und Kriegsgewinne, bekam sie doch durch ihren Makler ein großes solides Mietshaus im östlichen Berliner Stadtteil Treptow zum Kauf angeboten. Die Straße war nur einseitig bebaut, und das Haus stand gegenüber einem Park mit altem Baumbestand und Blick auf einem Teich. Dahinter, nur vom Dach des Hauses aus sichtbar, floß die Spree. Dass sie sich so schnell zum Kauf entschloss, hatte eine tiefere Ursache, als die günstige Anlage ihres Kapitals; die Stadtgegend erinnerte sie an das verlorene Palais in der Bremer Straße, wenngleich hier die Spree und nicht die Düna floß.
Berlin lag im Fieber; die Mark verfiel, war nichts wert, aber die Baronin war mit ihrem Vermögen an Valuta reich und unabhängig. Bei ihrer Bank legte sie mehrere Guthaben an, ihr Makler setzte sich mit ihrem in England lebenden Bruder Thorstein in Verbindung und veranlasste die Überweisung von Pfund Sterling, und veranlasste ihn ein größeres Depot für Notfälle in London anzulegen. Das Erbe der Hanseaten machte sich auch noch in anderer Weise geltend; trotz der Notzeiten gab sie leicht Geld aus, ihre Geschäfte mehrten ihr Vermögen, was in jenen Zeiten möglich war.
Als der Anwalt in Berlin erschien, konnte er ihr nur für alles danken, da sie ihm ihre Abrechnung präsentierte. Selbst wenn sie das Vermögen geteilt hätten, wäre er noch mehr als wohlhabend gewesen. Nicht nur, dass Einar alle ihre Maßnahmen billigte, er hätte es kaum besser machen können. Er räumte ihr weitgehende Vollmachten ein; das heißt, ihr oblag fortan die Sorge für sein, für ihr Leben. Die Baronin richtete ihm die Kanzlei in Treptow ein, sie versah ihn mit Barmitteln und Schecks und überschrieb ihm das zuerst gekaufte Haus, zu welchem die beiden Geschwister bald gemeinsam zukauften, was sich an Immobilien bot. Als sich die Geldverhältnisse stabilisiert hatten, erwarb die Baronin Aktien der sicheren Art; sie legte Geld an, aber sie verbot sich Spekulationen und Parketthandel, und sie überwachte ihre Order genau. Der Anwalt konnte sich, von keiner Sorge behindert, in die Arbeit und in die Politik stürzen. Einar war geprägt durch die Revolutionskämpfe, durch den Krieg und die Flucht mit allen Gefahren und Entbehrungen, war geformt durch den Zusammenbruch seiner Existenz wie den Verlust seines ererbten Besitzes. Die äußerlichen Verluste waren zum Teil wettgemacht, die Schmach der Niederlage, beraubt worden zu sein, war nicht getilgt. Aber er hatte auch den Bruch zwischen seiner traditionellen humanistischen Bildung, zwischen seiner Gymnasial- und Studienzeit, dem Studium der Rechtswissenschaft und einigen Pflichtsemestern Philosophie und dieser realen Welt unbarmherziger Tatsachen vollzogen, aus seiner Sicht, ein Gewinn gegenüber dem alten Leben vor Schreibtisch und Akten, einem Leben in der dünnen Luft ästhetischer Spekulationen, denen er tatsächlich nie verfallen gewesen war, obschon er sich einredete, er habe in seinem früheren Dasein zur Grübelei geneigt. Er suchte nach neuen Ideen und Lebensinhalten in dieser Welt bitterernsten Lebenskampfes; er war ein Mann klarer, sachlicher und harter Entscheidungen geworden. Dies bestimmte sein Handeln.
Die alten Parteien der Kaiserzeit, hätte es sie noch in alter Gestalt gegeben, würden ihn nicht angezogen haben. Als Konsul und freier Anwalt hatte er sich damals kaum um Parteien und um Politik überhaupt gekümmert. Um wie viel mehr mussten ihn die Parteien der demokratischen Ära in der Weimarer Republik abstoßen. Der neue Reichstag, die unnatürliche Koalition des Zentrums mit der Sozialdemokratie, kurz, alle diese Parteien erschienen ihm als korrupt, zänkisch, beschränkt, liebedienerisch gegenüber den Siegermächten und jedenfalls unfähig, Deutschland aus der Erniedrigung hinauszuführen. Und zwangsläufig musste er, weil es in der Zeit lag und weil er wie viele nach einer neuen sittlichen Grundlage suchte, eine neue Partei entdecken, die eines anderen Typus, als die bürgerlichen Redevereine. Den Kommunismus hatte er in Gestalt des Bolschewismus bekämpft; wohin also sich sonst orientieren?
Die Nationalsozialisten, denen er sich entschlossen zuwendete, wurstelten, als Einar in Berlin erschien, mit einigen Tausend Mitgliedern und einer verzweifelt kleinen Schar idealistischer SA herum. Der spontane Eintritt des Anwalts, eines Freiberuflers und Intellektuellen in die Partei des Staatsverbrechers Hitler und in die SA kam einer Sensation gleich, wiewohl die proletarischen Garden Abstand zu ihm hielten. Der erste Versuch der Partei, die Macht in Bayern zu erobern und auf Berlin zu marschieren, war zwar gescheitert, aber die Idee einer deutschen Auferstehung, seiner Wiedererweckung und Erneuerung, die Idee einer völkischen Neuordnung, das Unfertige dieses Entwurfes entsprach den Zukunftshoffnungen Einars. Aus dieser Überzeugung heraus, wurde er Mitglied der neuen Partei, damals des von Rosenberg gegründeten Ersatzvereins, weil die Partei Hitlers just verboten war, und sofort einer ihrer prominentesten Berliner Intellektuellen. Ein Parteiamt, eine Funktion übte er nicht aus, auch nicht als die Nazis wieder zugelassen wurden; seine Mitgliedschaft in der SA war tatsächlich eher nominell auf Frontkameradschaft gegründet.
