Celine Ziegler

REMEMBER HIS STORY


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ihn schon kennst“, meint er monoton und wirft sich einen Lappen über die Schulter, während er zur nächsten Spüle geht, was noch mehr Abstand in dieser riesigen Küche zwischen uns bringt.

      „Woher sollte ich ihn wissen?“, frage ich und meine Stimme steigt ein paar Oktaven. Das passiert jedes Mal, wenn ich lüge. Ich bin eine grausame Lügnerin.

      Nathan verdreht die Augen und verschwindet wieder in der Spüle. Er scheint Konversation wirklich zu hassen.

      „Du heißt Nathan, oder?“, traue ich mich zu fragen.

      „Du machst deinem Hobby als Stalker alle Ehre.“

      Jetzt steht es fest. Er ist wirklich Nathan. Zwar war es mir die ganze Zeit schon klar, doch jetzt habe ich den direkten Beweis. Anscheinend hat er mich an meinem Namen nicht erkannt, doch ich muss unbedingt wissen, ob er sich an mich erinnert. Ich meine, ich war als kleines Mädchen wirklich oft bei ihm und die einzige Person, die Nähe zu ihm aufgebaut hat, er kann mich doch gar nicht vergessen haben.

      „Wir waren früher in der Grundschule in der gleichen Klasse“, fange ich vorsichtig das Verhör an.

      Wieder schweigt er.

      „Vielleicht erinnerst du dich an mich … Sagt dir der Name Honor nichts?“

      „Nein.“

      „Verstehe“, sage ich leise und wische weiter über die Platte. „Aber vielleicht erinnerst du dich an, ähm, so ein kleines blondes Mädchen, das immer mit dir spielen wollte? Ich habe oft versucht, mit dir zu reden.“

      Nathan stellt sich wieder hin und legt ein paar Schrauben auf den Tisch. „Sagt mir nichts.“ Er klingt so extrem desinteressiert, dass es fast wehtut.

      Doch so schnell gebe ich nicht auf. Er muss lügen. Er muss sich an mich erinnern. „An deinem letzten Tag hast du mir Taschentücher geschenkt. Kannst du dich noch an Jimmy erinnern?“

      Er scheint tatsächlich zu überlegen. Eine Falte bildet sich zwischen seinen Brauen, während er gerade mit einem Tuch über seinen Schraubenschlüssel wischt. Er sieht ernst aus, doch dann bildet sich ein spöttisches Grinsen auf seinen Lippen. „Natürlich. Honor. Du bist diese kleine Heulsuse.“

      Bei jedem weiteren Wort, das er gesagt hat, ist mehr Hoffnung in mir gestorben. Toll. Er erinnert sich an mich, doch betitelt mich sofort als Heulsuse. Jetzt sieht mich nicht mehr der erwachsene Nathan an, sondern der kleine, gemeine Junge, der mich ständig beleidigt hat.

      Ich nehme verletzt meinen Blick von ihm und sehe auf meine Hand, die schon zum millionsten Mal über dieselbe Stelle wischt. „Ja … Das bin ich. Heute bin ich nicht mehr so.“

      Er lacht leise und ich erkenne Grübchen in seinen Wangen. Das ist das erste Mal, dass ich sie sehe, weil er früher nie gelacht hat. Wirklich nie. „Hast dich trotzdem kein Stück verändert“, spottet er.

      „Was?“

      „Du verfolgst mich immer noch und gehst mir auf den Sack.“

      „Ich verfolge dich nicht!“, stelle ich klar. Ich kann doch nichts für Zufälle.

      „Sich hinter einem Auto verstecken und mich beobachten, willst du also wie betiteln?“ Er hebt gehässig eine Braue.

      Ich werde rot. Wenn man es so sieht, hat er recht. Ein wenig seltsam klingt das schon, aber ich wollte doch nur wissen, ob er wirklich Nathan ist. „Keine Ahnung“, sage ich beschämt. Er verschwindet wieder unter der Spüle und es entsteht erneut Stille. Ich überlege, ob ich ihm einfach ein paar Fragen stellen sollte. Mehr als unfreundlich sein, kann er sowieso nicht und das ist er auch, wenn ich ihm keine Fragen stelle. „Wieso bist du damals in der dritten Klasse gegangen?“

      Weil Nathan schon seit fünf Sekunden nicht mehr antwortet, bereue ich meine direkte Frage sofort. Ein etwas leiserer Knall ertönt und Nathan stellt sich mit angespannter Miene wieder hin, schmeißt unsanft den Schraubenzieher auf die Spüle. Diese Frage gefällt ihm anscheinend überhaupt nicht, denn er sieht noch böser aus als vorhin.

      „Ich wollte dir nicht zu nahe treten“, versuche ich, die Situation zu beschwichtigen. „Es ist nur …“ Ich hoffe, dass ich mich nicht weiter erklären muss, denn ich fühle mich mehr als unwohl.

