Erich Puedo

Vier Tage


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      Denkt sie wirklich, ich könnte nicht bis vier zählen? Verdammt, und recht hat sie sogar. Ist es cuatre oder cuatro? Ich glaube cuatro, aber sicher bin ich mir nicht. Und bevor ich falsch liege, umgehe ich das Problem mal lieber. Also, einfach lässig, spanisch und machomäßig nach hinten lehnen, vier Finger heben und:

      »Cervezas, por favor!«

      Nur ein ganz kleines Lächeln huscht über ihr Gesicht. Aber... Aber ich glaube, sie findet nicht meine Möchtegern-Macho-mäßig bestellten vier Bier lustig. Weiß sie, dass ich auf spanisch nicht bis vier zählen kann? Verdammt, sie weiß es. Und sie hat es rausgefunden. Sie hat gepokert. Sie hat darauf gewettet, dass ich nicht bis vier zählen kann. Und sie hatte recht. So ein Dreck! Sie hat gewonnen. Und sie weiß, dass sie gewonnen hat. Und sie feiert ihren Sieg. Ganz im Stillen. Sie feiert ganz im Stillen in ihrem hübschen Kopf. Hübsch... Sie ist hübsch... Und sie ist noch nicht fertig mit mir, ihre Augen funkeln:

       »Geht doch. Aber mit deinem Wortschatz und deinem niedlichen Akzent wird es sicher schwer, bei den spanischen Frauen zu landen.«

      Da liege ich schon am Boden und sie tritt lächelnd nach. Sehr unsportlich, ihr Verhalten. Fair Play ist das nicht. Wie komme ich denn da mit erhobenem Haupt wieder raus? Andererseits verliere ich gerade gerne. Aber das muss sie ja nicht wissen. Ich bleibe einfach bei meiner Macho-Linie. Also, wieder lässig zurücklehnen in meinen Café-Sessel und dieses Mal 10 Finger in die Luft und:

      »Besos, por favor.«

      Und sie lacht.

       »Diez besos? Hat der Hobby-Macho gerade zehn Küsschen bestellen wollen?«

      Und sie lacht weiter. Ein irgendwie ansteckendes Lachen. Nur lacht sie mich gerade aus. Und sie beschimpft mich als Hobby-Macho. Und es macht mir nicht das geringste aus. Lach mich nur weiter aus. Ich lache einfach mit.

      »Immerhin hat der Hobby-Macho, por favor gesagt. Und das ziemlich akzentfrei.«

       »Immerhin. Höflich bist du. Aber wahrscheinlich auch genau deswegen noch kein richtiger spanischer Vollblutmacho.«

      »Aber ich arbeite dran. Du kannst mir nicht vorwerfen, dass ich mir keine Mühe gebe. Hier! Dieses breitbeinige im Sessel liegen, das schafft ein durchschnittlicher Mitteleuropäer sicher nicht.«

       »Hmm... Wie lange übst du denn schon?«

      »Wie lange ich schon übe, ein guter Macho zu werden? Ungefähr 33 Jahre.«

       »Oh, da hast du aber früh angefangen. Aber eigentlich wollte ich wissen, wie lange du schon hier in Spanien sitzt und an deinem Macho-Image bastelst?«

      »Seit ein paar Wochen.«

       »Wind- oder Kitesurfen?«

      Aha, sie ist informiert.

      »Kiten.«

       »Wie lange?«

      »Den ganzen Sommer. Und du?«

       »Weiß noch nicht. Ich bin gerade angekommen. Sollte hier in Tarifa nicht immer Wind sein?«

      »Hier ist fast immer Wind, nur heute eben nicht.«

       »Und was macht man dann hier so, wenn kein Wind ist?«

      »Nichts. Kaffee trinken. Ein Buch lesen. Abends vielleicht mal ein Bier. Ein Superort für Nichts!«

       »Hmm.«

      »Man kann noch versuchen, ein guter spanischer Macho zu werden. Aber das ist schwer. Für Frauen besonders schwer.«

       »Hmm.«

      Nun sag’ schon was. Ich will weiter mit dir reden. Du bist viel, viel spannender als mein Buch.

