Andreas Knierim

Delfinschlaf


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In Gedanken sagt ich: »Gut, also Bauer Beunt.«

      In Gedanken, Mia. Oops, schon ist es raus. Er merkt es aber anscheinend gar nicht. Die anderen verziehen auch keine Miene. Vielleicht sprechen wir den Namen des Microsoft-Präsentationsprogrammes hier deshalb so aus, weil der Bauer-Chef es hier so ausspricht. Er sagt ja auch Kotsching – da ist er nicht in irgendwas reingetreten, sondern hat sich von einem Coach beraten lassen. Und er kriegt Mehls. Wahrscheinlich sagt selbst der Vorstand Bauer Beunt, Kotsching und Mehls. Am Vorstand, an den Menschen mit dem Chief in ihrer Berufsbezeichnung orientieren wir uns doch. Immer.

      Klotzt nicht so dämlich. Ich habe keinen IQ eingetauscht, ich bin wirklich so schön!

      Apropos schön: Was macht eigentlich die schöne Yana? Ich fiebere unserem Treffen entgegen. Denn es ist Friday, baby. Die Welt liegt uns zu Füßen. Und ich steh' drauf.

       Innen. Coffeeshop. Tag.

      Fiebersenkende Maßnahmen haben über den Tag keinen Erfolg. So sitze ich in unserem Coffeestore, trinke Coffee mit MacadaMia-Nut-Schoko-Flavor. Selbst erfunden, der Name.

      Und warte. Bis die Zeit vergeht.

      »Nee, nee, nee, Mia, das kommt überhaupt nicht in Frage. Sag' mir alles über diesen Typen, der dich erwischt hat.« Yana ist spät. Aber gerade nicht so spät, dass man ihr böse sein könnte.

      Ich wehre ab: »Aber ich sage dir doch, er hat fast nicht mit mir gesprochen und dann auch noch die Fliege gemacht.«

      »Augenfarbe? Haarfarbe? Hat er schöne Schuhe an? Du weißt, ein Kerl, der schöne Schuhe hat, der auf so was achte, der sticht aus der Menge, da musst du zugreifen.«

      »Keine schönen Schuhe, soweit ich erinnere, Abgelatscht. Treter.«

      Yana macht eine Schnute: »Vergiss' es. Wir suchen dir einen Neuen. Schau mal, der da hinten mit den schönen ...«

      »Ich brauche keinen Shopping-Guide, um einen Mann zu finden.«

      »Ist aber meine heimliche Profession. Können wir nicht weiter dieses Männerding durchziehen und die Ware begutachten, die an uns vorbeizieht? Wie beim Sushi-Essen: Das Band dreht sich, wir schnappen uns die leckersten Häppchen gleich vorn, wo sie gemacht werden. Wir nehmen nur die teuersten Teller, wir essen sie leer, wir stapeln sie neben uns. Wir lassen die anderen zahlen!«

      Yana, ganz beste aller besten Freundinnen, hat natürlich alles gerafft: Ich drifte in das Stadium der Krankheit ab, das immun macht für Bewertungen jeder Art. Die Natur, so sagen es die Wissenschaftler, hat es im Stadium des Verliebtsein so eingerichtet: Dopamin, das Glückshormon, wird ausgeschüttet. Beim Ziel des Begehrens werden nur die guten Seiten gesehen, der ganze andere Mist wird ausgeblendet. Denn der würde nur dazu führen, dass nicht kopuliert wird. Und die Rasse ausstirbt. Nur deshalb gibt es Schmetterlinge im Bauch. Du bist high, Mia, Verliebtsein ist eine Sucht. »Da höre ich lieber meine Bibi & Tina-Kassetten, anstatt nachts durch die Bars zu schleichen und Kerle aufzureißen. Man bekommt die aufgerissene Packung danach sowie nicht mehr zu. Wiederverschließbar ist noch so ein Werbe-Betrug.«

      Yana schaut mich staunend an: »Im Ernst: Du hörst diesen Bibi & Tina-Scheiß immer noch?«

      »Klar, ich kann ja nicht schlafen. Bis vor kurzem war Die Superponys ganz oben auf meiner iTunes-Liste.«

      »Okay, keine Kassetten. Es sind Downloads bei iTunes (http://itunes.apple.com/de/artist/bibi-und-tina/id220152697). Du gehst wirklich mit der Zeit, Mia-Schätzchen. Hast du schon ein Bibi-Blocksberg-App?«

      »Könntest Du mal aufhören, hier ständig rumzuschlauen? Danke.« Und Ende unserer Unterhaltung.

       Außen. Strasse. Fast Nacht.

