Michael Voß-von Patay

Trixie Zeitlos und das Geheimnis der Mona Lisa


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nicht, wie sehr mir dieses be-zau-bern-de Kettchen gefällt! Hach – ich bin ja irgendwie ganz hin und weg! Und besonders diese reizende blaue Perle da..."

      Als er versuchte, nach der Kette zu greifen, trat Trixie automatisch einen Schritt zurück. Unglücklicherweise hatte Boris die Kette aber noch erwischt und – ritsch! – war der Faden gerissen. Trixie versuchte sie aufzufangen, doch es war zu spät. Kreuz und quer hüpften die Perlen über den Boden, verschwanden in Ritzen, rollten in ein Gully, kollerten eine Treppe hinunter. Einen Augenblick war Trixie wie gelähmt – und auch Boris schien mit diesem Verlauf der Dinge nicht gerechnet zu haben. Mit stierem Blick und offenem Mund glotzte er den umherspringenden Perlen nach und rührte sich nicht. Schließlich kam Trixie wieder zu sich: Ihre Lieblingsperle, größer als die übrigen und türkisblau wie das Meer – wo war sie? Alles andere war nicht so wichtig. Aber diese eine hatte es in dem Perlenladen kein zweites Mal gegeben. Es war die letzte gewesen, und die Verkäuferin hatte ihr noch gesagt, dass sie so etwas auch nicht wieder bekommen werde. "Du Idiot!", schrie Trixie und warf Boris einen wütenden Blick zu.

      "Sofort sammelst Du meine Perlen wieder zusammen, oder..."

      "Oder was? Willst Du mir etwa Angst einjagen?" Und schon schlenderte Boris betont lässig über den Schulhof davon. "Und überhaupt:", rief er, als er schon ein ganzes Stück entfernt war, "Ich fand Deine Kette echt ziemlich bescheuert!"

      Lotte hatte sich unterdessen daran gemacht, die Perlen, soweit sie diese wiederfinden konnte, aufzusammeln. Trixie beeilte sich, ihr zu helfen. "Meine Lieblingsperle", flüsterte sie mit gepresster Stimme, "die so blau schimmert wie das Meer..."

      Als die Pause vorüber war, hatten die beiden zwar die meisten Perlen wiedergefunden, doch die Eine blieb verschwunden. Schweren Herzens musste Trixie ihre Suche aufgeben. Die folgende Mathestunde wollte und wollte nicht enden. Nach dem Unterricht beeilte sie sich, gleich wieder auf den Schulhof zu kommen. Zwar half Lotte bei der Suche, doch als es schließlich zur letzten Stunde läutete, ohne dass sie etwas gefunden hätten, war Trixie noch niedergeschlagener. Als sie jedoch wieder auf ihrem Platz saß und die Federtasche öffnete, leuchtete ihr plötzlich etwas entgegen - türkisblau wie das Meer. Das konnte doch nicht wahr sein: Sie und Lotte waren auf dem ganzen Schulhof herumgekrochen, hatten ihre Nasen unter Bänke und Büsche gesteckt. Und jetzt hatte die Perle von selbst wieder zurückgefunden?

      Trixie nahm die blau schillernde Kugel vorsichtig in die Hand und betrachtete sie genau. Kein Zweifel – das war ihre Perle. Unsicher blickte sie sich um. Niemand benahm sich verdächtig, zwinkerte ihr zu oder sah überhaupt nur zu ihr herüber. Natürlich war sie froh – aber gleichzeitig kam ihr das Ganze auch so seltsam vor, dass sie sich nicht einmal traute, Lotte von dieser unglaublichen Entdeckung zu erzählen.

      Ihr größter Schatz

      Zu Hause verzog Trixie sich gleich nach dem Mittagessen in ihr Zimmer. Nachdem sie die Perlen schließlich von Neuem aufgefädelt hatte, legte sie ihre Kette auf den Tisch vor der kleinen Couch und betrachtete sie nachdenklich. Irgendwie fühlte sie sich niedergeschlagen. Und das lag nicht nur daran, dass es inzwischen wieder angefangen hatte zu regnen. Nein – sie war einfach nicht gut drauf. Dabei hätte sie doch durchaus Grund zur Freude haben können, jetzt wo alles wieder in Ordnung war. Sie wusste auch nicht genau, woran es lag. Vielleicht doch am Wetter? Oder war es der Ärger über Boris? Dass dieser Typ sie auch nicht in Ruhe lassen konnte. Als ob es nicht reichen würde, dass er Asko damals so übel mitgespielt hatte. Trixie konnte sich noch sehr gut an diesen Tag im letzten Sommer erinnern. Asko hatte, wie üblich, um die Mittagszeit hinter der Hecke ein wenig vor sich hin gedöst. Boris, der ein paar Straßen weiter wohnt, hatte das wohl mitbekommen und einen Einfall, den er für unglaublich spaßig hielt.

      Dazu hatte er sich einen Silvesterböller gegriffen, von denen er jedes Jahr ein paar aufbewahrte. Nachdem er genau an die Stelle der Hecke herangepirscht war, von der er wusste, dass Asko dahinter sein Schläfchen hielt, hatte er den Böller angezündet und über die Hecke geworfen. Der arme Asko war mit einem kläglichen Jaulen zuerst senkrecht in die Luft und dann wie eine Rakete ins Haus geschossen, aus dem er sich den Rest des Tages nicht mehr hervorgetraut hatte.

