weißt doch, wie ich bin. Wenn ich das gewusst hätte! Wir hätten uns Bärte ankleben können, um hier zu berichten. Schade. Das ist sowas von im Trend! Conchita Wurst, genderfluid, transgender und so weiter, weißt du?“

      Ich wusste genau, was sie meinte. Judy war nämlich eine, die Facebook-Freunde sammelte, die nach außen möglichst interessant erschienen.

      Da sich an der Situation nun mal nichts ändern ließ, machten wir bartlos weiter und kommentierten jedes Detail der geschnitzten Heiligenfigur.

      Als wir fertig waren – Janusz drängte bereits zum Aufbruch – überlegte ich halblaut, ob diese Kapelle wohl über eine unterirdische Krypta verfügte. Derartiges hatten wir schon in anderen verlassenen Sakralbauten gesehen. Da reinzugehen bedeutete für uns den ultimativen Kick. Sofort begann Judy zu suchen und wir wurden schnell fündig. Den Protest unseres Kameramanns ignorierten wir kurzerhand.

      „Lieber bleiben wir die ganze Nacht hier bei der Dame mit Bart, als dass wir uns das entgehen lassen“, flüsterte sie mir verschwörerisch zu, während wir im Schein unserer Taschenlampen in die Tiefe stiegen.

      Vierch

      Wir standen vor einer Stahltür, die garantiert nicht aus der Erbauungszeit der Kapelle stammte. Die Kegel der Taschenlampen glitten über Beschriftungen aus Kreide, deren Bedeutung wir uns nicht erschließen konnten. „Achtung! 2222 Achtung!“, las Janusz, der hinter uns auf der Treppe stand. „Ob die das hier mal als Luftschutzbunker genutzt haben?“

      „Oder als geheimen Unterschlupf. Hey Leute, wir sind an etwas ganz Besonderem dran!“, freute sich Judy. Janusz hatte unterdessen das Licht an der Kamera angestellt und wir sahen nun deutlich einen Schlüssel, der im Schloss steckte.

      „Halt drauf“, wies sie Janusz