Wolfgang Kirchner

Was für ein Film könnte hier spielen?


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der Kirche anfertigen. Mit vielen Gästen feierten sie im Ballsaal der Trattoria Treselo. Im Müggelsee ertranken sie bei einem Segeltörn. Das Bestattungshaus Münzel nahm den tief bekümmerten Eltern alle Sorgen um die doppelte Bestattung ab, sorgte für einen Trauerredner. Und der war ich...“

      So beginnt ein Film, dessen Dreharbeiten in diesen Tagen in Friedrichshagen beginnen. Mit den geschilderten traurigen Ereignissen endet die Filmstory nicht. Regisseur Andreas Dresen, unterstützt von Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase, begleitet die allzu früh Verstorbenen ins Paradies – er lässt sie zurückkehren in eine DDR, die dem Traum von einer heilen Welt zu 97,5 % nahekommt. Niemand beklagt sich hier über Hartz IV, weil alle Werktätigen Niedriglöhne haben. Im Paradies der Werktätigen werden die Häuser nicht zwangsweise wärmegedämmt, daher bleiben die Mieten erschwinglich. Die Kids müssen hier vierzehn Jahre auf ein Smartphone warten, daher können sie sich zu ganz normalen Staatsbürgern entwickeln. Niemand braucht Flüchtlinge aus dem Nahen Osten oder Afrika zu fürchten oder Neonazis, die sie bekämpfen - der Schutzwall ist dicht. Wer hier Liebes- oder sonstigen Kummer hat und eine Selbstverpflichtung als IM, findet jederzeit ein offenes Ohr bei seinem Führungsoffizier. Wer einen Wessi-Bekannten denunziert, kann zur Belohnung mit Familie eine schöne Zeit am Ostseestrand verbringen, und wer Urlaub auf der Krim machen möchte, wird nicht mit Rotarmisten verwechselt, die dort als Urlauber getarnt ihr Unwesen treiben.

      Die Filmproduktion kalkuliert mit Scharen von Ossis, die sich das Porträt eines sanften Unrechtstaates zwei- oder dreimal ansehen werden. Auf der nächsten Berlinale ist dem Streifen, wie vielen Filmen von Dresen, ein silberner oder sogar goldener Bär gewiss.

      Eine Schulstunde unter den Augen Europas

      Senftenberger Ring (Reinickendorf)

      Die Augen Europas sind auf das Märkische Viertel gerichtet - Arte plant eine Reportage aus dem Atrium. Heute wird die neu gestaltete Gartenanlage des Reinickendorfer Kulturzentrums eingeweiht. Auf der Terrasse tobt sich eine Schülerband aus. Später drängt alles in den Theatersaal. Vor laufender Kamera gesteht die Leiterin des Theaterkurses, sie habe keine Ahnung, was gleich auf der Bühne geboten wird. „Wir haben unseren Kindern diesmal freie Hand gelassen“, lacht Gisela Burda. „Das einzige, was wir herausgekriegt haben: die Geschichte spielt in einem Sportverein...“

      Der Vorhang öffnet sich und gibt den Blick frei auf eine Dusche, unter der ein jüngerer Schüler steht. Zu ihm gesellt sich ein älterer Schüler, er trägt um den Hals ein Schild mit der Aufschrift Trainer. Den Zuschauern stockt der Atem, als der Trainer Hand an das Kind legt, das sich vergeblich zu wehren versucht. Szenenwechsel. An einem Barren turnt ein Junge. Der Trainer leistet Hilfestellung, greift dem Jungen in den Schritt. Leise Schreie des Entsetzens aus dem Zuschauerraum. Ein Kind schlüpft in ein Zelt, der Trainer kriecht hinterher. Heftig bewegen sich die Zeltbahnen. Vereinzelt Rufe aus dem Zuschauerraum: „Aufhören!“ Andere zischen: „Weitermachen!“

      Zerzaust kommt der Junge aus dem Zelt. „Mir glaubt einfach keiner!“ ruft er den Zuschauern zu. Er sei gezwungen worden, bestimmte Handlungen zu vollziehen, für die es Fachworte gebe, die nicht jugendfrei seien. Derweil werden Bilder eines Zeltlagers auf die Rückwand der Bühne geworfen. Am Lagerfeuer betatscht ein Erwachsener kumpelhaft Kinder in Sportkleidung.

      „Ich wusste nicht, was passiert“, sprechen die Kinder im Chor. „Ich hoffte, dass es möglichst schnell vorbei ist und nicht wieder passiert... Ich dachte, ich bin der einzige, dem er sich so liebevoll zuwendet.“ Sie halten Schilder hoch mit dem Logo des Sportvereins, mit Namen und Adresse des Trainers, mit einem Foto von ihm. „Was wir uns wünschen: Dass dieser Mensch keine Macht mehr über mich ausüben kann...!“

      Hinterher beim kalten Buffet wendet Schulleiter Lutz Lienke sich an die Arte-Moderatorin Anja Höfer. „Das werden Sie hoffentlich nicht ungeschnitten senden?“ fragt er besorgt.

