Celine Ziegler

REMEMBER HIS STORY


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ängstlich laufe ich durch den Flur, achte darauf, nicht auf gefährliche Gegenstände zu treten, und stelle mich in den Türrahmen zu dem Raum, wo Nathan sitzt. Er sitzt gelangweilt auf der Couch und sieht fern. Doch dann schaut er zu mir. Sein Blick fällt auf meinen Körper, der kaum bedeckt ist, dann wieder in mein Gesicht. „Was soll das?“, fragt er und setzt eine böse Miene auf.

      Noch mehr verunsichert halte ich das Handtuch um meine Brust fester und sehe auf meine blanken Füße. „Ich, ähm …“ Weil ich denke, dass er mich wieder gereizt unterbrechen wird, stoppe ich und sehe ihn an, aber er tut es nicht. Er sieht mich zwar genervt an, doch redet nicht. Deswegen rede ich weiter. „Ich habe keine Klamotten.“

      „Doch hast du.“

      „Ja. Aber sie sind stark beschmutzt und nass … Ich kann sie unmöglich anziehen.“

      „Und?“

      Unruhig kaue ich auf meiner Innenlippe. „Vielleicht … Vielleicht könntest du mir, na ja … Etwas von deinen geben.“

      Er sieht von mir weg. „Vergiss es. Sieh zu, wie du klarkommst.“

      Enttäuscht davon, dass seine nette Phase anscheinend wirklich schon ein Ende genommen hat, drehe ich mich um und gehe wieder ins Bad. Das hätte ich mir eigentlich auch denken können. Ich kann mich glücklich schätzen, dass er nicht noch schlimmere Sachen zu mir gesagt hat.

      Ich bücke mich wieder zu meinen Klamotten und inspiziere sie erneut. Ich ziehe mir meine Unterwäsche an, die zum Glück nicht nass ist und versuche mich dann in meine völlig durchnässte Jeans zu quetschen. Ich verzweifle. Der Stoff klebt widerspenstig an meiner Haut und es will einfach nicht funktionieren. Ich bin am Ende. So geht das nicht. So kann das einfach nicht gehen. Nathan hat schon keinen Föhn, womit ich meine Haare trocknen kann, was definitiv eine Erkältung nach sich ziehen wird, und jetzt auch noch meine dreckigen Klamotten. Ich könnte eigentlich auch gleich hier auf dem Boden ausrutschen und mir ein Bein brechen, das wäre beinahe das weniger schlimme Übel.

      „Honor“, ertönt plötzlich Nathans dunkle Stimme durch die Tür. Er steht nicht davor, sonst würde ich ihn sehen.

      Ich sehe einfach nur zur Tür und weiß nicht, was ich machen soll, weil er nichts weiter sagt.

      „Ich rufe nicht ein zweites Mal.“

      Oh, okay. Schnell stehe ich auf, schnappe mir das Handtuch und halte es vor meinen halb nackten Körper. „Ja?“, sage ich und stelle mich in den Flur, wo ich ihn nicht entdecken kann.

      „Komm her“, kommt seine Stimme aus einem Zimmer. Ich gehe dort hin und stelle mich in den Türrahmen.

      Nathan steht in dem dunklen Raum vor einem Regal und zieht etwas aus einer Schublade, schmeißt es auf eine Matratze, die einfach am Boden liegt.

      „Was ist das?“, frage ich.

      „Was glaubst du wohl?“

      Ich gehe zwei Schritte darauf zu und betrachte es näher. Er hat mir eine schwarze Stoffhose und ein schwarzes T-Shirt rausgelegt. Er hat mir wirklich von sich Klamotten rausgelegt. Anscheinend ist seine nette Phase doch noch nicht vorbei. Ich sehe ihn an und lächle mehr als dankend. „Vielen Dank. Das ist wirklich nett.“

      Er sieht schnell weg und rümpft die Nase, als hätte ich ihn beleidigt. Während ich das T-Shirt in die Hand nehme, sehe ich, wie er meine Hände gedankenverloren beobachtet und auf seiner Innenwange herumkaut. Etwas scheint ihn anzuspannen, er wirkt ganz und gar nicht zufrieden.

      „Du musst mir deine Klamotten nicht geben“, sage ich, weil ich mir jetzt nicht mehr sicher bin, ob er das wirklich will. „Ich schätze sehr, dass du es mir angeboten hast, aber …“

      „Nimm es einfach“, unterbricht er mich und atmet tief ein und aus. „Die Sachen sind mir sowieso zu klein.“

      Ich nicke und nehme mir die Hose und das Shirt, achte darauf, dass mein Handtuch nicht von meinem Körper wegrutscht. „Danke“, sage ich leise und drehe mich etwas von ihm weg. „Ich werde wieder ins Badezimmer gehen.“ Und verschwinde im Bad.