      Du bist lustig. Du bist schlagfertig. Du bist irgendwie verdammt cool. Auch wenn da vielleicht etwas ganz leicht nervöses, unausgeglichenes oder etwas ganz leicht zappeliges tief in dir versteckt ist. Du bist eindeutig cooler als ich. Und du bist hübsch. Oder schön? Vielleicht nicht klassisch schön. Ein süßes Schön vielleicht. Nein, nicht süß. Ich weiß auch nicht. Du gefällst mir einfach.

      »Wo kommst du her?«

       »Was?«

      Na, wo ist sie denn jetzt in Gedanken? Die Frage, wo sie her kommt, ist doch nicht so schwer zu verstehen. Oder will sie nicht mehr reden? Habe ich irgendetwas falsches gesagt? Vielleicht lasse ich sie einfach mal kurz in Ruhe. Und da kommt auch noch der Kaffee zu meiner Rettung:

      »Habe mich nur gewundert, wo der Kaffee denn jetzt her kommt auf einmal. Habe die Kellnerin gar nicht bemerkt.«

      Sehr gute Ausrede. Gut gemacht.

       »Ach so...«

      Und schon ist da wieder dieses Lächeln.

       »Ich bin aus Hamburg.«

      »Ah.«

       »Du hast gefragt.«

      Hast mir meine Kaffee-Ausrede wohl nicht abgenommen, was?

      »Ich bin aus Berlin.«

       »Na dann hätten wir das.«

      Na dann hätten wir das. Was soll das denn? Willst du jetzt weiter mit mir reden oder nicht? Na dann hätten wir das... Na dann hätten wir das? Na dann hätten wir was denn? Ich weiß nicht weiter.

      »Ja, das hätten wir...«

      Sie sagt nichts. Ich will aber weiter mit ihr reden. Einfach irgendeine Fragerunde starten:

      »Bist du allein hier?«

       »Nee, mein Mann kommt gleich. Du?«

      »Ah... Ich bin... Dein Mann kommt also gleich.«

      Überraschende Wendung. Blöde Wendung. Mein Buch hat gerade wieder eine deutlich größere Anziehungskraft bekommen. Schade. Ganz schade.

       »Sollte er, ja. Aber Männer sind ja auch nicht mehr so zuverlässig, wie sie mal waren früher.«

      »Und dein unzuverlässiger Mann lässt dich so mit herumlungernden Surfern reden?«

       »Natürlich nicht mit jedem. Bei einem richtigen spanischen Vollblutmacho hätte er wahrscheinlich schon ein Problem, aber bei dir macht er sich sicher keine Sorgen.«

      Blöde Kuh. Langsam ist Schluss mit lustig. Wer hat sich denn zu mir gesetzt und mir diesen unnützen Small Talk aufgezwungen? Wer hat denn hier wem mit diesem sensationellen Lächeln schöne Augen gemacht? Und wer hat hier bei der ersten aufkommenden Hoffnung auf eine interessante Bekanntschaft seinen Mann ins Spiel gebracht? Und mir dann noch blöd kommen, dass ich kein richtiger spanischer Macho bin? Langsam werde ich sauer. Ich glaube ich bin sauer. Verschwinde doch wieder hübsche Frau. Und hör’ auf, mich so musternd anzuschauen. Und hör’ auf zu lächeln.

       »Und da sagst du nichts mehr?«

      Was soll ich denn sagen?

      »Du, was soll ich sagen? Wir trinken hier gemütlich Kaffee. Du lächelst mich an. Und gleich steht mir eine peinliche Eifersuchtsszene mit deinem Zuchthengst bevor, weil der mich wahrscheinlich doch für einen perfekten Macho-Surfer hält?«

       »Mein Zuchthengst?«

      Und weg ist ihr schönes Lächeln. Was für eine dämliche Wortwahl. Eindeutiger kann ich ihr wohl nicht zeigen, dass ich enttäuscht bin. Ich bin eifersüchtig. Ich bin eifersüchtig, bevor ihr Zuchthengst überhaupt vor mir steht und mir seinerseits eine Eifersuchtsszene machen kann. Ich fand das Gespräch irgendwie gut. Aber dann ist es jetzt halt vorbei. Und jetzt einfach irgendwie mit halbwegs erhobenen Haupt hier wieder raus aus der Sache:

      »Entschuldigung. Ich weiß nicht, wo das Wort Zuchthengst