Michael Voß-von Patay

Trixie Zeitlos und das Geheimnis der Mona Lisa


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und Wertvolles ist. Aber für Dich wird ihr Wert hauptsächlich darin bestehen, dass sie ein Andenken an Deinen Großvater ist."

      Seltsame Ruhe

      Seitdem bewahrte Trixie ihre Uhr in der Schreibtischschublade auf. Und immer, wenn sie irgendetwas betrübte, holte sie ihren Schatz heraus. Und so war es auch heute. Kaum hatte sie die Uhr aus dem Kästchen genommen, waren Boris und der ganze Ärger mit der Kette schon fast vergessen.

      Da hatte sie plötzlich eine Idee. Zum Geburtstag hatte sie von ihrer Tante ein Vergrößerungsglas bekommen. Damit müsste man doch dieses Gewirr aus winzigen Zahnräder und Federn im Inneren der Uhr noch viel besser betrachten können. Sie überlegte nicht lange, sondern klappte den hinteren Deckel auf, der das Innenleben der Taschenuhr verbarg. Durch die starke Vergrößerung wirkte es fast, als würde man in das Innere einer Kirchturmuhr blicken. Trixie fragte sich, ob der Uhrmacher, der dieses kleine Wunderwerk vor dreihundert Jahren zusammengesetzt hatte, wohl auch über eine solche Lupe verfügt habe. Wie sonst sollte man wohl dieses Sammelsurium aus solch winzigen Teilen zu einem funktionierenden Ganzen zusammensetzen können? Sie drehte und wendete das kleine Kunstwerk hin und her. Überall lagen hinter den größeren Rädchen und Federn weitere Teile versteckt. Doch – Moment mal – was war das? Das gehörte da doch bestimmt nicht hin?!

      Zwischen zwei Zähnen eines der kleinen Zahnräder schien ein winziges Körnchen zu klemmen. Trixie kniff die Augen zusammen. Es sah aus wie ein klitzekleines Sandkorn, das irgendwann einmal seinen Weg in das Innere des Uhrwerks gefunden und sich an dieser Stelle festgesetzt haben musste. In dem verwirrenden Durcheinander war es trotz der Vergrößerung kaum zu erkennen. Sollte dieses winzige Ding vielleicht der Grund dafür sein, dass die Uhr nicht mehr funktionierte?

      Während der Regen noch immer ans Fenster prasselte, überlegte Trixie, wie sie dieses Körnchen aus der Uhr herausbekommen könnte. Schließlich kramte sie aus ihrer Schreibtischschublade eine kleine Sicherheitsnadel hervor. Wenn man die weit genug aufbog, könnte es klappen. Aber war die Spitze auch fein genug? Sie betrachtete sie durch das Vergrößerungsglas, das sie in eine Halterung gesteckt und auf den Tisch gestellt hatte. Jetzt wirkte die Nadel fast wie ein Schaschlikspieß. Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und schaltete die Lampe an. In der einen Hand die Uhr, in der anderen die Nadel, kam sie sich fast wie ein Chirurg vor, der eine schwierige Operation durchzuführen hatte. Sie spürte, dass die Nadel leicht zu zittern begann, als sie sich dem Zahnrad näherte. Was wäre, wenn sie versehentlich eine der winzigen Federn beschädigte oder etwas verbog?

      Die Nadelspitze näherte sich dem Sandkorn, und plötzlich wurde Trixies Hand ganz ruhig. Mit einem Mal wusste sie, dass es ihr gelingen würde. Und tatsächlich: das Körnchen sprang aus der engen Umklammerung, in der es so lange festgesessen hatte - und ein leises Ticken erklang.

      Das Merkwürdige war allerdings, dass in diesem Moment, abgesehen vom Ticken der Uhr, vollkommene Ruhe eintrat. Das Radio gab keinen Ton mehr von sich. War der Strom ausgefallen? Aber dann hätte auch die Schreibtischlampe nicht mehr funktioniert, und die leuchtete nach wie vor. Dann fiel Trixie auf, dass auch das trommelnde Geräusch der Regentropfen verstummt war. Das gab’s doch nun wirklich nicht. So schlagartig hörte es doch nicht auf zu regnen. Ein Blick aus dem Fenster verstärkte ihre Ahnung, dass irgendetwas Seltsames geschehen sein musste. Sie sah die Regentropfen – aber sie fielen nicht mehr. Als sie zum Fenster ging, traute sie ihren Augen nicht: Die Tropfen hingen unbeweglich in der Luft! Ungläubig starrte sie hinaus. Allesamt schienen sie mitten im Fallen einfach stehengeblieben zu sein. Sie öffnete das Fenster und streckte vorsichtig einen Finger aus, um einen Tropfen zu berühren. Ihr Finger drang ohne Mühe durch ihn hindurch, und als sie ihre Fingerspitze betrachtete, war sie ein wenig feucht. Trixie spürte, dass sie langsam eine Gänsehaut bekam. Was war hier los?