      Panzerknacker als sexlose Verführer

      Linienstraße (Mitte)

      Einen der wenigen deutschen Filmstars kann man derzeit im malerischen Innenhof des Hauses Nr. 145 am Schraubstock einer Geldschrankschlosserei bewundern - falls man vom Aufnahmeleiter nicht verjagt wird: Sophie Rois steht wieder vor der Kamera, und mit ihr Devid Striesow und Sebastian Schipper. Mit den bewährten Darstellern will Tom Tykwer an seinen Filmerfolg Drei anknüpfen. Die noblen Galerien und Architekturbüros der Linienstraße lässt er links liegen, dreht diesmal in proletarischem Milieu. In der Rolle des Schlossermeisters Krauss ist Devid Striesow ein charmanter Verführer. Mit melancholischem Lächeln steht er hinter Sophie Rois, die sachkundig an einem komplizierten Sicherheitsschlüssel herumfeilt – bald wird vor ihr kein Safe mehr sicher sein. Durchs Hoffenster schaut Sebastian Schipper herein, bereit, mit beiden anzubandeln - ob aus Lust oder Berechnung, bleibt eines der vielen Geheimnisse des Drehbuchs. Schipper, der in Tykwers neuem Film einen Undercover-Safeknacker spielt, hat sich in der Geldschrankschlosserei bereits Insiderkenntnisse angeeignet. Der letzte Schliff fehlt ihm noch, daher wird er sowohl Sophie als auch dem Schlossermeister Avancen machen. Wird er sich je für einen von Beiden entscheiden? Man sollte vielleicht nicht alles immer verstehen wollen.

      Gefragt nach der Story und ihrer Relevanz für die heutige Zeit, hält Tykwer sich bedeckt. "Diesmal geht es mir nicht nur um Sex", erklärt der Regisseur in einer Drehpause am Cateringwagen, "wenn auch größtenteils. Was zwischen den Geschlechtern passiert, hat eben auch politische Bedeutung." Die Dialoge klingen abgehoben akademisch wie stets in seinen Drehbüchern. Man redet zwar von Dingen des täglichen Gebrauchs, von Schlössern und Schlüsseln, doch die müssen vor allem als sexuelle Metaphern herhalten. Auf eine für das Arbeitsleben ungewöhnlich spielerische Weise gehen die Beteiligten in dieser Werkstatt miteinander um. Auftragsdruck und dürftige Entlohnung sind kein Thema, es gibt weder Mobbing noch betriebsbedingte Kündigungen. Wie wird Tykwer diesmal vermeiden, dass seine Geschichte uns kalt lässt?

      Die Avus ist wieder im Rennen

      Avus (Grunewald)

      Seit Bahrein als Austragungsort für die Formel 1 aus dem Rennen ist, plant eine Berliner Produktionsfirma im Auftrag des Senats einen Film, der die Avus als internationale Sportstätte wieder ins Gespräch bringen soll. Die historische Rennstrecke, an der einst sogar Hitler dem Rausch der Geschwindigkeit erlag, soll bis zum ehemaligen Grenzübergang Dreilinden verlängert werden. Ältere Westberliner erinnern sich mit gemischten Gefühlen an den Boxenstopp, den sie dort regelmäßig einlegen mussten. Gewisse Schikanen kann der eine oder andere den DDR-Grenzern nicht vergessen.

      Michael Schumacher hat sich bereiterklärt, in dem geplanten Film die Rolle des siegreichen Michael Schumacher zu übernehmen; Schumi versichert, auf der Avus eine rote Flagge zu überfahren wie in Budapest. Als man ihn bittet, einen Kollegen an die Boxenwand zu drücken, sagt er, darüber lasse sich reden. Wegen der Regie ist man mit Til Schweiger im Gespräch. Til soll bereits sein Einverständnis signalisiert haben - unter der Voraussetzung, dass ein zusätzliches Kamerateam ihn kontinuierlich beim Regieführen filmt.

      Vorsorglich werden auf dem Grünstreifen alle Bäume gefällt, damit die Kamera freies Blickfeld hat. Bei den Anwohnern der Avus kursiert eine Unterschriftenliste mit der Forderung, die Lärmschutzmauer einzureißen, so dass jeder die Dreharbeiten vom eigenen Balkon aus verfolgen kann.

      Kopfzerbrechen bereitet der Senatsverwaltung allerdings ein technisches Problem: Wird es gelingen, den Funkturm rechtzeitig mit einer modernen Lichtanlage zu versehen, so dass er des Nachts noch bunter flackert als der Eiffelturm? Sonst könnte es sein, dass die Formel 1 auf die Champs-Élysées abwandert.

      Feinkost für die Steglitzer Geiseln

      Schlossstraße (Steglitz)

      Im Bierpinsel werden seit Tagen der Chef von Veolia Wasser, Michel Cunnac, Berlins CDU- und Landeschef Frank Henkel sowie mehrere Mitglieder