Kim Scheider

"Brender ermittelt"


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und hab's nicht rechtzeitig geschafft ranzugehen. Wie war euer Kurzurlaub an der See?”

      Ein Redeschwall ging auf ihn nieder, der sein schläfriges Hirn deutlich überforderte. Was er aber heraushörte war, dass es ihr ganz offenkundig gefallen und vor allem gut getan hatte. Das freute ihn. Wenn jemand ordentlich Balsam für die Seele verdient hatte, dann war es Anna Lorenz. Die Frau, die einen zufälligen Zusammenstoß mit ihm, beinahe mit ihrem Leben bezahlt hatte.

      Bis heute waren die Wunden, die Tom und seine Gehilfen ihr zugefügt hatten, nur notdürftig verheilt, von den seelischen Verletzungen ganz zu schweigen. Niemals würden diese heilen, nicht wirklich. Aber vielleicht gelang es ihr irgendwann einen Weg zu finden, mit ihren Erlebnissen zu leben, ohne darüber den Verstand zu verlieren. Die unzähligen Narben, die sie täglich wieder an alles erinnerten, machten die Sache nicht unbedingt leichter.

      Jetzt aber war sie so gut drauf, wie er sie noch nie erlebt hatte.

      “Wir waren heute Morgen noch am Strand!”, erzählte sie begeistert. “Unglaublich, dass das erst ein paar Stunden her ist! Wenn ich aus dem Fenster sehe, will das Bild einfach nicht mit dem überein passen, was ich fühle. Mann, ist Köln eng!”

      Ja, das Gefühl kannte Frey zur Genüge.

      “Schön, dass es dir so gut gefallen hat. Seit ihr denn schon empfangsbereit? Schließlich haben wir noch was zu feiern.”

      Anna lachte hell auf. Noch nie hatte er sie so unbefangen lachen hören.

      “Unsere Wiederauferstehung?”, scherzte sie. “Wir sind zwar noch mit Auspacken beschäftigt und Post sichten und dergleichen, aber, klar, komm vorbei! Bis du hier bist, haben wir uns schon wieder häuslich eingerichtet. Zumindest für einen Kaffee sollte es reichen.”

      Frey konnte gar nicht glauben, wie gesprächig Anna war. Er sollte sie vielleicht auch mal an die See schicken. Offenbar tat ihr das wirklich gut.

      “Ich mach mich gleich auf den Weg. Bis dann!”

      Sie hatte das Zauberwort gesagt: Kaffee! Es gab nichts, was er jetzt dringender brauchte, als Unmengen von Koffein. Sein Kreislauf meldete sich schon wieder und das, obwohl er saß. Langsam wurde die Angelegenheit wirklich lästig. Womöglich kam er da doch nicht um einen Arztbesuch herum. Aber jetzt gab es erst mal Kaffee in netter Gesellschaft, das würde ihn schon wieder gerade rücken.

      Auf dem Weg zum Parkplatz begegneten ihm Walter Haferkorn und der “Arme”, wie Frey ihren neuen Pressesprecher nannte. Anfangs war Frey sich sicher gewesen, dass Walter den Mann nur aus Mitleid eingestellt hatte. Welcher Dreißigjährige hieß heute schon noch Richard? Und dann auch noch Wagner? Armer Kerl!

      Es hatte sich aber schnell herausgestellt, dass Richard nicht nur ein sehr sympathischer und humorvoller Mensch, sondern auch ein wirklich fähiger Ersatz für Bernd Breckerfeld, seinen treulosen Vorgänger, war. Seinen Spitznamen hatte er trotzdem weg.

      Zwar besaß der „Arme“ offenbar die gleiche Vorliebe für maßgeschneiderte Anzüge wie Breckerfeld. Im Gegensatz zu Bernd, der trotz edler Stoffe stets schmierig und ungepflegt gewirkt hatte, sah Wagner damit aber auch wirklich gut aus. Maike, die Maskenbildnerin, hatte gleich am ersten Tag geschwärmt, Wagner könne glatt einem Hochglanzmagazin entsprungen sein. Und wie er Frey gerade mit Haferkorn entgegen kam, knapp 1,90 Meter groß, mit lässig aufgeschlagenem Hemdkragen und seinem gewinnenden Zahnpasta-Lächeln, musste der Schauspieler ihr insgeheim zustimmen. Dass Wagner auch über den zugehörigen Körperbau verfügte, ließ sich selbst unter mehreren Lagen des feinen Zwirns noch erahnen.

      “Na mein Junge,” dröhnte Haferkorns tiefer Bass Frey entgegen. “Willst du schon wieder weg?”

      Frey kannte den 56jährigen Filmproduzenten und seine Frau Elli schon über zwei Jahrzehnte. Die ehemaligen Nachbarn seiner Pflegeeltern hatten sich um den orientierungslosen Teenager gekümmert, hatten seine Talente gefördert und über die Jahre war besonders Walter zu einem väterlichen Freund für ihn geworden. Seit einiger Zeit waren sie nun auch noch Geschäftspartner in der Produktionsfirma “HFP” - Haferkorns Film Produktionen.

