Andrea Lieder-Hein

Geheimnisvolles Kloster


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Kräften hatte er sich aus dem Grab befreit und wollte eigentlich nach Hause trotten. Aber so ein Wettlauf war genau sein Ding.

      Wie von Furien gehetzt sprang Ben über Grabsteine und Büsche, immer im Schein des Mondes, und kam dann endlich am Eingangstor des Friedhofes an. Aber wo war Svenja? Er drehte sich einmal um sich selbst, rief erst verhalten und dann lauter ihren Namen, aber nichts.

      „Egal“, dachte er. „Sie ist sicher am anderen Tor und schon auf dem Heimweg“. Er rief ein letztes Mal ihren Namen und ging dann befriedigt und beschwingt heim. Was für ein Erlebnis! Was für ein krasser Tag.

      Am anderen Ende des Friedhofes lief Svenja um ihr Leben, aber Amos war schneller. Nur wenige Meter vor dem ausgehobenen Grab hatte er sie eingeholt. Er ging auf die Hinterbeine und legte seine Vorderpfoten auf ihre Schultern. „Gefangen“ hätte er gesagt, wäre er ein Mensch gewesen. Er hatte sie erwischt.

      Svenja torkelte einen Schritt nach vorne, ehe ihr schwindelig wurde. Dann merkte sie, wie ihr langsam die Luft ausging. Sie konnte kaum noch ausatmen. Außerdem hörte sie ihr pfeifendes Atemgeräusch und wusste, dass sie gleich einen Hustenanfall bekommen würde. Ihre innere Unruhe steigerte sich zu panischer Angst. Kalter Schweiß bildete sich auf ihrer Oberlippe.

      Sie hatte ihren Spray nicht dabei. Am liebsten hätte sie laut HILFE geschrien, aber nach Mitternacht, auf einem Friedhof, da war niemand, der helfen konnte. Fast blind vor Angst schleppte sie sich über zwei Gräber, bis sie den Boden unter ihren Füßen verlor und in die frisch bereitete Grabstelle fiel. Ihr Fuß schmerzte fürchterlich. Hatte sie sich was gebrochen?

      Während der Husten ihren Leib schüttelte und sie nach Luft rang, faltete sie ihre Hände und betete zum ersten Mal in ihrem Leben. Mit flatternden Lidern schaute sie nach oben, als sich ein Wolfskopf über das Loch beugte. Rote, leuchtende Augen schossen Pfeile in die Tiefe und die Wolfsschnauze wurde immer länger, bis der heiße Atem aus den Nasenlöchern ihr Gesicht traf.

      Sie war in der Hölle gelandet. Wie ihre Mutter es immer prophezeit hatte. „Svenja, immer diese fremden Kerle aus der Disko, der viele Alkohol und deine Drogen bringen dich noch mal in die Hölle.“ Das waren ihre Worte gewesen, immer wieder.

      Hilflos und vor Kälte zitternd blickte sie aus der Grube in die glühenden Augen des Teufels. „Komm nur“, murmelte sie ergeben. Dann schwanden ihre Sinne.

      ***

      Wieder zu Hause brachte Nora die Schubkarre zurück in den Schuppen bei der Garage und ging danach leise ins Bad. Dort reinigte sie sich von Dreck und unguten Gefühlen und lächelte ihrem Spiegelbild zu. „Jetzt ins warme Bett. Frank schläft sicher schon. Ich werde ihn überraschen und mal wieder im Ehebett schlafen. Dann wachen wir morgen zusammen auf.

      Eigentlich ist er die Liebe meines Lebens. Warum mache ich es uns nur so schwer? Als ob er mich vergiften würde! So ein Quatsch. Morgen, wenn Amos wieder im Garten in seiner Hütte liegt, frühstücken wir gemütlich zusammen. Wie früher. Und vielleicht lieben wir uns vorher auch mal wieder. So gemeinsam im Bett. Das wäre schön.“

      Sie entkleidete sich im Bad und kuschelte sich vorsichtig in ihr Ehebett. Eine Hand tastete sich zu ihr und sie fühlte plötzlich Lust, Lust auf Vergebung. Ihre Hand wanderte zu Frank, seiner Brust, seiner Boxershorts, hinein und tiefer. ..

       Langsam drehte er sich um zu Nora und schaute liebevoll in ihr Gesicht. So zart, so zerbrechlich, so schön. Ihre Hand tastete sich langsam vor zu seinem Körper und er spürte eine warme Erregung. Dann schlüpfte ihre Hand zwischen Hosenbund und Bauch weiter nach unten.

       Mit dem Zeigfinger seiner rechten Hand streichelte er über ihr Gesicht. Es war plötzlich seltsam kalt, fremd, unheimlich. Dann aber öffnete sie ihre Lippen und .... plötzlich entblößte sie ihre Zähne. Eckzähne wie ein Vampir, blutleere Lippen und ein teuflisches Grinsen im Gesicht.