      Hinter der Hecke hatte Boris sich vor Lachen den Bauch gehalten, doch immerhin war dieser Streich auch für ihn nicht ohne Nachspiel geblieben. Trixies Mutter hatte noch am selben Tag bei seinen Eltern angerufen und ihnen berichtet, was dem armen Asko widerfahren war.

      Dafür wurde dem Übeltäter nicht nur sein gesamter Böllervorrat abgenommen, sondern auch noch das Taschengeld gekürzt. Seitdem schien er sich bei jeder Gelegenheit für diese Schmach an Trixie rächen zu wollen – da war nichts zu machen.

      Trixie stand auf und starrte aus dem Fenster. Von hier oben, direkt unter dem Dach, hatte man normalerweise einen guten Blick über die umliegende Gegend. Doch heute war alles nur trübe und grau. Regen, nichts als Regen – obwohl es doch am Vormittag schon ganz gut ausgesehen hatte. Sie schaltete ihr Radio ein, dann öffnete sie die untere Schublade ihres Schreibtisches und holte das alte Holzkästchen heraus, das ganz hinten unter einigen Postkarten versteckt lag. Sie trug es zur Couch und öffnete es. Immer wenn sie schlecht drauf war, tat sie das. In dem Kästchen befand sich eine Uhr – ihr größter Schatz. Nicht irgendeine Uhr, sondern etwas ganz Besonderes - eine goldene, dreihundert Jahre alte Taschenuhr. Sie hatte einmal Trixies Großvater gehört, und es war das Einzige, das sie von ihm besaß.

      Viel wusste sie nicht über ihren Großvater. Er stammte aus Frankreich und hatte sich als junger Student in ein deutsches Mädchen verliebt. Ihr zuliebe war er nach Deutschland gezogen, wo einige Zeit später Trixies Mutter zur Welt gekommen war. Viele Jahre lang hatte er als Wissenschaftler an einer kleinen Universität gearbeitet – bis er kurz vor Trixies Geburt plötzlich spurlos verschwunden war. Niemand hatte ihn je wiedergesehen. Ihre Mutter sprach nicht gern darüber, aber von ihr wusste Trixie immerhin einiges über ihn.

      "Er hat die Menschen geliebt", hatte sie ihr erklärt, "und das, obwohl er oft den Kopf über sie geschüttelt hat. Er war der Meinung, dass sich die Erwachsenen meistens viel zu wichtig nehmen würden. 'Sie sollten von ihren Kindern lernen, dann würden viele von ihnen besser durchs Leben kommen.', hat er mal gesagt. Mit seinen Ideen und Gedanken hat er allerdings oft Verwunderung ausgelöst. Daher zog er sich manchmal tage-, oder auch wochenlang in sein Labor zurück und vergrub sich in seine Forschung. Er war ja Physiker, ein Wissenschaftler mit ganzer Seele, aber leider wurde er von vielen seiner Kollegen nicht so richtig ernst genommen."

      Eines Tages hatte Trixie zufällig gesehen, wie ihre Mutter diese Uhr in der Hand gehalten und nachdenklich betrachtet hatte. Trixie ließ sich das kleine Wunderwerk zeigen und staunte über die vielen kleinen Zahnräder, die man erblicken konnte, wenn man den Deckel auf der Rückseite öffnete. Hierzu brauchte man etwas Übung, und selbst Trixies Mutter musste einige Zeit herumprobieren, bis ihr dies gelungen war. Anders war es mit dem zweiten Deckel, der das Zifferblatt bedeckte. Drückte man auf ein winziges Knöpfchen, sprang dieser von selbst auf, ohne dass man nachhelfen musste. Die feinen Zeiger waren schwarz und sehr schmal. Nur in der Mitte waren sie etwas breiter, um nach außen in eine haarfeine Spitze auszulaufen. Überhaupt besaß die Uhr kaum irgendwelche Verzierungen oder Schnörkel. Aber gerade diese Schlichtheit brachte den warmen Glanz ihres Gehäuses besonders zur Geltung.

      Und schon damals hatte Trixie etwas gespürt - ein seltsames Gefühl der Vertrautheit, so als hätte diese Uhr schon immer zu ihr gehört.

      Ein halbes Jahr später war Trixie beim Inline-Skating so unglücklich gestürzt, dass sie sich ein Bein gebrochen hatte. Drei Wochen lang konnte sie nichts anderes tun als auf der Couch herumzuliegen. Um ihr diese Zwangspause wenigstens etwas zu versüßen, hatte ihre Mutter ihr schließlich zum Trost die Taschenuhr geschenkt.

      "Als ich selbst noch jung war", hatte sie Trixie erklärt, "habe ich sie von meinem Vater bekommen. Schon damals hat er mir allerdings ein Versprechen abgenommen: Falls ich einmal selbst ein Kind haben würde, sollte ich ihm eines Tages diese Uhr weitergeben. Auch er selbst hatte sie vor langer Zeit von seinem Vater erhalten und dieser wiederum von seiner Mutter. Eigentlich hatte ich vor, noch etwas warten. Es ist nicht nur deshalb, weil Du noch recht jung bist. Du könntest mit ihr auch nicht viel anfangen.