      “Bin auf dem Weg zu Anna, Jahrestag feiern”, antwortete Frey.

      Ein Schatten huschte über Haferkorns breites Gesicht. Auch er war in die Geschehnisse rund um die Brender-Morde und Freys Entführung involviert gewesen und fühlte sich bis heute für den Tod ihrer Sekretärin Kitty verantwortlich. Niemand konnte ihm das ausreden. Dabei hatte keiner von ihnen ahnen können, dass Kittys Freund in Wahrheit nicht Daniel Pfeiffer, sondern Tom Lorenz hieß und nicht der nette Kerl war, für den er sich ausgab.

      Als wolle er die finsteren Gedanken wegwischen, rieb Haferkorn sich über seine in fast zwei Metern Höhe befindliche Glatze und begann mit ihr um die Wette zu strahlen.

      “Dass ihr euch immer noch nicht gekriegt habt”, polterte er mit einem schelmischen Grinsen. “Das soll mal jemand verstehen. Ihr würdet so ein nettes Pärchen abgeben!”

      “Was nicht ist, kann ja noch werden,” rief Frey unverbindlich und verschwand mit eiligen Schritten zu seinem Auto, bevor Haferkorn weiter an diesem Thema rühren konnte.

      Natürlich würden sie ein großartiges Paar abgeben und nichts wäre ihm lieber als das. Aber er hatte keine Lust, jetzt vor dem “Armen” auszubreiten, was ihn davon abhielt, Anna seine Gefühle für sie zu offenbaren. Das ging Richard einfach nichts an. Es reichte auch so schon, dass quasi ganz Deutschland über Hintergründe zu ihrem Leben informiert war, die eigentlich privat hätten bleiben sollen. Die Klatschpresse hatte noch Monate nach dem tragischen Ende ihrer Geiselnahme nicht das Interesse an ihrem „Schicksal“ verloren.

      Ganz abgesehen davon, wäre das auch nicht mal eben so erklärt. Es gab viele Gründe für seine Zurückhaltung. Annas Vergangenheit hatte nichts damit zu tun. Es war kein Problem für ihn, dass sie ihr halbes Leben als Prostituierte, zuletzt gar als Domina gearbeitet hatte. Er war bislang wahrlich kein Kostverächter gewesen und hatte schon sexuelle Beziehungen zu Frauen mit noch wesentlich zweifelhafterem Ruf gehabt.

      Aber Anna war ihm zu wertvoll, als dass er ihr gutes Verhältnis zueinander durch einen Schnellschuss hätte gefährden wollen. Was, wenn ihre Beziehung, wie all seine Liebesgeschichten bisher, irgendwann scheitern würde? Ihre Freundschaft wäre dann sicherlich auch zerstört.

      Schon in dem Augenblick, als sie ihm vor dem Hotel in die Arme stürzte, war es um ihn geschehen gewesen. Doch die unmittelbar darauf folgende Entführung und alles, was dann geschah, machten es ihm unmöglich, ernsthaft an eine feste Beziehung zu denken. Tom Lorenz hatte dafür gesorgt, dass Anna sich vermutlich nie wieder einem Mann hingeben würde und wenn, dann musste die Initiative von ihr selbst ausgehen. Er wollte sie auf keinen Fall zu irgendwas drängen.

      Momentan begnügte er sich also damit, ab und an ihre Gesellschaft zu genießen und sich an den Fortschritten ihrer Genesung zu erfreuen.

      Für Kölner Verhältnisse kam er sogar erstaunlich gut durch und so dauerte es nicht lange, bis er mit einem Kribbeln in der Magengegend vor Annas Tür stand und die Klingel neben dem Schild Lorenz/Meyer drückte.

      “Ja?”, hörte er Viviens Stimme aus dem Lautsprecher.

      “Champagnerlieferservice”, rief er. “Ich habe hier eine Lieferung für...”

      Keine Sekunde später summte der Türöffner und er betrat grinsend den Flur.

      In der Hoffnung, dass man ihm sein unfreiwilliges Nickerchen auf der Tastatur des Rechners nicht allzu sehr ansehen würde, strubbelte er mit geübter Geste durch sein dichtes, stets etwas zu langes schwarzes Haar und pustete sich eine Strähne aus dem Gesicht.

      Frey wusste ganz genau um seine Wirkung auf Frauen, schließlich bescheinigten ihm sogar Kritiker und Neider ein umwerfendes Äußeres und einen geradezu unwiderstehlichen Charme. Er hatte sich auch nie gescheut, diesen Umstand für seine Zwecke auszunutzen. Aber für Anna wollte er tatsächlich gut aussehen. Schon alleine, damit er sich nicht ganz so sehr wie ein liebeskranker, pickliger Teeny fühlte, was er sich selbst gegenüber allerdings nie zugeben würde. Die Tatsache, dass er es diesmal war, der erobern wollte, war für