      Ich habe mir zur Gewohnheit gemacht, aus dem Weg zur Heimat keine Gewohnheit zu machen. Ich gehe immer anders, verlaufe mich auch gerne. Sehe schöne, neue Dinge:

      Ein Mann kotzt ein Blumenmuster an die Wand.

      Ein Taxifahrer fährt laut singend mit offenem Schiebedach viermal um den Kreisel.

      Ein Pärchen küsst sich, sie geht weg, kommt wieder. Langer Kuss. Weggehen. Wiederkommen. Langer Kuss. Zusammen weggehen.

      Ein Grüppchen kommt vor mir aus dem Kino. Ich verkneife mir den Blick in den Schaukasten. Ich will den Film aus den Gesprächen vor mir raten. Sie reden über den Hauptdarsteller, der vor dem Film-Ende stirbt. Über den ganzen Schaum auf der Strasse, der Schnee sein soll.

      Ist einfach: Die amerikanische Nacht von Truffaut (http://de.wikipedia.org/wiki/Die_amerikanische_Nacht).

      Die Story geht so: In diesem Film hat der Regisseur eine Menge Probleme. Eins davon ist, dass der Protagonist stirbt. In der Realität. Nicht im Film. Also während der Dreharbeiten stirbt. Und deshalb kann der Regisseur seinen Film nicht mit ihm zu Ende drehen. Er lässt ihn also als Double über den ganzen Filmschnee laufen, der Hauptdarsteller wird von hinten erschossen. Die ganze Story ist gerettet.

      Ich habe keine Angst mehr, durch die Nachtstrassen zu laufen. Jedes Grüppchen, jedes Pärchen hat meine Aufmerksamkeit. Die sehen mich gar nicht, habe ich das Gefühl. Ich gehe nicht durch die Strasse, ich fließe da durch, Mia mäandert sich zur Heimat.

       Innen. Heimat. Nacht.

      Zum ersten Mal höre ich, dass hier drin Musik läuft. Gerade jetzt Positive Vibrations, so'n Reggae-Ding von einem toten Rasta, den alle immer ganz wunderbar finden. Hier scheint es keiner zu hören. Außer Carl, der hier die Musik steuert. Wann macht er das bloß neben seiner ganzen Cocktail-Arbeit?

      Wie immer Gedanken lesend antwortet Carl: »Mische ich zuhause ab, je nachdem, was hier gestern Abend gelaufen ist. Die Vibrations waren gestern eher mies.«

      Eine crazy Friseur schiebt sich ins Bild, Captain Mnemo flüstert mir zu: Luzie, der Schrecken der Strasse.

      »Hi, ich bin Luzie. Dich kenn' ich schon: Mia.«

      »Hi, Luzie, dann sind wir ja schon fast wie Schwestern.«

      »Von wegen. Schwestern hab' ich genug: Vier. Alle jünger. Haben alle in die Hose geschissen, habe ich live gesehen.«

      »Dann wird es wohl nichts mit uns. Ich bin Einzelkind.«

      Luzie nimmt mich kurzer Hand in den Arm: »Komm' mal her, ist nicht so schlimm. Das wird schon wieder.« Sie meint das ernst, das spüre ich deutlich. Nicht einen Fingerbreit Ironie in ihrer Stimme.

      »Setz' dich doch. Was trinkst du?«

      »Carl kennt meine Vorlieben.«

      »Ok, Carl, dann mal her mit den Vorlieben!«

      »Kommt sofort.«

      In einem, wöchentlich erscheinenden Liebesroman würde stehen: Luzie beherrscht die Gabe der Vertrautheit, wie sie eben eine Handvoll Menschen beherrschen. Man ist Teil dieses Herzens, gefragt wird man dazu nicht. Ist auch nicht schlimm.

      In der Realität der Heimat sagt Luzie: »Nacht fünf ist übrigens die entscheidende Nacht.« Hier scheint jeder mitzuzählen. »Entweder, du bleibst, oder: Ende Gelände!«

      Ich frage: »Wann entscheidet sich das?«

      »Wie: wann? Nix wann, Du entscheidest das, nicht der heilige Geist der Heimat. Du! Und zwar am Ende der Nacht. Basta!«

      Ich entscheide mich für eine ehrliche Antwort: »Entscheidungen sind nicht so mein Ding.«

      »Das sollte aber dein Ding werden. Hast du's eher im privaten oder beruflichen Bereich?«

      Aha, die Heimat ist also doch eine Zweigstelle der Arbeitsagentur, Unterabteilung Karriereberatung. Die Sachbearbeiter sind mir sympathisch, das muss ich zugeben: »Also, ich will doch meine wertvollen Admistratorenrechte nicht so einfach an die liebe Kollegin weitergeben. Ich will keine Extra-Runde durch die Drehtür drehen,