Ulrich Robin

C'est la Vie


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ist, wollten es sicherlich auch nicht genau wissen, aber endeten in ihrer Eloge auf den tapferen Patienten, das bin ich, meist bei der allgemeinen Weltlage, die ja auch immer bedrohlicher wird, und solcherart Krankheiten fördert.

      Eine Subspezies dieser Gruppe ist diejenige, die sich um meine Potenz Sorgen macht, aber das sind die wenigsten, immerhin ist ihr Verlust, wenn er denn eintritt, unter Freunden ein sehr delikates Thema. Die Motivation ihrer Besorgnis erschließt sich mir nicht wirklich. Möglich, dass es von ihrer überbordenden Phantasie irregeleitete Opernfreunde sind, die mich schicksalsmäßig zwischen Farinelli und Wächtern vor dem Serail ansiedeln, oder aber möglich, dass es ihnen an Phantasie mangelt, und sie Anteil nehmen wollen, woran auch immer.

      Eindringliche, fast aufdringliche Beratung wurde mir durch diejenigen Freunde zuteil, denen eines gemeinsam ist: das Interesse an der medizinischen Materie. Gewissermaßen repräsentieren sie die Gesellschaft der Freunde der Medizin. Diese Freunde, nämlich der Medizin, gehen medizinischen Dingen auf den Grund, sparen nicht mit Ratschlägen und Verbesserungsvorschlägen, und sind sowieso der Meinung, dass der Operateur auch ihre Meinung hätte zur Kenntnis nehmen sollen. Sie wissen um die Problematik für den Operateur, die Unversehrtheit des Schließmuskels wahren zu müssen, und die nervenerhaltende radikale Prostatektomie operationstechnisch zu verwirklichen. Kurzum, sie sind auf Augenhöhe mit den Kapazitäten der Uroonkologie. Sie sind auch in der Lage, alle Vorteile und alle Nachteile der invasiven Operationstechnik, im Vergleich zur konventionellen Schnitttechnik, abzuschätzen, ein Thema allergrößter Wichtigkeit bei der Entscheidung, wo und wie zu operieren sei. Sie kennen natürlich auch alle Kollateralschäden, will sagen Nebenwirkungen und Nachwirkungen der verschiedensten Therapien, die der Bedauernswerte, der durch die Operation der Prostata verlustig gegangen ist, zu gewärtigen hat.

      Ebenso wenig aus dem Wege gehen konnte ich den Anmerkungen jener, die „alles“ schon mitgemacht haben. Wenn sie sich möglicherweise bislang nicht in dieser Sache geäußert hatten, weil diese Krankheit kein salonfähiges Thema war, so scheint mein Jetztzustand sie jedoch zu Anmerkungen unterschiedlichster Qualität zu inspirieren. Zwar wissen sie ob der Vielfalt ihrer Erfahrungen nicht, wie und wo sie anfangen sollen. Wenn sie denn angefangen haben, finden sie kein Ende. Sobald ich ahne, dass sie mir als Beweis ihrer Kompetenz die kaum sichtbare Narbe ihrer Operationswunde – kaum sichtbar, weil sie sich bewusst für die invasive Da Vinci Methode entschieden hatten – zeigen werden, winke ich ab. Ich habe das Gefühl, dass sie wie Kriegsversehrte sind, die darunter leiden, dass ihre Versehrtheit nicht sichtbar ist, will heißen, nicht genügend gewürdigt wird. Was Ihre Sachkompetenz betrifft, so lebt sie vom Insiderwissen. Das reicht von der Krankenhauswahl bis zum vorteilhaften Abrechnen bei der Krankenkasse. Medizinische Kommentare sind eher selten – was soll man auch noch Worte verlieren über ein Organ, das man nicht mehr hat.

      Außerordentlich bedrängt fühle ich mich durch diejenigen, die noch nicht einmal vorgeben, mitfühlend oder anteilnehmend zu sein, sondern – so scheint es mir – ihren Wissenshorizont erweitern wollen. Das Spektrum ihrer Beweggründe, Interesse zu zeigen, ist sicherlich weit gespannt. Einigen Interessierten unterstelle ich, dass sie Informationen und Daten sammeln, so, als seien sie in Sachen Datenhandel unterwegs, oder für die Nachrichtenbörse, wo keine Inhalte gehandelt werden, sondern nur Worte. Was alle diejenigen bewegt, die weniger zielgerichtet in ihrem Informationshunger sind, und Interesse zeigen, ist jedermanns Interpretation überlassen. Mutmaßlich sind die Beweggründe ähnlich wie die der Katastrophentouristen, die die Rheinufer bei Hochwasser säumen – die Gelegenheit nutzend, das zu sehen und zu hören, was sie schon immer über die Prostata und ihre Altersproblematik wissen wollten.