      Die fünfte nette Sache. Ich muss in mich hineinschmunzeln, als ich seine Klamotten in meinen Händen halte. Natürlich sind sie schwarz, doch sie sind ein Geschenk von ihm für mich und das macht es gleich viel schöner. Heute scheint der erste Tag zu sein, an dem Nathan wirklich nett zu mir ist. Na ja, er hat mir schon vor zwei Wochen bei unserer ersten Begegnung das Leben auf der Straße gerettet und mich vor ein paar Tagen spät abends nach Hause gefahren, aber jetzt habe ich das Gefühl, dass er es auch wirklich so meint, wenn er es tut.

      Schnell ziehe ich mir die Sachen über und fühle mich direkt wohler. Sie sind mir zu groß, doch nicht sehr viel. Es ist bequem. Ich kämme mir meine Haare mit meinen Fingern durch und verfluche es, dass er keinen Spiegel hat. Ich muss scheußlich aussehen, mit verschmierter Wimperntusche und geröteten Wangen.

      Ich schnappe mir meine anderen Klamotten und meinen Koffer, ziehe mir meine Schuhe an und gehe so aus dem Bad, schließe die Tür leise hinter mir. Ich erinnere mich an Nathans Bitte, ich solle einfach schweigend gehen, wenn ich fertig bin, und bedankt habe ich mich auch schon bei ihm für die Klamotten, deswegen öffne ich leise die Wohnungstür, um zu verschwinden, wie er es gesagt hat. Erkältung, ich komme.

      „Hey“, hält mich Nathans Stimme auf und ich drehe mich verwirrt um. Er steht im Flur und zieht sich gerade seine schwarze Jacke über, dann seine Kapuze über den Kopf. „Ich nehme dich mit.“

      „Du nimmst mich mit?“

      Er nimmt sich seinen Schlüssel vom Regal und kommt auf mich zu. Seine Brust ist meiner gefährlich nah, als er an mir vorbeigreift, um das Licht auszuschalten, doch trotzdem entgeht mir nicht sein Geruch, den ich das erste Mal rieche. Es riecht nach … Nathan. Einfach nach Nathan. Es riecht gut.

      „Ja, ich nehme dich mit“, wiederholt er und geht an mir vorbei in den Hausflur.

      Ich schließe die Tür überfordert hinter mir und folge ihm schnell, ziehe mir meinen verdreckten Mantel über. „Mit deinem Motorrad?“

      Mit schnellen Schritten läuft er die vielen Treppen nach unten. „Ja.“

      „Wieso?“, frage ich und muss mich anstrengen, seinen schnellen Schritten standzuhalten.

      Plötzlich bleibt er stehen und ich knalle in seinen breiten Rücken. Er sieht über die Schulter zu mir. „Willst du laufen?“

      Ich blinzle. „Nein, ich … aber …“

      „Also hör auf, so beschissene Fragen zu stellen.“

      „Tut mir leid“, sage ich leise vor mich hin, als wir das Haus verlassen.

      Die sechste nette Sache, die er für mich tut. Es ist seltsam. Das alles ist seltsam. Er tut all das, aber gleichzeitig kommt es mir so vor, als würde er es nicht wollen. Als wäre es eine riesige Belastung für ihn. Irgendetwas kann doch da nicht stimmen. Aber trotzdem bin ich mehr als froh, dass ich nicht mit meinen nassen Haaren nach Hause laufen muss. Allerdings wird mir der kalte Wind auch einen ordentlichen Zug verpassen, doch es ist immer noch besser, als eine halbe Stunde zu laufen. Und ich komme vielleicht noch pünktlich nach Hause.

      Nathan läuft neben das Haus zu seinem Motorrad, setzt sich darauf und tritt es an. Er muss es wohl eilig haben.

      Schnell gehe ich zu ihm und setze mich vorsichtig hinter ihn, damit ich meinen Koffer und meine Klamotten nicht verliere. Er setzt sich seinen Helm auf und nimmt das Motorrad vom Ständer.

      Ich rutsche nah an ihn heran. Es ist einfach dieses Gefühl der Sicherheit, das er mir vermittelt, wenn ich hinter ihm sitze, was mich näher an ihn heranbringt. Außerdem ist es so wärmer. Er strahlt eine gewisse körperliche Wärme aus und sein Geruch … Wow. Einmal ist er nett, schon denke ich so skurril über ihn. Eigentlich war er sechsmal nett zu mir, aber er ist immer noch unausstehlich.

      „Könntest du etwas zurückrutschen?“, fragt Nathan mich über den Klang des Motors.

      Ich nehme meinen Kopf