»Na, dann herzlichen Glückwunsch!«, verkündete Ralph Bramkamp. Dann sah er erst Juttas versteinertes Gesicht. »Oder ist es gerade das, was dich so deprimiert?«, fragte er.
»Natürlich!«, entfuhr es Jutta. »Wir brauchen keinen Mann. Mutti und ich haben allein gelebt, seitdem mein Vater ums Leben gekommen ist. Ich sehe nicht ein, warum sich das auf einmal ändern soll.« Sie stemmte die Hände auf das Fensterbrett.
»Da kommt einfach so ein Reiterhofbesitzer an, und auf einmal tut meine Mutter alles, was er sagt. Ich finde das einfach ekelhaft.«
»Sieh mal, Jutta«, versuchte Herr Bramkamp sie zu beruhigen, »du betrachtest das Ganze im Augenblick wohl noch ziemlich einseitig. Vielleicht solltest du auch einmal versuchen, die Sache mit den
Augen deiner Mutter zu sehen.«
»Warum denn?«, maulte Jutta. »Warum soll ich mich in ihre Lage versetzen, wenn sie sich nicht in meine Lage versetzt hat?«
»Du wirst langsam erwachsen«, fuhr Herr Bramkamp fort. »Wenn du erst einmal dein Abitur gemacht hast, wirst du von zu Hause wegziehen, und dann wäre deine Mutter ganz allein. Kannst du nicht verstehen, dass sie auch gern einen Menschen haben möchte, der für sie da ist und der sie versteht?«
Jutta erwiderte nichts. Sie sah ein, dass der Lehrer mit seinem Einwand recht hatte, aber trotzdem war sie wütend auf ihre Mutter.
»Du hast doch sicher auch einen Freund, mit dem du gern zusammen bist«, fuhr Herr Bramkamp fort. »Genauso wird es mit deiner Mutter sein. Sie möchte wahrscheinlich einfach mit einem Menschen zusammenleben, den sie gern hat.«
»Und was ist mit mir?«, sagte Jutta laut. »Ich bin wohl auf einmal gar nicht mehr da?«
»Ich bin sicher, dass deine Mutter dich kein bisschen weniger liebt, wenn sie wieder heiraten sollte.« Herr Bramkamp hatte seine Bücher unter den Arm geklemmt. »Leider habe ich im Augenblick nicht mehr Zeit, um mich mit dir zu unterhalten!«, sagte er. »Aber vielleicht denkst du einmal ein wenig darüber nach, was ich dir eben gesagt habe. Du meinst bestimmt, dass das alles nur Belehrungen waren, die Erwachsene immer von sich geben. Aber ich glaube, ich weiß, wovon ich spreche, denn meine Tochter hat fast genauso reagiert, als sie mich kennenlernte.«
Er lächelte, als er Juttas überraschten Blick sah.
»Sabine war zwölf Jahre, als ich ihre Mutter geheiratet habe. Ihr Vater war kurz nach ihrer Geburt gestorben. Es hat zwar einige Zeit gedauert, bis ich mich mit Sabine verstand, aber heute möchte ich sie für nichts auf der Welt wieder hergeben.« Herr Bramkamp nickte Jutta ermunternd zu. »Ich glaube, du wirst deine Mutter auf keinen Fall verlieren, wenn sie wieder heiratet. Wahrscheinlich gewinnst du sogar einen Vater dazu!«
Damit verließ Herr Bramkamp das Zimmer.
Gerede!, dachte Jutta, während sie die Treppe hinunterging. Auf dem Schulhof umringten sie sofort ihre Klassenkameradinnen.
»Was wollte er denn von dir?«, fragte Greta.
»Nichts!«, murmelte Jutta. Die Neugier der anderen ging ihr auf die Nerven.
»Nun sag doch schon!«, drängte Greta.
»Einen Heiratsantrag hat er mir gemacht!«, entgegnete Jutta trocken. Greta starrte sie an.
»Einen Heiratsantrag?«, wiederholte sie ungläubig. »Und ... du hast doch nicht etwa ja gesagt?«
Greta sah sich ratlos um, als die anderen plötzlich in schallendes Gelächter ausbrachen.
Zweites Kapitel - Ungemütliche Aussprache
Die restlichen Schulstunden gingen vorüber, doch Jutta nahm sich jetzt zusammen und fiel nicht noch einmal unangenehm auf. Nach dem letzten Klingeln ging sie heim, ohne sich um Marianne und die anderen Mädchen zu kümmern, die noch ins Eiscafé neben der Schule wollten. Zu Hause warf sie ihre Schultasche in ihrem Zimmer auf das Bett und schaute in der Küche nach, was sie heute zum Mittagessen kochen sollte.
