Ludwig Witzani

Karibisches Reisetagebuch


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mit Abstand größte und bedeutendste Insel der Niederländischen Antillen und konnte auf eine wechselvolle Geschichte zurückblicken. Kaum hatten die Holländer die Insel besetzt, waren im Jahre 1655 schon die ersten Juden nach Curacao gekommen. Sie etablierten ein neues Verfahren der Zuckerbleichung, intensivierten den transatlantischen Sklavenhandel und errichteten, fromm wie sie waren, in Willemstad die erste Synagoge der Neuen Welt. Auch Curacao briet jahraus jahrein unter einem regenarmen Himmel, so dass das Trinkwasser über Meerwasserentsalzungsanlagen gewonnen werden musste.

      Wieder befand sich die Anlegestelle unseres Schiffes in fußläufiger Entfernung zur Stadt. Rechter Hand erstreckte sich ein kleiner Platz mit der Statue des Befreiers Simon Bolivars. Man pflegte also die lateinamerikanischen Traditionen, hatte aber keine Lust, wirklich unabhängig zu werden, weil dann die fetten niederländischen Subventionen wegfallen würden. Linker Hand führte eine bewegliche Pontonbrücke nach Punda, dem touristischen Zentrum von Willemstad. Punda glich einem karibischen Disneyland mit einer lückenlosen Aneinanderreihung knallbunter Häuser mit Hollandfenstern und Amsterdamer Giebeln, Markengeschäften, Restaurants und Museen. Unmittelbar neben diesem Disneyland hatte im Süden Pundas der sogenannte „schwimmende Markt“ geöffnet. Er wurde von venezuelanischen Fischern betrieben, die fast täglich die Meerenge zwischen Curacao und dem südamerikanischen Festland überquerten, um im Schatten ihrer kleinen Schiffe Meeresfrüchte, Gemüse und Obst anzubieten. Hier waren wild gestikulierende Gesellen am Werk, und es war ein sehenswerter Anblick, die wettergegerbten Latinoamericanos Aug in Aug mit glattschneckenartigen Kreuzfahrttouristen um den Bananenpreis verhandeln zu sehen.

      Gegen Mittag spazierten wir zum alten Fort Amsterdam, das zu einem Luxusrestaurant umgebaut worden war. Gleich daneben begann wieder die Fußgängerzone von Punda, eine blankgewienerte Komfortzone, die sich so makellos darbot, dass man unwillkürlich den Impuls verspürte, die Schuhe auszuziehen.

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      Blick auf den Ortsteil Punda/Willemstadt, Curacao

      Authentisch oder touristisch zubereitet – so schön hatte ich mir Curacao nicht vorgestellt. Blitzblanke Karibik unter ewiger Sonne. Die Stimmung war entspannt bis an den Rand der Schläfrigkeit. Die Einheimischen saßen tiefschwarz und allzeit freundlich grüßend den ganzen Tag auf Bänken und Simsen und palaverten mit Ihresgleichen. So vielfältig der karibische Menschenschlag auch sein mochte, das Element der Gelassenheit schien ihr gemeinsamer Nenner zu sein.

      Allerdings waren auch hier die Geschäfte, Eingänge und Balkone sorgfältig vergittert. Man durfte sich also vom bunten Schein nicht täuschen lassen. Das wahre Ausmaß der Friedfertigkeit einer Gesellschaft zeigte sich am Ausmaß ihrer Vergitterung. Eine imaginäre Skala führt von wandlosen Fale-Fale-Häusern auf Samoa über die allseits offenen Haustüren im ländlichen Nordamerika bis hin zu den Wohnungs- und Hausfestungen Südamerikas. Wie sollte man es beurteilen, dass nun auch in Deutschland der Markt für Türschlösser und Sperranlagen florierte?

      Der Tag auf Curacao klang aus mit einer rauschenden Karibik-Party auf dem Oberdeck. Es gab erstklassige Steaks, süffigen Wein und Reggae Musik. Auch der Kapitän war anwesend und mischte sich unter das Volk, während seine Offiziere beim Bierausschank halfen. Wir aßen und saßen im Strandkorb auf dem zwölften Deck und sahen rund um uns die funkelnden Lichter von Willemstad. Über uns der gestirnte Himmel, in der Hand der Punsch, erfüllte uns ein Gefühl der Unwirklichkeit. Reisen als Mitte zwischen Illusion und Rausch. War es das?

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      Das Schönste unter Wasser: BONAIRE

      Ruhige Nacht, ruhiger Morgen, erster Kaffee auf unserem Kabinenbalkon. Auch der Nachbar war schon aufgestanden, ein etwas älterer Herr, der mich jedes Mal überrascht ansah, als könne er gar nicht glauben, welche Figur sich neben ihm einquartiert hatte. Meine Versuche, eine lockere Konversation von Balkon zu Balkon zu beginnen, schlugen völlig fehl. Seine Frau war eine strenge, fast quadratische Dame, die sich nie zeigte und von deren Existenz wir nur wussten, weil wir hörten, wenn sie ihren Gatten zur Schnecke machte.

