Ludwig Witzani

Karibisches Reisetagebuch


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nach La Romana brachte. Wir fuhren abwechselnd durch wenig attraktive, flache Landschaften und ausgedehnte Uferstädte. Ich hatte ganz vergessen, wie nervig die Durchquerung verstopfter Stadtzentren war. Lauter überfüllte und verbeulte Kleinbusse versperrten den Durchgangsverkehr. Wie eine Insektenplage schossen die Motorradfahrer links und rechts aus den Seitenstraßen heraus.

      Unsere Bed- und Breakfast Unterkunft „table d´hote“ in La Romana wurde von Madame Catharine geleitet, einer schlanken Französin, die uns in weiten Gewändern und mit einem Punsch empfing. Madame Catharine war 65 Jahre alt, hatte sich aber die zeitlose Schönheit einer Elbin bewahrt. Braun gebrannt und faltenlos war sie die Herrin von fünf Hunden, vier Katzen und einer Schar von Bediensteten, über die sie wie eine Königin regierte. Soweit ich sie verstanden habe, hatte sie die Liebe zu einem Dominikaner nach La Romana geführt. Diese Liebe muss böse gescheitert sein, doch im Zuge einer komplizierten Scheidung hatte sie das schöne Haus oberhalb von La Romana mit Meerblick und Garten erworben. Unsere Mitgäste bei Madame Catherine waren August und Marianne aus Overath bei Köln. Auch August und Marianne wollten wie wir am nächsten Tag auf der AIDAdiva einchecken. August besaß die Hakennase eines Renaissancefürsten und kräftige Beine, mit denen er wie der Herrscher des Abendlandes durch das Guesthouse lief. Seine Frau Marianne war kleiner und auf eine mädchenweise Weise hübsch, wenngleich ein einziger Satz von ihrer Seite genügte, um zu erkennen, dass sie eine kleine Katze war.

      Der lange Anreisetag schloss mit einem Abendspaziergang durch La Romana. Der Ort zog sich in dichter Bebauung einen Hügel empor und war völlig gesichtslos. Das einzig Bemerkenswerte waren die selbst in den Seitengassen bunt angestrichenen Fassaden. Sie kontrastierten mit einer lückenlosen Vergitterung von Türen und Fenstern. Mir fiel ein, dass ich diese Vergitterungen schon oft gesehen, aber nie wirklich zur Kenntnis genommen hatte. Ich erinnerte mich an Spaziergänge durch Lima oder Quito, in denen alle Wohnhäuser lückenlos vergittert gewesen waren. Das andere Extrem repräsentierte eine Erinnerung an eine Kanufahrt durch die schwedischen Fjorde, an deren Ufern wir die Ferienhäuser samt und sonders unverschlossen gefunden hatten. Das Ausmaß der Vergitterung als ein sichtbarer Indikator für die Kriminalität im Hintergrund?

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      AIDAdiva

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      Das Schiff

      Am nächsten Morgen sahen wir von der Terrasse des table d´hote, dass die AIDAdiva bereits angelegt hatte. Was für ein Pott! Zusammen mit August und Marianne nahmen wir ein Taxi zum Kai. Immer raumgreifender wuchs das gewaltige Schiff vor uns empor, ein Wunder des 20. Jahrhunderts, das auch Technikkritiker ins Staunen brachte. Es war 251 Meter lang und 32 Meter breit und hatte über 300 Millionen Euro gekostet, eine Stadt auf dem Meer mit sechshundert Mann Besatzung und einer Kapazität von über zweitausend Passagieren.

      Die AIDAdiva war aber nur eines von aktuell dreizehn Schiffen einer ganzen AIDA-Flotte. Sie gehörte über diverse eigentumsrechtliche Verschachtelungen zur US-amerikanischen Carnival Corporation, dem mit Abstand weltgrößten Kreuzfahrtanbieter der Welt mit Hauptsitz in Miami. Ursprünglich war das AIDA Konzept eines „Cluburlaubs auf See“ bereits in den Neunziger Jahren von der „Arkona Touristik“ in Deutschland entwickelt worden, hatte sich aber zunächst auf dem Markt nicht durchsetzen können. 1999 hatte die britische Reederei P&O Princess Cruise das Kreuzfahrtgeschäft der „Arkona Touristik“ erworben. Als die P&O Princess Cruise ihrerseits am Beginn der Nuller Jahre von der US-amerikanischen Carnival Corporation „geschluckt“ wurde, kam die AIDA gleichsam zufällig zum größten Kreuzfahrtkonzern der Welt. Dieser Transfer sollte sich als Glücksfall erweisen, denn die Carnival Corporation investierte zwischen 2007 und 2013 mehr als zwei Milliarden US-Dollar in den Bau einer ganzen Generation neuer AIDA-Kreuzfahrtschiffe. Nicht weniger als sieben Riesenschiffe, darunter auch die AIDAdiva, wurden innerhalb von sieben Jahren auf Kiel gelegt und gebaut. Die imposanten schneeweißen Kreuzfahrtschiffe mit ihrem Kussmund-Logo am Bug und ihrem All-Inclusive-Konzept fanden beim Publikum enthusiastischen Anklang. Schnell wurde AIDA als klar erkennbare „Marke“ fest etabliert und stieg mit 1,7 Milliarden Euro Gesamtumsatz zum Marktführer in Deutschland auf. Damit war die AIDA-Gruppe am Umsatz gemessen doppelt so groß wie der etwas später entstandene Hauptkonkurrent TUI-Cruises mit der „Mein Schiff“-Flotte. Aus steuerrechtlichen Gründen segeln die dreizehn AIDA-Schiffe heute unter italienischer Flagge, ebenso wie die Costa-Schiffe, die auch zum Carnival-Konzern gehören.