Seit sie aufs Gymnasium ging, kümmerte sie sich um das Mittagessen, weil ihre Mutter in der Mittagspause nur »auf einen Sprung« aus der Firma, in der sie arbeitete, herüberkommen konnte.
Jutta schälte die Kartoffeln und setzte einen Blumenkohl in einem Topf mit etwas Wasser auf die Herdplatte. Während sie den Tisch deckte und die hübschen bunten Sets, die sie ihrer Mutter zu Weihnachten geschenkt hatte, unter die Teller legte, kamen ihre trübsinnigen Gedanken zurück Bald, dachte sie, würden die schönen Tage vorbei sein, an denen sie mit ihrer Mutter wie mit einer guten Freundin die kleine Wohnung teilte.
Allein schon der Gedanke, dass ihre Mutter bald mit einem Mann zusammenleben Würde, den sie noch nicht einmal kennengelernt hatte, machte sie ganz unglücklich.
Als die Kartoffeln gar waren, nahm sie den Blumenkohl ebenfalls vom Herd und mühte sich ab, eine holländische Sauce zuzubereiten. Anschließend briet sie zwei Schnitzel und stellte alles zusammen auf die Warmhalteplatte.
Eine Viertelstunde später klapperten die Schlüssel ihrer Mutter im Schloss. Grit Fassbender kam herein.
»Puh, das ist heute wieder einmal ein Tag!«, sagte sie und stellte ihre Handtasche im Flur auf die kleine Kommode. Rasch verschwand sie im Badezimmer, um sich ein wenig frisch zu machen.
Stumm trug Jutta Kartoffeln, Blumenkohl und Schnitzel auf. Ihre Mutter trat in die Küche.
»Alles in Ordnung?«, erkundigte sie sich.
»Mhh«, sagte Jutta.
»Du siehst so komisch aus, hast du irgend etwas?«, wollte Frau Fassbender wissen. »Hat es in der Schule Ärger gegeben?«
Jutta gab keine Antwort.
»Ich möchte gern wissen, was mit dir ist«, setzte Grit Fassbender sanft hinzu.
»Nichts!«, erwiderte Jutta. »Überhaupt nichts. Mahlzeit!«
Frau Fassbender griff nach ihrem Besteck. Schweigend begannen sie zu essen. Jutta schmeckte kaum etwas, weil ihre Gedanken weit fort waren. Sie spürte, dass ihre Mutter eine Aussprache suchte, aber irgendwie brachte sie es nicht fertig, den Anfang zu machen. Hilflos sah Jutta auf ihren Teller.
»Warum isst du denn nichts?« Frau Fassbender sah ihre Tochter beunruhigt an. »Du bist doch nicht etwa krank? Die Schnitzel sind übrigens ausgezeichnet. Der Mann, der dich einmal heiratet, bekommt eine perfekte Köchin ...«
Das brachte das Fass zum Überlaufen.
»Soll ich vielleicht auch für meinen zukünftigen Stiefvater kochen?«, fragte Jutta aggressiv.
Ihre Mutter starrte sie verständnislos an. »Ich verstehe nicht, was du meinst!«, sagte sie.
»So, du verstehst es nicht!«, sagte Jutta bitter. »Und was hast du gestern am Telefon mit diesem Gerold Kehrmann besprochen? Hast du da nicht zuckersüß zu ihm gesagt ›Wir können am Sonnabend losfahren‹ und dann ›Das wäre herrlich, wenn wir das Wochenende auf dem Reiterhof verbringen könnten.‹ Du hast gar keine Ahnung, wie ekelhaft sich das angehört hat!«
Grit Fassbender runzelte für einen Augenblick verärgert die Stirn, aber dann brach ein befreiendes Lachen aus ihr heraus.
»Ach, du hast gestern Abend gelauscht!«, stellte sie fest. »Was ist denn schon dabei, wenn wir einmal für ein Wochenende einen Freund auf seinem Reiterhof besuchen?«
»Aha, einen Freund?«, fragte Jutta spöttisch. »Das ist es ja. Gib doch zu, dass ihr beiden heiraten wollt - du und dieser Freund mit seinem Reiterhof!«
Grit Fassbender sah ihre Tochter scharf an. Doch dann wurden ihre Blicke nachdenklich. »Wir haben zwar noch nicht darüber gesprochen«, sagte sie dann. »Aber ich glaube, dass du vielleicht recht hast.« Sie wich Juttas Blick kurz aus. Doch dann sah sie ihre Tochter wieder an. »Ich habe Gerold sehr gern, das ist richtig. Und wir beide werden vielleicht auch einmal heiraten. Ich sage ›vielleicht‘, weil wir uns erst vor knapp einem Monat