Celine Ziegler

REMEMBER HIS STORY


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davongefahren. Dass er kein Freund von vielen Worten ist, wird mir mit jeder Sekunde mehr bewusst, die ich mit ihm verbringe. Doch trotzdem bleibt die Frage: warum? Und ich frage mich, woher er wusste, wo ich wohne. Früher hatten wir nie mehr Kontakt als heute und unsere Gespräche waren nicht wirklich aufschlussreich, sodass ich ihm hätte erzählen können, wo ich lebe. Vielleicht hat er es damals irgendwo mitbekommen, wer weiß.

      Nathan ist sowieso ein Mysterium. Erst beleidigt er mich und lässt mich in der Kälte stehen, dann fährt er mich nach Hause. Und das obwohl ich Nein gesagt habe. Vielleicht hat er ja doch eine gute Seite. Doch das ist eher unwahrscheinlich und wäre reines Wunschdenken meinerseits. Es wäre zu schön, wenn man mit ihm normal reden könnte, sodass ich vielleicht etwas über seine Vergangenheit rausbekomme und endlich erfahre, was er so treibt und wieso, verflixt noch mal, er damals in der dritten Klasse einfach verschwunden ist.

      Doch der Abend hat mir mehr als bewiesen, dass Nathan nicht diese Art von Mensch ist, mit dem man Kontakt haben möchte. Er ist gemein und unausstehlich.

      Trotzdem kann ich mir so viele Vorwürfe machen, wie ich möchte, ich weiß jetzt schon, dass ich mir gleich eine Standpauke von Mama anhören kann. Eventuell noch von Papa, wenn er wach ist. Sie hassen es, wenn ich zu spät nach Hause komme und dann auch noch, ohne Bescheid zu sagen.

      Also gehe ich reumütig zu dem großen Tor und drücke auf den Knopf, wo Ealswirth steht. Mama wird mir mehr als nur eine Standpauke halten.

      „Hallo?“, ertönt die Stimme von Mama aus dem Lautsprecher.

      „Ich bin’s“, gebe ich mich kleinlaut zu erkennen.

      Kurz schweigt sie nur, dann höre ich, wie sie auflegt und das Tor öffnet. Oh je. Ich kann mich auf etwas gefasst machen. Ob sie mir vielleicht mehr vergibt, wenn ich ihr sage, wie grausam mein Abend war? Besser nicht. Wenn sie wüsste, wo ich war, wäre meine Strafe nur viel höher. Sie sollte besser auch nicht von Nathan erfahren. Schon als ich klein war, mochte sie ihn nicht, genauso wie der Rest der Elternschaft, denn er war damals einfach der kleine Junge, der alle Kinder verprügelt hat.

      Das Tor öffnet sich und ich laufe über den gepflasterten Weg durch unseren großen Garten mit den kunstvoll verzierten Büschen und Hunderten von Blumen, die ich mit unserem Gärtner Jose eingepflanzt habe. Als ich an der Haustür ankomme, steht Mama schon mit verschränkten Armen und Schlafanzug im Türrahmen und tippt mit ihrem Fuß gereizt auf den Boden.

      Mit gesenktem Kopf gehe ich an ihr vorbei ins warme Haus und mache mich schon auf das Schlimmste gefasst. Ich ziehe mir die Schuhe aus und spüre Mamas strengen Blick auf mir. Vielleicht sagt sie auch gar nichts und lässt mich einfach in mein Zimmer gehen, weil sie sieht, wie schäbig ich aussehe.

      Ich will gerade die Treppe hochlaufen, da sagt sie: „Wo warst du?“

      Seufzend drehe ich mich zu ihr um. „Ich habe mich verlaufen“, lüge ich und sehe auf den Boden.

      „Du hast dich verlaufen. Und wieso hast du mich nicht angerufen? Wofür hast du ein Handy?“ Sie glaubt mir sofort. Das ist verständlich. Ich lüge Mama normalerweise nie an und sie vertraut mir sehr. Nur wegen Nathan lüge ich sie an.

      „Es ist kaputt gegangen“, gebe ich zurück.

      „Wieso?“

      „Es ist mir ins Wasser gefallen, als ich auf der Arbeit geputzt habe.“

      Mama nickt mit skeptischem Blick. „Okay. Du musst besser aufpassen.“

      „Versprochen, Mama.“ Ich sehe sie an und lächle etwas, weil ich hoffe, sie lässt mich gehen.

