werde auf jeden Fall jetzt verschwinden.“
Okay, es muss jetzt ganz schnell eine Entscheidung her. Ich tu’s oder ich lass es. Er wird mir keine zweite Chance geben. Er will mir etwas von seiner Welt zeigen. Oh, mein Gott, vielleicht werde ich es so bereuen, aber schließlich packe ich meinen Mut und setze mich hinter ihn auf sein Motorrad.
„Schlechte Entscheidung“, ertönt Nathans Stimme über den Klang seines lauten Motors, während ich versuche, mich irgendwie hinter ihm zu arrangieren. Er gibt kurz im Stand Gas, sodass der Motor noch lauter aufheult und ich vor Schreck meine Arme sofort um seinen Oberkörper schlinge. Auch wenn er mich dafür wahrscheinlich hassen wird, dass ich ihm so nahe komme, fahre ich keinen Meter mit ihm mit, ohne an ihm festgekrallt zu sein. Ich riskiere keinen Schädelbruch.
Es vergehen keine weiteren zwei Sekunden und Nathan fährt los. Ich drücke mich noch enger an ihn, sodass ich mir sicher bin, er wird mich jeden Moment runterschmeißen, aber ich bin noch nie auf so einem Teil gefahren und das auch noch ohne Helm. Ziemlich unromantisch die ganze Sache. In Filmen gibt der Junge dem Mädchen immer den Helm, damit sie nicht verletzt wird, aber ich muss mir wieder klarmachen, dass das hier kein Film ist und meine Arme nicht um Zac Efron, sondern um Nathan Cort geschlungen sind.
Wenn meine Mutter mich nur sehen würde. Sie würde mich eiskalt zu Hause einsperren. Ohne Helm bei einem quasi Fremden auf einem Motorrad mitzufahren, ist vermutlich das Letzte, das sie sich erhofft hat, als sie mich ins Hotel zum Arbeiten geschickt hat. Allerdings war das auch nicht mein Plan. Nathan war definitiv nie mein Plan, aber mal wieder ist meine Neugier größer als meine Vernunft.
Ich habe das Gefühl, dass Nathan in Höchstgeschwindigkeit durch die Stadt fährt, nur um mich zu ärgern, weil er spüren muss, wie sehr ich zittere, aber ich bin mir fast sicher, dass es mir nur so extrem schnell vorkommt, weil meine Mütze mir fast vom Kopf fällt und meine Haare sich im Wind verknoten.
Mit jedem weiteren Meter, den wir fahren, merke ich, wie abgelegener die Gegend wird, zu der er fährt. In der Straße, zu der ich ihm gefolgt bin, bin ich auch nie gewesen, aber diese Straßen sehen beinahe noch gruseliger aus. Vor allem, weil es fast dunkel ist. Ich hoffe nur, dass er mich dann wenigstens wieder nach Hause fährt und mich nicht erneut allein hier stehen lässt wie beim letzten Mal. Das war vielleicht ein Desaster.
Nathan hält vor einem Haus, das relativ … alt aussieht. Sehr schäbig und heruntergekommen, aber es spiegelt perfekt die Gegend wider. Schäbig und heruntergekommen. Ich fühle mich auf Anhieb unwohl.
„Lass mich los und steig ab“, befiehlt er, als ich noch immer wie eingefroren meine Arme um seinen Oberkörper geschlungen habe.
Sofort lasse ich ihn los und steige fast stolpernd ab, weil das Motorrad doch höher ist, als ich dachte, und außerdem bin ich wegen der Fahrt noch total durch den Wind. Mein Adrenalinpegel ist mehr als auf hundertachtzig und mein Herz pocht mir bis zum Hals.
Nathan zieht sich den Helm vom Kopf, hängt ihn auf seinen Lenker und wuschelt sich kurz durch die Locken, worauf sie wieder unverschämt gut sitzen. Er zieht den Schlüssel heraus und schwingt sein Bein von dem Gefährt, als wäre er der Höllenreiter höchstpersönlich. Alles ist so schwarz und gefährlich an ihm. Sogar sein Motorrad.
„Wo gehen wir jetzt hin?“, frage ich mit fiepender Stimme und versuche trotzdem, stark zu klingen. Ich darf mir meine Unruhe jetzt nicht anmerken lassen, es darf nicht so wie früher sein.
„Angst?“, fragt Nathan höhnend und lässt seinen Schlüssel in seiner Hosentasche verschwinden.
„Nein“, sage ich. Klinge aber viel zu ängstlich.
„Na gut, dann komm mit.“ Er geht zu dem alten Haus, ein paar Treppen nach oben.
Ich folge ihm mit unsicheren Schritten und versuche, meine Haare mit meinen Fingern zu kämmen, weil sie wirklich sehr verknotet sind. Sollte ich denn Angst haben?