      Die Insel Bonaire unterschied sich auf den ersten Blick in nichts von Aruba und Curacao. Kralendijk hieß die Hauptstadt der vierzig Kilometer langen und 288 qkm großen Insel. Hier lebten 1300 der 1600 Inselbewohner. Eine kleine Stadt mit dem unbestreitbaren Vorzug, nicht so überlaufen zu sein wie Oranjestad oder Willemstad, was aber einfach daran lag, dass es in Bonaire wenig zu sehen gab.

      Unsere erste aidagebuchte Tour über den Norden von Bonaire kostete 25 Dollar pro Person und dauerte zwei Stunden. Sie war konzipiert nach dem Prinzip einer leeren Zahnpastatube, die nach allen Regeln der Kunst ausgequetscht wurde, ohne dass etwas dabei herauskam. Unser Fahrer war ein schlanker, gutmütiger Farbiger, dessen Englisch kaum zu verstehen war. Zunächst fuhren wir die staubige Küste nach Norden und begutachten eine Tauchstation nach der nächsten, denn wie zu erfahren war, befand sich das Schönste an Bonaire unter Wasser. Der Bonaire Marine Park, unter Tauchern eine der allerersten Adressen, erstreckte sich fast die gesamte Inselküste entlang.

      Anschließend passierten wir große Öltanks, die sich gut in die staubige, völlig verbuschte Landschaft einfügten. Schließlich erreichten wir den „Flamingo Sanctuary Nationalpark“, dessen besondere Pointe darin bestand, dass das Betreten des Parks aus Vogelschutzgründen verboten war. Immerhin fuhr uns der Fahrer zu einem landschaftlich schön gelegenen Süßwassersee, auf dem mit Hilfe von Ferngläsern oder Teleobjektiven einige Flamingos in der Ferne zu erkennen waren. Höhepunkt unserer Inselumrundung war der Besuch einer Kaktuslikör-Fabrik in Rinsen, in deren Innenhof reichlich Hochprozentiges ausgeschenkt wurde. Das versöhnte allgemein, und leicht beduselt, brachten wir auch noch den Rest der Reise hinter uns. Sie bestand wieder im Anblick von Diwi Diwi Bäumen, aus Staub und Dunst und einem abschließenden Panoramarundblick vom Seroe Largu Hügel, von dem aus wir die Umrisse der Salzpfannen im Inselsüden sehen konnten. Alles in allem eine Erkundung, die man sich gut und gerne hätte sparen können. Findigere Reiseteilnehmer als wir hatten den Tag genutzt, um sich im Poolbereich der AIDAdiva einmal so richtig langzulegen.

      Während des zweiten „See-Tages“ fuhr die AIDAdiva von Bonaire nach Grenada. Diese Distanz legte das Schiff mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von elf Knoten zurück, was 21 km/h entsprach, so dass wir für die 740 km zwischen Bonaire und Grenada sechsunddreißig Stunden benötigten. Es stand also reichlich Zeit zum Ausschlafen, Essen, Trinken, Lesen und Shoppen zur Verfügung. Den größten Teil des Tages lag ich in der Hängematte auf unserem Balkon und blickte über das Meer. Im Süden zog die Küste Venezuelas vorbei, jenes vom Sozialismus ruinierte Land, das inzwischen von den meisten Kreuzfahrtschiffen nicht mehr angelaufen wurde, seitdem vor zwei Jahren ein Kreuzfahrttourist auf Isla Margarita ermordet worden war. Irgendwo im südlichen Dunst mochte Caracas liegen, die kriminellste Stadt Südamerikas, in der die meisten Menschen hungern mussten.

      In meiner Hängematte begann ich mit der Lektüre des Buches „Die Explosion in der Kathedrale“ des kubanischen Autors Alejo Carpentier. Die Hauptfigur dieses Romans war der karibische Abenteurer Victor Hugues, eine reale historische Gestalt, die im Rahmen der Französischen Revolution als Agent der radikalen Jakobiner auf den französischen Karibikinseln mit seiner Guillotine mächtig aufgeräumt hatte. Die harsche Kritik am Sozialismus und die überdeutlichen Anspielungen des Buches auf die aktuellen Zustände in Kuba hatten Alejo Carpentier von Seiten des Castro-Regimes übrigens wenig Beifall beschert. Ein nicht ganz einfaches, wuchtiges Werk mit philosophischem Anspruch und einer poetischen Sprache, das man während einer Kreuzfahrt an den Seetagen am besten nur vormittags lesen sollte, weil der Körper am Nachmittag zu stark mit der Verdauung des Mittagessens beschäftig ist.

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       Blick auf St. George vom Fort Frederic aus

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       Tanzvorführung im „Spice Basket“