      Mit dem Aufenthalt in der Rehabilitationsklinik soll alles anders werden. Denn es ist uns von den empfehlenden Ärzten gesagt worden, dass es eine wichtige Aufgabe der Rehabilitationskliniken sei, Menschen mit gleichen Leiden zusammenzuführen, damit sie sich über ihre Probleme austauschen können und zugleich Erfahrungsaustausch betreiben. Einerseits sehe ich mit positiven Erwartungen den Austauschen entgegen, andererseits hätte ich gerne vorab gewusst, von welcher Qualität die so gelobten Gedanken- und Erfahrungsaustausche sein werden. Natürlich erhoffe ich mir eine andere Qualität der Anmerkungen von Betroffenen, verglichen mit der der Beiträge der selbsternannten Experten von der Seitenlinie. Vor allem vertraue ich darauf, dass die Betroffenen, angesichts der tiefen Spuren, die der operative Eingriff hinterlassen hat, und angesichts der drastischen Folgen für Leib und Seele, Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden können, und außerdem die kommunizierten Erfahrungen nicht bei der Alters-Prostataoperation beginnen, und mit der Zahnregulierung aus der Jugendzeit enden. Aber wer weiß das schon.

      KAPITEL ZWEI

      Gemäß freundlicher Empfehlung der Klinikleitung sollten wir, die wir erstmals von der Klinik betreut werden, uns in einer ersten Phase mit den Maßnahmen der Rehabilitationstherapie vertraut machen, ehe wir in den Therapiealltag einsteigen, wie auch immer der aussehen wird. Dies ist nicht einfach. Zwar werden wir eingewiesen durch ausgehändigte Terminpläne, Auflistung von Meilensteinen und der Darlegung des Erwartungshorizontes – hier werden wohl die Anweisungen eines Projektmanagement-Handbuchs recht genau befolgt – und auch bin ich bereits seit dem ersten Tag im Besitz eines auf meine individuellen Bedürfnisse zugeschnittenen Therapieplanes, dennoch bewege ich mich noch keineswegs sicher bei der Anwendung des Maßnahmenkataloges. Früher verschaffte man sich einen Überblick durch Befragen der als zuständig erkannten Person, heute scheint das schwieriger geworden zu sein, da wir uns wohl soeben in einer Organisationsphase der Dezentralisierung befinden. Also mache ich mich auf den Weg, mich mittels Nachfragen bei den Betroffenen zurechtzufinden.

      Mein erstes Gespräch mit einem Mitbewohner der Klinik verläuft holprig. „Sind Sie auch mit Prostata hier?“ werde ich gefragt. „Nein.“ „Aha, was dann?“ „Ich bin ohne Prostata hier.“ „Ah so. Na ja. Hauptsache gesund.“ Bereits jetzt muss ich erkennen, dass ich eine der wesentlichen Zielsetzungen des Aufenthaltes, nämlich durch Gedankenaustausch mit Gleichgeschädigten das seelische Gleichgewicht wieder zu erlangen, verfehlen werde.

      Es ist nur natürlich, das heißt ganz im Sinne der hiesigen Therapieschule, dass die Klinik es sich angelegen sein lässt, ihre Patienten über die therapeutischen Maßnahmen hinaus auch spirituell zu betreuen, sofern sie interessiert und motiviert sind. Den Verabredungen einiger aktiver Mitbewohner und ihrer geäußerten Vorfreude auf gemeinsame Abende konnte ich diesbezüglich schon entnehmen, dass an Möglichkeiten kein Mangel herrscht. Denn um die Therapie herum haben sich vielfältige Angebote zur Zerstreuung angesiedelt. Sie werden den Interessierten durch Aushang unterbreitet – später werde ich feststellen, dass viele Angebote identisch sind mit denen des Kurbetriebs der Gemeinde. In Kenntnis dessen wundere ich mich nicht mehr, dass mir als eine der nach-therapeutischen Betätigungen vorgeschlagen wird, einen Vortrag über eine Reise zum Nordkap zu besuchen. Ich versuche zu sortieren und zu kategorisieren, was mich – angebotsmäßig – in den nächsten drei Wochen aufheitern soll. Ein Klavierabend? Oder der wöchentliche Tanztee? Oder sonntägliche Gottesdienste? Busfahrten in die Umgebung oder in Nachbarstädte? Hier hätte ich Klärungsbedarf, was Mitreisende betrifft. Wer jemals an einer Moselfahrt teilgenommen hat, während der Mitreisende lautstark sangen, man könnte auch sagen, sich fragten, warum es am Rhein so schön ist, wird das verstehen. Bei angebotenen Spieleabenden mit Dart-Werfen ist es schon leichter auszusteigen, als auf einer Busreise. Die musische Sektion bietet Vorschläge, die von gemeinsamem Singen über Oper- und Theaterbesuche – falls sich eine Theatertruppe während des jeweils dreiwöchigen Aufenthalts des Patienten hierhin verirrt – bis zu Museumsbesuchen reicht, aber auch die Teilnahme an einem Vortrag empfiehlt, der Volkskunst und Brauchtum der Umgebung zum Gegenstand hat. Filmvorführungen verstehen sich von selbst, und das Angebot eines Kurses „Formen und Malen“ überrascht auch nicht. Fast übersehen hätte ich die Empfehlung der Teilnahme an den lebensnahen Unterweisungen „Wie verfasse ich meine Patientenverfügung“ und „Wie verfasse ich mein Testament“. In deutlicher, klarer Schrift hat jemand seinen eigenen Vorschlag hinzugefügt: „Wie gestalte ich mein Grab“.

      Die Einladung der Klinik, die Rehabilitationsmöglichkeiten in ihrem Institut zu nutzen, schloss ausdrücklich Ehefrauen mit ein, mit dem Hinweis auf Wohnmöglichkeiten im Klinikgebäude oder in nahegelegenen Unterkünften.