      „Wieso siehst du so …“ Sie kommt zu mir und nimmt eine verklebte Strähne in die Hand, betrachtet sie angewidert. „So schäbig aus? Und wieso …“ Verwirrt riecht sie an einer Strähne. Dann reißt sie ihre Augen auf und ich gehe einen Schritt zurück. „Honor-Marie, was ist das in deinen Haaren? Ist das Schnaps?“

      Ich muss schwer schlucken. Mama ist normalerweise keine strenge Mutter, aber bei Alkohol und vor allem Jungs ist sie extrem empfindlich. Ehrlich nicke ich. „Ja … Es war ein Unfall.“

      „Ein Unfall?“, schreit sie fast und ich gehe noch einen Schritt zurück, presse meine Jacke an meine Brust. „Wie kann das ein Unfall gewesen sein? Deine Haare sind voll von diesem Teufelszeug!“

      „J-Ja“, sage ich eingeschüchtert. „Es war, ähm, da war so ein Obdachloser und e-er hat mir im betrunkenem Kopf Alkohol über die Haare geschüttet.“ Ich lüge schon zum zweiten Mal. Das gefällt mir nicht. Und wenn Mama die Wahrheit rausbekommt, wird ihr das auch nicht gefallen.

      „Zwei Wochen Hausarrest“, urteilt meine Mutter schließlich erbost.

      Innerlich verfluche ich mich selbst. Ich hätte damit rechnen müssen. Die Lüge mit dem Obdachlosen war zu dick aufgetragen und dazu kommt noch mein kaputtes Handy. Theoretisch habe ich es verdient. Noch dazu habe ich sie angelogen, wofür ich mir noch mehr Vorwürfe mache. Ergeben nicke ich.

      „Du wirst nur noch zur Arbeit ins Hotel gehen und sofort danach wieder nach Hause kommen. Zu den Proben mit Misses Baskin wirst du auch gehen, verstanden?“, redet meine Mutter weiter. „Keine Widerrede und keine faulen Ausreden mehr, ich möchte das nicht mehr hören. Außerdem musst du dich auf das Vorspiel in Birmingham vorbereiten, solche Fehler wie heute Abend sollten nicht noch mal vorkommen, das ist sehr wichtig für dich, das weißt du.“

      Wieder nicke ich nur. Sie hat schließlich recht. Die Musikhochschule bedeutet mir alles und das sollte mein nächstes Ziel sein, nicht irgendwelche Informationen aus irgendeinem belanglosen Jungen rauszuquetschen, der mich nur beleidigt. „Darf ich wenigstens in den Garten?“, frage ich. „Wegen meiner Blumen …“

      Mama atmet etwas beruhigter tief ein und aus. „Natürlich, mein Schatz, das könnte ich dir niemals verbieten.“

      Etwas lächle ich, obwohl ich bedrückter bin, als ich zugeben mag. Wenn sie mich so zurechtweist, komme ich mir immer vor wie eine Zwölfjährige. Dabei bin ich achtzehn Jahre alt und erwachsen. Doch niemals würde ich mich trauen, dieses Argument gegen sie zu verwenden, denn wenn ich in Birmingham auf eine andere Schule gehe, werde ich sie kaum noch sehen und deswegen möchte ich mich so wenig streiten wie möglich.

      „Bitte sei mir nicht böse“, sagt Mama und Reue klingt in ihrer Stimme mit. „Aber ich habe mir einfach große Sorgen um dich gemacht.“

      „Ist schon okay … Ich kann dich verstehen.“

      Sie nimmt mich in den Arm und drückt mich liebevoll an sich. „Also bist du mir nicht böse?“

      Nach einer kleinen Pause sage ich: „Nein, ich bin dir nicht böse. Ich habe immerhin die Fehler gemacht.“

      „Ja, da hast du recht.“ Sie lässt mich wieder los und sieht auf mein Haar. „Und geh bitte jetzt noch duschen, du riechst fürchterlich, ich möchte nicht, dass du morgen so auf die Arbeit gehst.“

      „Mama“, sage ich noch, bevor sie ins Schlafzimmer zu Papa gehen kann. „Kann ich vielleicht … ähm … Ich möchte nicht mehr im Hotel arbeiten.“

      Sie runzelt die Stirn. „Wieso?

      Kurz überlege ich, sie erneut anzulügen, doch ich sage: „Ich fühle mich dort nicht wohl. Das alles ist nichts für mich.“

      „Ist etwas vorgefallen?“

      Ich kratze mich nachdenklich am Hinterkopf. „Also, ähm, nicht direkt, aber …“

      „Dann wirst du weiterhin dort arbeiten. Du musst lernen, wie es ist, Geld zu verdienen, Papa und ich können dir nicht dein Leben lang alles bezahlen. Hör auf, dich zu drücken.“

      Und weil ich wieder nicht widersprechen möchte, nicke ich niedergeschlagen. „Okay ... Ich dachte vielleicht, du … schon okay.“ Ich drehe mich zur Treppe und sehe noch etwas über meine Schulter. „Gute Nacht, Mama.“ Dann laufe ich in mein Zimmer. Na super. Jetzt muss ich Nathan doch noch weitere drei Wochen sehen.