      „Es ist nur, was?“, giftet Nathan und scheint mich mit seinen grünen Augen töten zu wollen.

      Beinahe ängstlich sehe ich ihn an. „Es hat mich einfach interessiert.“

      „Es hat dich aber nicht zu interessieren, verstanden? Das ist meine Scheiße. Kümmere dich um deinen eigenen Dreck und hör endlich auf, irgendwelche beschissenen Fragen zu stellen.“ Er schmeißt die Tür der Spüle zu und ich schrecke wegen des plötzlichen Knalls zusammen. Wieder schmeißt er sich den Lappen über die Schulter.

      „Tut mir leid.“ Ich knicke ein und sehe wieder schuldbewusst auf die Kochplatte.

      „Mach die Scheiße hier fertig und dann geh jemand anderem auf die Nerven, ich bin ganz bestimmt nicht dafür zuständig, dich zu unterhalten.“ Und schon ist er aus der Küche verschwunden.

      Man könnte behaupten, dass ein Mensch sich in seiner Entwicklungsphase verändert, doch Nathan ist noch genauso wie früher. Heute flucht er einfach nur mehr. Jetzt fehlt nur noch, dass ich weine, und es wäre ein perfektes Ebenbild von damals. Doch das mache ich nicht, auf keinen Fall, die Zeiten sind vorbei, egal, was er zu mir sagt. Ich bin mittlerweile eine achtzehnjährige heranwachsende Frau und so sollte ich mich auch benehmen. Nur fühle ich mich bei ihm immer noch wie ein kleines Kind, das viel zu neugierig ist.

      Aber er muss doch verstehen, dass ich mich natürlich dafür interessiere, was damals passiert ist, und wieso er ständig Wunden auf seiner Haut hatte. Doch ich muss natürlich auch verstehen, dass ich ihn theoretisch gar nicht mehr kenne. Heute ist er wie ein Fremder für mich und ich bin für ihn ein Niemand. Ein nerviges kleines Mädchen. Wieso sollte er mir vertrauen? Ich nehme es ihm nicht übel, ich würde mir auch nicht vertrauen, immerhin kennen wir uns kaum bis gar nicht. Was habe ich auch erwartet, als ich ihn danach gefragt habe? Er wird mir kaum seine Lebensgeschichte auf dem Präsentierteller bieten.

      Zwei Tage habe ich Nathan im Hotel kaum gesehen. Er spaziert den ganzen Tag durch das Gebäude und macht Dinge, die ein Hausmeister macht, und jedes Mal, wenn wir uns zufällig begegnen, verschwindet er ganz schnell. Er scheint mich wirklich nicht gerne in seiner Nähe haben zu wollen.

      Bis ich ihn am Donnerstag in der Mittagspause in einer ruhigen Ecke im Hotelrestaurant sitzen sehe, während er gerade isst. Er scheint mich noch nicht gesehen zu haben, deswegen überdenke ich kurz meine Möglichkeiten. Entweder ich gehe mit meinem Teller zu ihm und esse mit ihm, kann wenigstens versuchen, ein Gespräch anzufangen, oder ich setze mich woanders hin.

      Definitiv die erste Möglichkeit. Ich könnte ihn fragen, was er so in den letzten zwei Tagen gemacht hat oder wieso er mir ständig aus dem Weg geht, irgendetwas, aber ich will nicht mehr diese Spannung. Das macht mich einfach verrückt und setzt mir mehr zu, als es sollte.

      Gestern bei der Probe mit Misses Baskin war ich noch unkonzentrierter als sonst, weil ich ständig an ihn denken musste. Doch allerdings nicht im guten Sinne. Ich habe einfach so viele Fragen, worauf ich keine Antwort weiß. Das macht mich verrückt.

      Um uns herum sind viele Gäste, deswegen kann er gar nicht so pampig mit mir umgehen, wenn ich mich zu ihm setze. Eine gewisse Freundlichkeit sollte er – auch als Hausmeister – in einem Hotel schon ausstrahlen. Deshalb gehe ich mit meinem Salat zu ihm, beobachte ganz genau, ob er zu mir sieht oder nicht. Bisher hat er mich noch nicht entdeckt, er scheint in Gedanken zu sein.

      Doch als ich meinen Teller genau vor ihn stelle und den Stuhl zurückschiebe, blickt er auf. Seine Miene ist verwirrt, doch wird dann schnell durch den üblichen Nathanblick ersetzt. Abweisung.

      „Das kannst du vergessen“, meckert er sofort, als ich vor ihm sitze, und sieht mich vernichtend an.

      Unschuldig wickle ich mein Besteck aus der Serviette. „Was meinst du?“

      „Das da.“