      Alles steht still

      Träumte sie etwa? Ohne zu zögern zwickte Trixie sich in den linken Arm. Es half nichts: Die Regentropfen weigerten sich weiterhin, vorschriftsmäßig in Richtung Boden zu fallen. Langsam trat Trixie zwei Schritte vom offenen Fenster zurück. Hatte sie etwa den Verstand verloren? Doch bevor sie einen klaren Gedanken fassen konnte, zuckte sie vor Schreck so zusammen, dass sie fast die Uhr fallengelassen hätte, die sie noch immer in der Hand hielt. Ohne Ankündigung war das Radio angesprungen, und auch der Regen hatte plötzlich wieder eingesetzt.

      Ohne einen Moment zu überlegen, stürzte sie zur Tür, riss sie auf und rannte die Treppe hinunter.

      „Mama?!“, rief sie, als sie ihre Mutter nicht im Wohnzimmer fand, „Mama, wo steckst Du?“

      „Hier bin ich! In der Küche!“

      Trixie eilte in die Küche, wo ihre Mutter gerade damit beschäftigt war, einen Kuchen zu backen.

      „Na, was gibt es - warum bist Du denn so aufgeregt?“

      Trixie versuchte, ruhig zu bleiben, doch ihr Herz klopfte immer noch bis zum Hals. Ihre Mutter stand direkt vor dem Küchenfenster, doch ihr schien nichts Ungewöhnliches aufgefallen zu sein.

      „Hast Du vielleicht irgendetwas bemerkt?“, fragte Trixie vorsichtig.

      „Etwas bemerkt? Was meinst Du denn damit?“

      „Na, mit dem Regen zum Beispiel…“

      „Nein, was sollte ich denn da bemerkt haben? Es gießt und gießt. Das finde ich zwar alles andere als schön - aber keineswegs besonders ungewöhnlich.“

      „Und es war nicht so, dass es vorhin kurz aufgehört hat zu regnen?“

      „Nein, da bin ich mir wirklich ziemlich sicher. Ich habe zwar nicht die ganze Zeit aus dem Fenster geschaut, aber das hätte ich wohl mitbekommen.“

      Trixie entging nicht, dass ihre Mutter sie etwas verwundert ansah. Doch die Sache ließ ihr keine Ruhe.

      „Ist Dir auch nicht aufgefallen, dass es plötzlich ganz still wurde?“

      „Nein, wirklich nicht. Außerdem habe ich eben mit dem Rührgerät den Teig durchgeknetet. Und Du weißt ja: das ist so laut, dass man dann sowieso nichts anderes mehr mitbekommt. Hm - sag mal, geht’s Dir vielleicht nicht gut? Du machst einen etwas verstörten Eindruck auf mich…“

      In diesem Moment wurde Trixie klar, dass ihre Mutter nicht das Geringste von den seltsamen Erscheinungen bemerkt hatte. „Ach nein – es ist nichts. Ich glaube, ich bin eben tatsächlich auf meiner Couch eingenickt und habe komisches Zeug geträumt.“ Und damit verschwand sie wieder in ihrem Zimmer und setzte sich an den Schreibtisch.

      Sie hatte nicht geträumt. Das, was sie gerade erlebt hatte, war wirklich geschehen. Aber wie sollte sie das beweisen? Wer sollte ihr das jemals glauben? War sie womöglich der einzige Mensch, der davon etwas mitbekommen hatte? Das Radio lief noch immer, und da es sie gerade nur noch nervte, wollte sie es ausschalten. Da fiel ihr ein, dass gleich die Nachrichten kämen. Wenn plötzlich der Regen stillgestanden hatte, dann hätte das doch auch anderen Leuten auffallen müssen. In den Nachrichten wurde Trixies Beobachtung jedoch nicht mit einem Wort erwähnt. Lediglich die Wettervorhersage versprach zum Wochenende nachlassenden Regen und etwas mehr Sonne.

      Wahrscheinlich würde sich nie aufklären lassen, was geschehen war.

      „Also vergessen wir es lieber. Sonst kommt vielleicht noch jemand auf die Idee, dass ich ein Fall für den Psychiater bin“. Obwohl sie damit nicht besonders glücklich war, fiel ihr im Moment nichts besseres ein. Außerdem wurde es allmählich Zeit, dass sie endlich mit Asko Gassi ging. Sie konnte nicht die ganze Zeit in ihrem Zimmer herumsitzen und grübeln. Inzwischen hatte der Regen tatsächlich schon deutlich nachgelassen, so dass kaum noch ein Tropfen gegen die Fensterscheibe schlug. Also los! Nur die Uhr wollte sie vorher noch schnell wieder in das Kästchen zurücklegen.

      Doch was war das? Das Ticken war ja schon wieder verstummt! War die Uhr denn jetzt schon wieder abgelaufen?

      Offensichtlich war die Feder des Uhrwerks noch ein wenig gespannt gewesen, als sie das Sandkorn entfernt hatte. Schließlich hatte die