Werner Karl

Aevum


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verwirrt sein. Die Tatsache, dass der Zugang zu den Duschen und benachbarten Räumen bisher nie verschlossen war, ließ sie hoffen, dass dies auch jetzt der Fall sein würde.

      Augenblicklich erklang nun das rasche Tapsen von weichen Pfoten und das hechelnde Atmen eines Tieres. Eines großen Tieres. Und dahinter …

      Die ein wenig entfernteren Stimmen von Männern.

       Das ist kein Befreiungsversuch. Die wollen mich tatsächlich umbringen. Aber wieso?

      Ihr blieb keine Zeit mehr, dieser Frage nachzugehen, denn sie hatte die Tür zum Sporttrakt erreicht und mit einem Stoß die beiden Flügel auseinanderschwingen lassen. Dahinter war es noch finsterer als im Flur davor, doch Bérénice wertete dies als kleinen Vorteil. Mit Bewegungen, die einem Hasen auf der Flucht glichen, huschte sie zwischen mehreren schweren Gerätschaften hindurch. Sie hatte gerade ein Regal mit Hanteln erreicht, als ihr tierischer Verfolger mit einem wütenden Knurren ebenfalls in die Halle eindrang.

      Bérénice konnte das Tier nicht genau sehen, doch eine Ahnung, was es sein könnte, schob sich mit grausamer Wahrscheinlichkeit an die Oberfläche ihrer rasenden Gedanken. Die meinen es wirklich todernst, fuhr es ihr wie eisige Splitter durch das Hirn.

      Als sich ihr animalischer Verfolger vorsichtig schnüffelnd ein paar Schritte in die Halle bewegte und der schwache Mondschein aus einem der Fenster seinen Kopf ein wenig beleuchtete, wurde ihre Ahnung zur Gewissheit.

       Ein Werwolf!

      Natürlich war dieses Tier kein Werwolf im literarischen Sinne. Aber die Aufzucht besonders großer und genmanipulierter Wölfe, in Kombination mit ins Gehirn implantierten, selbstredend verbotenen Steuergeräten, verwandelte diese eigentlich scheuen Jäger in blutrünstige Kreaturen. Die Befehle, die sie als pseudo-animalische Impulse erhielten, steigerten ihren natürlichen Jagdtrieb über jegliche Hemmschwelle hinaus. Das Ergebnis waren mordgierige Monster, deren eigener Überlebenswille ausgeschaltet worden war.

      Bérénice war sofort klar, dass dieses Tier momentan ihren gefährlichsten Widersacher darstellte und nicht seine Peiniger, die sich noch im Hintergrund hielten.

      Wenn ich euch in die Finger kriege, dachte sie zornig, lockerte ihre Muskeln und griff in das Regal. Bérénice biss die Zähne aufeinander und schleuderte dem Wolf eine Zwei-Kilo-Scheibe entgegen. Er hatte sie zwar gesehen, aber im Wirrwarr der Gerätschaften das Geschoss nicht wahrgenommen. Leider traf die Scheibe nicht den Schädel des Tieres, weil dieses ihn just in dem Moment witternd angehoben hatte. Aber das Metall schlug heftig an die Gurgel des Werwolfes und ließ ihn vorerst röchelnd zurückweichen. Bérénice konnte hören, wie die Kreatur mühsam schluckte und zu atmen versuchte, und nutzte die Zeit, um sich eine bessere Waffe zu schnappen. Sie hatte sich gerade für eine lange Hantelstange entschieden, die sie nun wie einen Kampfstab in ihren Händen ausbalancierte, als zwei Männer die Halle betraten. Auf den ersten Blick erkannte die Haitianerin, dass die beiden so gut wie unbewaffnet waren, sah man einmal von dem Steuergerät ab, das einer der beiden in den Händen hielt, und dem Messer in der Rechten seines Kumpels.

      Auftragsmörder aus dem Männertrakt, zuckte die Erkenntnis durch Bérénice. Dann konzentrierte sie sich wieder auf den Werwolf. Der hatte offensichtlich seine Kehle wieder unter Kontrolle bekommen. Vielleicht waren es aber auch die Befehle, die er erhielt. Denn der erste Mann grinste nun hämisch und fingerte an dem Gerät herum.

      Bérénice ging ein paar Schritte zur Seite und positionierte sich vor einem Ding, das entfernt an eine Eiserne Jungfrau erinnerte. Anstelle von tödlichen Dornen besaß es eine Vielzahl von fingerdicken Metallstäben mit abgerundeten und mäßig gepolsterten Enden, welche die Muskulatur eines Sportlers durch Knetbewegungen anregen sollten.

      Der Werwolf jedoch hatte nur Augen für sein Opfer … das nun in erreichbarer Nähe war.