      Man sollte es nicht für möglich halten, aber innerhalb der AIDA Flotte gehörte die AIDAdiva mit ihren knapp 70.000 Bruttoregistertonnen (BRT) und ihrer Kapazität von ca. zweitausend Betten inzwischen zu den eher „kleineren“ Schiffen. Das inzwischen neueste und größte Schiff der AIDA Flotte, die AIDAnova, war 183.900 BRT schwer und mit ihrer Passagierkapazität von etwa fünftausend Betten das zweitgrößte Schiff der Welt.

      Aber zurück zur AIDAdiva. Das Einchecken in einem besonderen Abfertigungsbereich verlief professionell und problemlos. Wir gaben die Koffer ab, erhielten zwei AIDA-Kreditkarten, mit denen wir während der Reise auf dem Schiff bezahlen konnten. Der Altersschnitt der Passagiere war gut gemischt, wir gehörten durchaus zu den älteren Semestern. Ein kleiner Fauxpas meinerseits trübte jedoch die Stimmung. Als ich Marianne bei dem Betreten des Schiffes nach ihrer Kabinennummer fragte, gab sie zurück: „Auf dem vierten Deck“. Als ich antwortete, dass sich unsere Kabine auf dem siebten Deck befinde, antwortete sie schnippisch: „Wie schön für euch.“ Erst später wurde mir klar, dass mich meine Frage als absoluten Kreuzfahrtneuling enttarnt hatte. Nach der Kabine fragt man unter Kreuzfahrtgästen nicht, denn alles, was unterhalb des sechsten Decks liegt, ist popeliges Kreuzfahrt-Economy, und wer will schon gerne zugeben, dass er dort wohnt? Jedenfalls waren durch meinen Lapsus unsere Beziehungen zu Marianne und August beschädigt. Wir sollten uns zwar noch dann und wann auf dem Schiff oder auf dem Land sehen, wurden aber gemieden. So schnell kann man Freunde fürs Leben verlieren.

      Unsere Kabine auf dem 7. Deck übertraf unsere Erwartungen bei weitem. Sie war hell, keineswegs zu eng und besaß einen Balkon mit freier Aussicht auf das Meer – um genauer zu sein: unsere Kabine war inklusive Balkon 23 m² groß, etwa sechs Meter lang und dreieinhalb Meter breit. Das Bad war klein, aber funktional, es besaß eine Stehdusche und ein Waschbecken. Die Kabine enthielt weiterhin einen Schrank mit Safe und einen schmalen, mehr angedeuteten, als realen Schreibtisch mit Stuhl und Spiegel unter dem Fernseher, der etwas erhöht an der Wand angebracht war. Hinter den beiden Betten gab es noch eine kleine dreiteilige Sitzgruppe vor der breiten Fensterfront. Auf dem etwa sechs Quadratmeter großen Balkon befanden sich zwei Stühle und, wie wir erst einen Tag später entdecken sollten, sogar eine Hängematte. Auch die von uns bestellte Kaffeemaschine war bereits da, so dass wir mit einem frischen Kaffee auf unserem Balkon unsere Ankunft feierten. Auf dem Balkon eines Kreuzfahrtschiffes zu sitzen, Kaffee oder Wein zu trinken und auf Land und Meer zu blicken, gehört zweifellos zu den größten Genüssen, die eine Kreuzfahrt zu bieten hat. Wir blickten auf die Küste von La Romana, sahen den Hügel oberhalb der Stadt, wo Madame Catherine residierte und beobachten, wie zwei Busse vor der Ankunftshalle stoppten. Sie brachten jene AIDA-Passagiere zum Schiff, die den schweineteuren Direktflug von Frankfurt nach La Romana gebucht hatten.

      Wie neugierige Kinder liefen wir den ganzen Tag durch die AIDAdiva, passierten das monumentale Auditorium, besuchten diverse Bars und Restaurants, Wellnessbereiche und Sporträume und lernten erst nach geraumer Zeit, uns innerhalb der Vielfalt der Treppen und Gänge zu orientieren.

      Einen ersten Dämpfer erlebten wir beim Anblick des Pooldecks. Eine kaum überschaubare Menschenmenge, häppchenweise auf ihren Liegen parzelliert, briet in der Sonne, fußläufig entfernt von der Cocktailbar, an der es sich bereits die ersten Kreuzfahrtteilnehmer gutgehen ließen. „Macht nichts“, meinte Lilia. „Wenn es uns zu voll wird, bleiben wir einfach auf unserem Balkon.“ Ich fragte mich, was die Gäste machten, die nur eine Innenkabine