„Wohnst du hier?“, frage ich Nathan, während er die Tür aufschließt.
Kurz lacht er auf. „Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich dir zeige, wo ich wohne.“
Ich schweige. Natürlich zeigt er mir nicht, wo er wohnt, wäre auch zu viel verlangt. Nathan muss immer noch der Typ mit den tausend Geheimnissen sein.
Die Tür öffnet sich mit einem Klick und sofort kommt uns ein unangenehmer Nebel entgegen, gemischt mit widerlichem Gestank. Augenblicklich halte ich mir die Nase zu, während Nathan gelassen das Haus betritt. Das ist abartig. Wie kann er so tun, als würde dieser eklige Geruch einem nicht die Brauen wegätzen? Ich folge ihm in das Haus und man hört sofort Klänge von Rockmusik durch den kleinen Flur.
Mir die Nase zuhaltend, sehe ich Nathan hinterher, wie er durch den Flur in ein Zimmer geht, wo der Nebel rauskommt. Ich höre mehrere Stimmen. Ach du meine Güte. Das kann nur ein schlechtes Zeichen sein. Eilig folge ich ihm und bereue jetzt schon, dass ich mit ihm gekommen bin.
Ich betrete das Zimmer, das sich als Wohnzimmer rausstellt – mehr oder weniger –, und sehe, wie Nathan sich auf eine Couch fallen lässt, die um einen Tisch rum steht. Mir wird sofort klar, wovon dieser schreckliche Nebel kommt. Fünf Leute sitzen dort um den Couchtisch herum und rauchen.
„Wer’s das?“, fragt ein Kerl säuselnd mit schwarzen langen Haaren und mustert mich genauso wie der Rest der Bande, während ich total verspannt im Türrahmen stehe und mich sofort fehl am Platz fühle.
„Sie wollte euch unbedingt kennenlernen“, erklärt Nathan mit einer Zigarette zwischen den Lippen und zündet sie an.
„Dann wird sie uns kennenlernen“, raunt ein anderer der vier Kerle. „Setz dich zu uns, Hübsche“, ruft er zu mir rüber und klopft auf den freien Platz neben sich. „Wir beißen auch nicht.“
„Vielleicht“, fügt ein anderer hinzu und lacht darauf rau. Seine Stimme ist mehr als zerstört, ich nehme an, es kommt davon, dass sie ihre Zeit in Räumen verbringen, die so verraucht wie dieser sind.
Weil ich immer noch total perplex dort stehe, fragt Nathan spottend: „Was ist los, Honor? Sagtest du nicht, du willst meine Welt sehen?“
„Ja“, sage ich schwer schluckend und versuche, nicht zu viel von dem THC in der Luft einzuatmen. Ich raffe mich dazu auf, zu dem Tisch zu gehen.
Der Typ mit der kaputten Stimme klopft wieder neben sich und ich setze mich vorsichtig neben ihn, mit einem großen Abstand, weil er gruselig aussieht. Genauso wie der Rest. Einer der vier Kerle hat rot gefärbte Haare und eine Seite davon abrasiert und schwarz geschminkte Augen. Auf seinem Schoß sitzt ein Mädchen, ich würde sie auf nicht älter als ich schätzen, ihre Haare sind blau. Oder grün. Eine seltsame Farbe.
„Ich bin Connor“, säuselt mir der Typ neben mir zu und rutscht näher zu mir ran, legt seinen Arm um mich, worauf mich sofort eine Art von Ekel überkommt und ich mich gegen die Couchlehne presse, um seinem Mundgeruch aus dem Weg zu gehen. „Und du heißt Honor, huh?“
„Ich mag deine Haare“, nuschelt der Typ auf der anderen Couch neben uns und nimmt eine Strähne von mir in die Hand, wickelt sie um seinen Finger.
Mir schlägt das Herz bis zum Hals und ich fühle mich mehr als bedrängt. „Danke“, sage ich fast flüsternd und nehme ihm die Haarsträhne weg, versuche, meine Furcht nicht zu zeigen, doch es gelingt mir ganz und gar nicht.
„Und ich deine Haut“, sagt wieder der Typ mit dem Arm um mich rum und streicht mir mit seinem Zeigefinger und extrem schmutzigem Fingernagel über meine Hand.
Schnell drehe ich mein Gesicht weg und sehe Hilfe suchend zu Nathan. Er beobachtet die ganze Szene praktisch belustigt. Gleichgültig raucht er an seiner Zigarette und lehnt sich locker in den Sessel zurück.
„Magst du keine körperliche Nähe?“, fragt Connor und presst mich an seine Seite, sodass ich keine Chance habe, mich zu wehren. Er sieht beinahe wütend aus.
„Connor, lass sie“, sagt das Mädchen und funkelt ihn böse an. „Siehst du nicht, dass du ihr Angst machst?“
Connor