      In Bérénice schien ein unsichtbarer Schalter umzuspringen. Alles um sie herum wirkte so, als wäre es plötzlich wie in Acryl gegossen und völlig bewegungslos. Von einem Augenblick zum anderen war sie die kalte Killerin. In ihrem Inneren jedoch sah es völlig anders aus. Sie nahm Bewegungen wahr und konnte jeder winzigsten problemlos folgen, als wäre die ganze Welt – und ganz besonders dieser Raum und ihre Gegner – zu Eis erstarrt, das sich nur langsam schmelzend fortbewegte. Die wallende Glut in ihr schien diese Starre zu bedrohen, erfüllte die schwarze Frau jedoch bis in die letzten Fasern ihres Körpers.

      Dann …

      … flog der Werwolf mit gewaltigen Sprüngen auf Bérénice zu, die mit ruhigem Blick den Tod auf sich zukommen sah. Das Tier riss seine Kiefer mit vermeintlichem Schneckentempo auseinander, bereit, sie in das Fleisch der wartenden Gefangenen zu schlagen. Bérénice ließ sich niederfallen, wirbelte herum und aktivierte den Verschlussmechanismus des Sportgerätes. Der Schwung des Werwolfes ließ ihn durch die offenen Türflügel der Maschine krachen und drinnen Bekanntschaft mit den sonst harmlosen Dornen machen. Er war nur schwach verletzt, eher überrascht und leidlich benommen. Hätte er seinen freien Willen gehabt, wäre er sicher misstrauischer gewesen und hätte seinen Angriff anders ausgeführt. Jetzt genügte Bérénice, beziehungsweise der Maschine, dieser Moment, um die Flügel zu schließen. Das allein wäre noch nicht tödlich gewesen, denn die Sicherheitsvorrichtung verhinderte bei Widerstand ein völliges Zuschnappen. Aber für die ehemalige Trooperin war es mehr als genug Zeit, dem Werwolf die eiserne Hantelstange mit aller Kraft ins Genick zu treiben. Wie in Zeitlupe sah sie das kühl im Mondlicht schimmernde Metall in seinen Schädel eindringen. Sie hörte seine Nackenwirbel mit einem grässlichen und lang gezogenen Knirschen bersten und sah dann, wie das arme Tier endlich zusammenbrach.

      Als wäre der Tod des Werwolfes ein Signal an den imaginären Schalter in ihrem Kopf gewesen, fanden ihr Geist und ihr Körper wieder in den normalen Zeitablauf zurück. Die Agentin wartete das letzte Zucken ihres Gegners nicht ab, sondern zog ihre Waffe sofort wieder heraus. Dann ging sie mit schnellen Schritten zu einer Stelle, die ihr mehr Bewegungsfreiheit ließ.

      Die beiden gedungenen Mörder hatten sich offenbar auf ihr animalisches Mordinstrument verlassen und bekamen nun die Rechnung für ihren Fehler präsentiert. Der Anblick der bluttriefenden Hantelstange in den Händen einer schwarzhäutigen Amazone, die gerade bewiesen hatte, wie man mit so einem Ding zweckentfremdet umgehen konnte, ließ sie für einen Moment regungslos auf die Frau starren. Ihr zweiter Fehler war, dass sie keine Anstalten machten, ihr Vorhaben in letzter Minute noch aufzugeben.

      »So, Jungs …«, knirschte Bérénice eiskalt zwischen ihren Zähnen hervor, als sie sah, dass die Kerle ihren Schock überwunden hatten und langsam auf sie zuschritten, »… jetzt zu euch beiden.«

      Januar 2317

      »Miss Savoy, Sie geben also zu, Agent White kaltblütig erschossen zu haben.« Der Satz hing so klar im Raum, dass niemand auf die Idee kam, ihn tatsächlich als Frage zu betrachten. Dazu kam, dass der Vertreter der Staatsanwaltschaft einen so unangenehm ätzenden Tonfall an sich hatte, der nicht nur Bérénice und ihrer Verteidigerin in den Ohren schmerzte, sondern auch etlichen der zahlreichen Beobachter. Selbst der Richter verzog leicht seinen Mund, äußerte sich aber nicht.

      »Einspruch, Euer Ehren«, rief Amélie Colbert. »Miss Savoy hat die Tat nie abgestritten. Im Gegenteil: Sie hat unmittelbar nach dem Schuss selbst den Notruf ausgelöst.«

      »Im klaren Bewusstsein dessen, dass ein Plasmastrom aus einem Nadler – abgeschossen aus weniger als zwei Metern Entfernung – jedes Herz zerplatzen lässt wie eine Seifenblase! Das nenne ich kaltblütig, Frau Verteidigerin!«

      Colbert schüttelte genervt den Kopf und ihre bis zu den Kieferknochen reichende Pagenfrisur verlor für einen Augenblick ihre akkurate Form. »Von kaltblütig kann keine Rede sein. Miss Savoy – übrigens Agentin Savoy, aber darauf komme ich später noch einmal zurück – hat ohne Zweifel in Notwehr gehandelt. Es ist nichts anderes als blanke Ignoranz, Herr Staatsanwalt, diese Tatsache immer und immer wieder auszuklammern.« Die bildhübsche Agentin – hier als Verteidigerin Savoys und Vertreterin des Terranischen Geheimdienstes in Personalunion – setzte ein stahlhartes Lächeln auf. »Und wenn