Helmut H. Schulz

1932


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Mann und Krieger aus ihm zu formen versucht. Sie hielt Reitpferde, eine passionierte Dressurreiterin, und wenn der Knabe ins Frühstückszimmer kam, fand er sie im Reitkleid vor, vom Frühstall kommend oder dahin aufbrechend. Seit seinem fünften Lebensjahr nahm sie ihn mit nach Münchehofe, einem Nest an der großen östlichen Heerstraße nach Frankfurt, wo sich ihr Anwesen befand, ein kleines Gehöft aus Stallungen mit einigen Boxen zum Einstellen ihrer Pferde, einem Wohnhaus und dem Abreitplatz, alles betreut von einem ehemaligen, durch einen Reitunfall hinkenden Jockey und einem alten Mann als Stallgehilfen. Sie brachte auch hin und wieder ein Vollblut auf die nahe Hoppegartener Rennbahn, nahm aber den Rennsport nicht wichtig genug, um sich auf ihn einzulassen. Auch Moogs Vater war für das Turnier zu beschäftigt mit Beruf und Mandat, auch nicht mehr jung genug, zeigte sich bei Gelegenheit im Stall, oder er begleitete sie auf einem Warmblut, einem kraftstrotzenden Hannoveraner ins Gelände, der biss und schlug, einem wahren Kampfstier, den nur der Anwalt zu bändigen verstand. Erst nach der Morgenarbeit begann ihr Arbeitstag an der Seite des Bruders. Die beiden Erwachsenen tranken Tee, Moog Kakao, und erst gegen Ende des manchmal ausgedehnten Frühstücks etwa an Sonntagen erschien Isolde Einar, die Mutter, eine Langschläferin und nichts bezeugt ihre eigentümliche Stellung in der Familie mehr als die Nachsicht, mit der die dominierenden Geschwister diese kindische Undiszipliniertheit und Schlafsucht behandelten. Das Verdienst der Gattin des Anwaltes bestand darin, seine, Moogs Mutter zu sein, die Mutter eines Knaben, der zu vielen Hoffnungen berechtigte und auffallend schön zu sein ...

      Vom mütterlichen Zweig der Familie wusste Moog wenig, aber doch so viel, dass es sich um keine vollwertigen Menschen handelte. Isolde war eine geborene Arzt. Ihre Eltern betrieben in Lübeck eine musikalische Lehranstalt, ein Konservatorium, wo junge Damen und Herren auf das Studium an einer staatlichen Musikhochschule vorbereitet wurden, und zwar in Gesang, Klavier, Violine und einigen weiteren Instrumenten. Moogs Großvater trug sogar einen Titel, Professor, er hatte ihn verliehen bekommen oder ihn sich einfach angemaßt, wie die Baronin vermutete. Aber der Professor Arzt konnte seine Kritiker auch auf gewisse Erfolge bei der Einstudierung und Aufführung der großen Bach-Werke im Lübecker Dom verweisen. Er hatte eine viel gelobte Biografie des großen Organisten Dietrich Buxtehude verfasst, und er mischte sich in alle Streitereien zeitgenössischer Kirchenmusiker ein und hielt Umschau nach neuen Kampffeldern. Seine Gattin, Isoldes Mutter, immerhin doch eine ehemalige Kammersängerin mit einem schrillen Organ, brachte eine Schar Eleven bei ihrer Heirat in das Etablissement. Unter väterlicher Anleitung hatte die kleine Isolde das Klavierspiel erlernen, dank mütterlicher Unterweisung ihre Altstimme ausbilden müssen, da es zum Sopran nicht gereicht hatte, mit nur mäßigem Erfolg. Ihr fehlte es an Ehrgeiz. Als Choristin war sie im Winter 1914 nach Riga gekommen und hatte die Aufmerksamkeit Einars anlässlich eines Konzertes geweckt. Der Anwalt liebte an der Musik vor allem die großen erhabenen Chorwerke der Orgelmusik. Andererseits besaß er jedoch genügend Verständnis für dramatische Opern und Symphonien, um mit Genuss immerhin zuzuhören. Die jugendliche Sängerin in der ersten Reihe des Chores war ihm wegen ihrer zierlichen Gestalt aufgefallen; es war bitterkalt, draußen wie drinnen im Dom, und Einar lud den Chor kurzerhand mitfühlend zur Bewirtung in sein Haus. Zwischen ihm und der jungen Sängerin standen Lebensjahre; die Baronin, selbst gerade verehelicht, mit ihrem Stabskapitän, blieb gegenüber der sich anbahnenden Liebe ihres Bruders zu dem jungen Ding zurückhaltend, vielleicht aus geschwisterlicher Eifersucht, vielleicht auch aus anderen Gründen; sie war gelegentlich auch Prophetin. Der Anwalt erfuhr schließlich, dass der kleinen Choristin, da sie in der Musik versagt hatte, bestimmt worden war, der Menschheit karitativ zu dienen, ihre Wunden zu verbinden und zu heilen und fremden Schmerz zu lindern. Allein ihm schien, dieses Mädchen sei wohl doch zu Besserem bestimmt, als zur Krankenschwester. Isolde war im dritten Kriegsjahr seine Frau geworden, er hatte sie entführt, als die Musikerfamilie der Heirat nicht dienlich schien. Isolde lebte also schon in seinem Hause, als die Heiratserlaubnis endlich vom Professor, ihrem Vater, nach haltlosen Duellforderungen, wie der unsinnigen Drohung mit gerichtlicher Verfolgung des Mädchenraubes und lautstarken Invektiven erteilt wurde. Wahrscheinlich aber waren die Arzts am Ende heilfroh gewesen, eine ihrer zahlreichen Töchter versorgt zu sehen. Kurzum, es handelte sich um eine Liebesheirat, um eine Leidenschaft, die sich der Anwalt mitten im Krieg geleistet hatte, zum Zeichen, dass er nicht beabsichtigte, ausschließlich dem Kriegsgott zu dienen ...