Dem Sohn des kaiserlichen Konsuls, kurzzeitig selbst Träger dieses Titels, dem Anwalt und Freikorpsoffizier öffneten sich auch die Standesorganisationen. Er war an allen Gerichten zugelassen, durfte selbst vor dem Reichsgericht plädieren. Ständig ging sein Name in Verbindung mit irgendeinem der zahlreichen Prozesse, in denen er, geschliffene Plädoyers haltend, auftrat, durch die Presse. Die schlanke Gestalt, in brauner, bald in schwarzer Uniform, in der atlasglänzenden Amtsrobe des Strafverteidigers, bei Gesellschaften in Abendanzug oder im Frack, war er eine schillernde Figur im Berlin jener Tage. Blauäugig, beim Lächeln zwei weiße Zahnreihen weisend, ein gewandter Tänzer, Läufer, Schwimmer, Reiter, Schütze und Fechter, wurde er in den bestimmenden Kreisen der Hauptstadt freundlich bis enthusiastisch akzeptiert. Als Salonlöwe zeigte er sich meist in Begleitung seiner beiden Damen, die eine, baltische Baronin, ihm ähnlich und seine enge Vertraute, wie man wissen wollte, die andere, zierlicher, sonniger, seine junge Gattin Isolde. Als Gruppe erweckten sie Neugier, wohin sie kamen, in der Oper, auf Bällen, im gesellschaftlichen Zirkel. Und schließlich überredete ihn ein bekannter Berliner Verleger, seine Revolutionserlebnisse und die Flucht durch Sibirien, um den halben Erdball herum, aufzuschreiben. Zusammen mit seiner Schwester, da ihm die lange zeitraubende Arbeit nicht lag, schrieb der Anwalt einen Tatsachenroman. Er fand Gefallen, nicht am Schreiben, sondern an dem literarischen Tamtam. Sein Buch erschien unter dem Titel: Hinter den Linien in immer neuen Auflagen und mehrte den Reichtum der Geschwister und das Ansehen des Verlegers, der bald im Hause Einars freundschaftlich verkehrte, ohne indessen die politischen Vorstellungen des Anwalts ganz zu teilen ...
Instinktiv mied Hermann Karl Einar die Salons des neuen Westens; er fühlte sich dort nicht wohl, ihm lag auch nicht viel daran, an anderen Revolutionshelden gemessen zu werden, wie sie als Figuren der Zeit neben allen möglichen anderen Abenteurern aufzutreten begannen und ihre Geschichten verbreiten ließen. Einem Filmhelden Max Hoelz, wollte Einar nicht gerade im Salon der Mätresse eines bürgerlichen Politikers begegnen. Links und revolutionär zu sein, das war zwar immer noch Mode, ein schaler Nachklang der bewaffneten Kämpfe des November 1918 und des Januar 1919, von Seichtköpfen auf den Bühnen der Theater, in den literarischen Cafés und in den Salons des Kurfürstendamm inszeniert und produziert. Einar misstraute diesem Treiben, die Revolutionskultur war ihm politisch zu verwaschen, zu verlogen und zu sentimental, der herausgestellte Pazifismus gewisser Kreise erschien ihm weltfremd und lächerlich. Überdies wusste er zu genau, wie sich Intellektuelle in ihrer Mehrheit im wirklichen Kriege benehmen ....
Auch die Baronin Sustschina-Einar hatte sich gewandelt, falls ihre kurze und schwärmerische Zeit der Ehe und der neuen Religion nicht bloß Vorspiel für den Durchbruch ihrer wahren und kraftvolleren Persönlichkeit gewesen war. Aus der weichen Süße des Byzantinertums, der strahlenden Liturgie, der Anschauungsweise des orthodoxen Erlösungsglaubens wechselte sie zurück in den harten Lutherismus ihrer Ahnen, und ging bald in ein germanisches Neuheidentum auf. Sie zog auch die Schwägerin in den Bann des neuen Glaubens an den rettenden, welterlösenden arischen Messias, der den mosaischen Urfeind austreiben würde, und ihre Fürsorge für Schwägerin und Neffen gipfelte in der Vorstellung, sie sei die wahre Mutter des Knaben Moog, da sie ihn gleichsam auf ihren Händen aus dem Feuer getragen hatte. Isolde, Tochter eines Musikprofessors, Direktor eines Konservatoriums in Lübeck und Wagnerianer, stand dem Nibelungenkult nahe genug ...
Im Sommer des Jahres 1932 waren alle diese Entwicklungen und Verpuppungen bis zu einem gewissen Grade abgeschlossen; der Anwalt saß als Abgeordneter der Nationalsozialisten im Reichstag. Er befasste sich neben seinen Prozessen und dem Notariat viel mit Siedlungsfragen und Problemen der Raumordnung. Obschon er die Lebensmitte überschritten hatte, übte er sich im Laufen und Schwimmen und anderen Leibesübungen, vielleicht bloß aus seinem starken Lebensgefühl