Andrea Lieder-Hein

Geheimnisvolles Kloster


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frisst alles auf. Den Rest nehmen uns Bänker und Politiker weg. Unser sauer verdientes Geld und unsere Altersvorsorge!“, giftete sie zuweilen beim Frühstück.

      Nein, er musste schleunigst etwas unternehmen.

      Sein Blick wanderte zum Fenster. Draußen sprang die Verkehrsampel gerade auf rot. Sechzig Sekunden, dann sprang sie weiter auf orange und dann auf grün um. Sie hatte so etwas Beruhigendes, Normales, diese Ampel. Sie war einfach da, stellte keine Ansprüche, funktionierte zuverlässig. Sie hatte eben alles das, was er sich im Leben von seiner Frau wünschte und nicht bekam.

      Während er im Bett lag und nachdachte, schoben sich grauenhafte Bilder in sein Gehirn. Sein Albtraum. Warum träumte er immer diesen Traum? Urplötzlich und völlig unerwartet. Er traf ihn wie eine Versuchung, eine böse Verführung. Frank kannte ihn inzwischen seit einigen Wochen. Der Traum überfiel ihn ganz ungeschützt und schmerzhaft und schien ihm eine Lösung zeigen zu wollen.

       Er lag in seinem Bett, der Mond erhellte das gemeinsame Schlafzimmer. Alles war still. Zu still. Langsam drehte er sich um zu Nora und schaute liebevoll in ihr Gesicht. So zart, so zerbrechlich, so schön. Ihre Hand tastete sich langsam vor zu seinem Körper und er spürte eine warme Erregung. Dann schlüpfte ihre Hand zwischen Hosenbund und Bauch weiter nach unten.

       Mit dem Zeigfinger seiner rechten Hand streichelte er über ihr Gesicht. Es war plötzlich seltsam kalt, fremd, unheimlich. Dann aber öffnete sie ihre Lippen und .... plötzlich entblößte sie ihre Zähne. Eckzähne wie ein Vampir, blutleere Lippen und ein teuflisches Grinsen im Gesicht.

       NEIN, wollte er schreien, aber seine Stimme versagte. Mit letzter Kraft schwang er seinen Körper auf ihren schmächtigen Leib und legte seine Hände um ihren Hals. Er spürte ein zunehmendes Pochen, aber er drückte weiter, stärker, drückte den zuckenden Körper in das Bett zurück, bis Nora unter seinen Händen erschlaffte. Endlich, er hatte es vollbracht.

      Das war sein Traum, immer der gleiche Albtraum, immer und immer wieder. Fast jede Nacht. So real. Schweißgebadet tastete er dann sofort im Bett nach Nora. Aber nein, nie war etwas passiert. Gott sei Dank schlief Nora schon lange nicht mehr im Schlafzimmer. Sein Schnarchen störte sie.

      Normalerweise schlief er nach so einem Traum schnell und ruhig wieder ein. Wollte er seine Frau wirklich erwürgen? NEIN. Er war schließlich Arzt, da gab es doch bessere Methoden.

      ***

      Nora lag auf einem Fell vor dem flackernden Kamin und ließ sich durch ihre Vergangenheit treiben. Düster sah sie aus, einsam. Ein prügelnder Vater. Und dann diese vielen Katzen. Ihre Mutter liebte Katzen und sammelte jede auf, derer sie habhaft werden konnte. Überall waren Katzen. Manchmal nahm ihr betrunkener Vater eine an den Hinterläufen hoch und knallte ihren Körper mit voller Wucht an die Küchenwand. Ein dumpfes Geräusch, gepaart mit einem Knacken, hatte sich in ihren Ohren festgesetzt. Jedes Mal, wenn sie eine Katze sah, hörte sie es wieder. Immer und immer wieder.

      Dann warf ihr Vater den leblosen Körper in den Müll. Den blutigen Fleck an der Wand musste immer sie abwaschen, und zwar sofort.

      Sie tat es, angeekelt, ohne zu murren und ohne zu weinen. Würde ihr Vater sie eines Tages genauso an die Wand klatschen? Wie die Katzen? Oder würde Frank das für ihn erledigen?

      Dieses Gefühl des ausgesetzt sein, der Gewalt des Vaters ausgeliefert, diese Hilflosigkeit machte sie verrückt. War es nicht Liebe, die Eltern geben sollten?

      Der Kamin war schon fast erloschen, als sie sich vom Fell quälte, um in die Küche zu gehen. Sie nahm ein kleines Fläschchen aus dem Schrank und träufelte mit einer Pipette ein paar wenige Tropfen auf die Teewurst vom Kühlschrank. Als die Flüssigkeit eingesickert war, spießte sie den Fleischklumpen auf eine Gabel und hielt sie Amos vor die Nase. „Hier, Amos, lecker.“ Und tatsächlich, geschmacksneutral und geruchslos wie KO-Tropfen nun mal sind, wedelte Amos mit dem Schwanz und zog mit seinen Zähnen genüsslich die Teewurst von der Gabel. Wenig später konnte er nicht mehr richtig stehen und legte sich zitternd auf den Boden.