       NEIN, wollte er schreien, aber seine Stimme versagte. Mit letzter Kraft schwang er seinen Körper auf ihren schmächtigen Leib und legte seine Hände um ihren Hals. Er spürte ein zunehmendes Pochen, aber er drückte weiter, stärker, drückte den zuckenden Körper in das Bett zurück, bis Nora unter seinen Händen erschlaffte. Endlich, er hatte es vollbracht.

      An seinen immer wiederkehrenden Albtraum hatte er sich inzwischen gewöhnt, er konnte danach ruhig weiter schlafen. Er konnte inzwischen mit ihm leben.

      Herzlichen Glückwunsch, Mama

      „Wenn du zu blöd bist, um mit dem Computer umzugehen, dann lass die Finger davon!“ Fynns Augen sprühten vor Zorn und sein Blick sagte mir „Du bist nicht fit für das 21. Jahrhundert. DVD-Player kannst du nicht programmieren, Handys nicht richtig bedienen, CDs nicht zum Spielen bringen ...... und die Speicherkarte versenkst du glatt im falschen Slot vom Fernseher. Mensch, Mama.“

      „Ich habe NICHTS gemacht. Ehrlich. Plötzlich war alles weg“. Verzweifelt versuchte ich glaubhaft auszusehen, denn dieses Mal war es wirklich so gewesen. SÄMTLICHE Programme waren ganz plötzlich verschwunden und ich konnte NICHTS mehr aufrufen!

      „NICHTS gemacht! Das sagst du jedes Mal. Es kann nicht so einfach ALLES verschwinden. Alle Programme weg, und du hast NICHTS gemacht! Weißt du eigentlich, wie lange ich immer brauche, um all das zu reparieren, was du in Sekunden vernichtest? Und dann willst du es auch immer SOFORT repariert haben!“

      Vorsichtig versuchte ich ein Lächeln. „Ich muss Zeugnisse schreiben.“

      „Ja, ja“, entgegnete er, „und ich muss mich auf’s Abi vorbereiten.“

      In solchen „Reparatur-Phasen“ standen dann häufig Warnschilder vor meinem Monitor. OUT OF ORDER war noch das harmloseste. FINGER WEG!!! schon bedrohlicher. Dann saß mein Sohn tagelang mehrere Stunden vor meinem Laptop und reparierte.

      Viel später, im Lehrerzimmer, erfuhr ich dann, dass es so wie mir beim Zeugnis-Schreiben auch anderen Kollegen ergangen war. Ein Virus hatte alle Programme lahm gelegt. Nicht ich. Diesmal wirklich nicht!

      Jedes Mal, wenn Fynn über Stunden meinen Laptop reparierte, dachte ich, er wird mir noch mal dankbar sein, dass er so viel Wissen über Computer anhäufen konnte. Während und durch die vielen Reparaturen. Er war inzwischen ein wahrer Profi geworden. Meine Augen konnten so schnell gar nicht gucken, wie er Dinge runterlud, löschte oder Seiten aufrief, die ich nie finden würde.

      Er downloadete Hilfsprogramme, bootete den PC neu, wenn alles verloren schien und fand sogar alle 3752 von mir irrtümlich gelöschte Fotos wieder.

      Er war super, aber ungeduldig mit meiner Langsamkeit. Erklären wollte er mir nie etwas, da ich zu viel nachfragte, erklärt und begründet haben wollte. Lehrer eben.

      „Du wirst mir noch mal dankbar sein“, dachte ich. Gesagt habe ich das nie, nur gedacht. Heimlich. Denn ich weiß sehr wohl, dass er mir dafür nicht dankbar sein wird und auch nicht braucht.

      Ich bin meiner Mutter auch nicht dankbar. Meine Mutter war die beste Schönheits-Chirurgin, die völlig ohne OP erstaunliche Ergebnisse vollbracht hatte. Jedenfalls bei mir.

      Als ich ungefähr zehn Jahre alt war, fand ich es ungemein chic, meine Stirn zu runzeln, ja, mein ganzes Gesicht als mimische Bühne für die Außenwelt zu benutzen. Immer, wenn meine Mutter das bemerkte, schlug sie mir mit ihrer rechten Hand ins Gesicht und schrie: „Zieh die Stirn nicht so kraus!“ Der große blaue Aquamarin-Ring hinterließ so manche kleine Verletzung in meinem Gesicht und in meiner Seele.

      Später folgte diesem Satz die Bemerkung „Du wirst mir dafür später noch einmal dankbar sein, wenn du keine Falten auf deiner Stirn hast.“

      Ich bin inzwischen 56 Jahre alt und habe immer noch keine Falten, jedenfalls nicht auf meiner Stirn. Hätte mir meine Mutter damals auch auf Mund und Nase gehauen,