      Der energische, gut aussehende Baltendeutsche von strahlender Männlichkeit, zudem noch wohlhabend ohne Spießer- und Muckertum, hatte das Herz Isoldes leicht gewinnen können, zumal sie sich in der Tat weder für die Heilkunst bestimmt, noch zur Sängerin berufen fühlte. War diese Ehe glücklich? Gewiss! Der Anwalt liebte seine Frau heftig und besitzesfroh wie in den Tagen der ersten Liebe, was ihn nicht daran hinderte, zu tun und zu lassen, was er für richtig hielt. Isolde Einar blieb von weiten Bereichen seines Lebens ausgeschlossen. Sie war es zufrieden. Mit den Jahren entwickelte sie eine gewisse freundlich-kritische Distanz zu ihrem erfolgreichen Mann, dessen Verehrung sie durchaus genoss. Das oder so ähnlich hatte es die Schwester Einars vorausgesehen. Die Frage, ob er mit einer tatkräftigeren Frau an seiner Seite glücklicher geworden wäre, stellte die Baronin klugerweise nicht, da sie ihren Platz an der Seite des geliebten und angebeteten Bruders gegen das schöne Spielzeug des Anwalts nicht verteidigen musste. Ihr würde er immer bleiben. So lebte er mit zwei Frauen; was ihm die eine nicht gab, das bekam er reichlich von der anderen ...

      Das Geburtsjahr Moogs war ein schlimmes Jahr, nicht nur im Baltikum. Einar führte Krieg. Der Rechtsanwalt und Krieger fand seine Frau erst Jahre später wieder, den Sohn Moog im Kleinkindalter. Seine Gattin hatte sich der Sustschina als der Überlegenen und Älteren längst untergeordnet. Leicht hätte man die beiden Frauen für Geschwister halten können, obschon sie sich wenig ähnelten. Zu allen Jahreszeiten hatte Isolde eine goldbraune Haut in einem glatten Gesichtsoval zu einem wunderbaren natürlichem Blond, was ihr trefflich stand und warme kindlich strahlende braune Augen mit dem Ausdruck unberührter Reinheit. Im Haus in Treptow verfügte sie über ihr eigenes Reich, ein Schlaf- und Ankleidezimmer und einen kleinen Salon, in dem sie auch empfing, Zimmer, die selten aufgeräumt waren, auch wenn sich das Hausmädchen viel Mühe mit der jungen gnädigen Frau gab. Übrigens war sie trotz aller Schlamperei und gelegentlicher Launen und Ungerechtigkeiten von allen Hausgenossen wegen ihres heiteren Wesens geliebt. Man zählte sie nicht zur Herrschaft. Sie war nahbarer als die Baronin und weniger Respektsperson als der Anwalt; sie klatschte nach Herzenslust mit ihrem Mädchen und mit der Köchin, von gleich zu gleich, sie schien allen menschlicher, als die steifen kalten Geschwister und nachgiebiger war sie auch.

      Einar hatte nach seiner Rückkehr einen Raum zum Spielzimmer bestimmt. In der Mitte stand ein Billard, an den Seiten Spieltische mit passenden Stühlen. In jener Zeit wurde in Berlin in beinahe allen Gesellschaftsschichten heftig gejeut. Selbst der Anwalt pflegte sich beim Spiel von den geistigen Anstrengungen seines beruflichen Daseins zu erholen. Isolde diente ihm als Partnerin beim Billard, die Baronin sah allenfalls zu. Sie machte sich nichts aus Spiel. Zwar handhabte der Anwalt das Queue recht gut, aber seine Frau übertraf ihn bei Weitem; sie verbrachte ganze Vormittage im Spielzimmer und übte schwierige Karambolagen. An manchen Abenden mit Gästen wurde Karten gespielt, aber man musste doch zum engeren Kreis des Hauses gehören, um zugelassen zu werden. Schließlich kam nach einem Kasinobesuch in Zoppot ein Roulette ins Haus und dieses Glücksspiel schlug zuletzt alle anderen, als zu umständlich und zu anstrengend aus dem Felde. Dabei hielten sich weder Einar noch Isolde für Spielernaturen. Sie konnten aufhören, mussten nicht spielen; tatsächlich blieb das Spielzimmer oft ungenutzt ...

      Aber Isolde liebte ihren Sohn, für ihn war sie keine Dame der Gesellschaft, ein zu Streichen aufgelegter Mittäter und Kumpan. Hin und wieder unternahmen Mutter und Sohn auf eigene Faust Ausflüge, das Paar brannte durch, trieb sich in dem damals noch weitläufigen und einsamen Park herum, verschlang mächtige Kuchen- und Eisportionen im Eierhäuschen oder bei Zenner, den berühmten alten Lokalen längs der Spree. Sie fütterten die Rehe und Sauen in dem kleinen Wildgehege mit Kuchen und Eis, mieteten an der Liebesinsel ein Ruderboot oder fuhren mit dem Fahrrad herum. Häufig badeten sie an verbotenen Stellen in der Spree und ließen sich vom Parkwächter oder vom Schutzmann aufschreiben. Die Sustschina griff in diesen Unfug niemals ein, wohl wissend, was sie unter Umständen heraufbeschwor, wenn sie die Anstandsdame hervorkehrte, und der Anwalt schätze selber solche Eskapaden zu sehr, um sie zu unterbinden. Stillschweigend zahlte er die Ordnungsstrafen und verlor kein Wort darüber. Eines Morgens