      Nora eilte in den Schuppen neben der Garage, holte die alte Schubkarre heraus und warf den nun schlafenden Hund mit letzter Kraft hinein. Dann schob sie die Karre durch die Vollmond-Nacht zum Friedhof.

      Die großen Bäume und die still daliegenden Gräber sandten eine unheimliche Ruhe aus. Auf verschiedenen Gräbern flackerten Kerzen. Manchmal huschten Schatten über sie und die Karre, wenn der Mond durch die Äste schien.

      Neben der Leichenhalle befand sich eine Station für Schaufeln und Gießkannen. Nora nahm sich eine der großen Schaufeln und fuhr unbeirrt weiter bis zu einem frisch ausgehobenen Grab. Es war noch nicht grün ausgeschlagen, aber sehr ordentlich in Sarg Form gebracht. Da hinein kippte sie Amos. Als sie mit der Schaufel etwas Erde über den Hund werfen wollte, bemerkte sie, dass der Boden vom letzten Frost noch zu hart war. „Dann eben nur so“, dachte sie.

      Am nächsten Tag würde der Hund aufwachen und einige Leute erschrecken. Oder er war vielleicht auch überdosiert gestorben. Ein Windhund hat ja nicht so viel Gewicht. Gerne hätte sie die Gesichter gesehen, wenn die Trauernden den Hund im Grab für einen Verwandten entdecken würden. Was für eine lustige Idee.

      Zufrieden blickte sie ein letztes Mal in das dunkle Loch mit dem grauen Hund und schlenderte dann frohen Herzens mit ihrer Karre nach Hause.

      ***

      „Das ist so geil“, flüsterte Svenja, als Ben ihren Kopf in seine Hände legte und sie zärtlich küsste. „So endgeil, hier in der Leichenhalle.“ Ben berührte mit den Lippen ihre Nasenspitze und grunzte. „Das gibt dem Sex noch so einen Kick“, raunte er und ließ seine Hände über ihre Brüste gleiten.

      „Machst du das öfter?“ fragte Svenja entsetzt. „Ich meine nur, weil dein Vater den Schlüssel hier zur Halle hat und du immer diesen Kick suchst?“ Ein unkontrolliertes Lachen quoll aus ihrem geöffneten Mund.

      „Nie und nimmer, Svenja, nur mit dir. Bleib cremig. Was denkst du denn?“ Beruhigend legte er seinen Zeigfinger auf ihren Mund und versuchte mit seinen Lippen ihre Brustwarzen zu kleinen Türmchen aufzulutschen. Urplötzlich schwoll die linke Brustwarze in seinem Mund an, wurde dicker und immer länger. Er umklammerte den braunen Fleischberg mit seinen Händen, die wie Krallen wirkten. Der Turm roch ganz intensiv nach Cheeseburger und wechselte dauernd seine Farbe. Dann schoss Ben mit dem Turm durch den Lüftungsschacht über das Dach der Leichenhalle hinweg. Dort endete die Reise abrupt wie in einem Fahrstuhl. Ein gigantischer Ausblick lag vor ihm. Der Friedhof ruhte im fahlen Lichtschein des Vollmondes unter ihm und aus der feuchten Erde wuchsen den Grabsteinen Beine und Arme. Sie winkten ihm zu, Stimmen rauschten an seinem Ohr vorbei. „Hallo, Ben“, säuselte es in der Luft, ehe er wieder rasend schnell nach unten fuhr, zurück zu Svenja.

      Noch etwas benommen öffnete er seinen Mund und begann bei Svenja mit dem immer von ihr erwarteten Knutschfleck. Dabei bog sich ihr Kopf wie eine Spirale nach allen Seiten weg. Er hatte Mühe, seine Lippen am Hals zu lassen und zu saugen.

      Svenja brauchte diesen Fleck als Liebesbeweis. Es war wie eine Trophäe für sie. „Am Liebsten hätte sie sicher noch eine Unterschrift unter dem Knutschfleck“, lachte er in sich hinein und konnte kaum aufhören zu grinsen. Dabei dachte er an die vielen Mädchen, die hier schon von ihm geliebt worden waren, immer in der Leichenhalle, und immer mit dem Schlüssel seines Vaters.

      Kurz nach Mitternacht nahmen beide noch einen kräftigen Zug von ihrem Joint, lüfteten die Halle kurz und gingen danach leise schwatzend dem Ausgang entgegen. „Boah, eh, mir ist grottenschlecht, irgendwie. Echt jetzt“, seufzte Svenja. „Dabei bin ich gar nicht hacke.“

      Nicht weit von der Leichenhalle entfernt sahen beide plötzlich in zwei glühend rote Augen. Wie kleine Leuchtfeuer kamen sie auf Ben und Svenja zugetanzt. Schließlich hörten beide ein grauenhaftes Grummeln, das zu einem lauten Knurren anwuchs. Und dann stand er vor ihnen, der riesige Hund von Baskerville. An seinem Hals flackerte ein rotes Licht.

      Laut