Katja Darssen

High Energy


Скачать книгу

      „Bald wirst du hier groß erwähnt sein“, sagte sie.

      „Nicht ich. Der Wasserstoff-Akku!“ Natürlich wusste er, dass Isabel auf seinen Vorstandsposten bei der EnVer hinauswollte.

      Isabel schüttelte ein wenig den Kopf und gab ihm den Sportteil rüber. „Du kannst auch Politik haben, ich fange mit Rhein-Main an.“

      Die Kellnerin kam voll beladen wieder. Sie schob die Vase mit dem Herbstlaub ein Stück beiseite, stellte ein Stövchen auf und leerte ihr Tablett. In einer Hand seine halbe Zeitung haltend half Viktor der Kellnerin mit flüchtigen Handgriffen. Eine Kanne Assamtee, eine Tasse mexikanischen Kaffees, ein Korb Brötchen, zwei Teller, eine Tasse. „Den Rest bringe ich euch gleich“, sagte die junge Frau.

      Isabel lächelte Viktor an. Er sah zu seiner Frau hinüber. Das hier war ihr Sonntagmorgen.

      2 Ankunft

      Einen Augenblick lang blieb Axel stehen, um die Stahlträger zu betrachten. Er bemerkte dunkelblaue Eisenrosetten, die in das altertümliche Geflecht eingearbeitet waren und fragte sich, ob diese Konstruktion tatsächlich das Glasdach trug. Aus dem ICE stiegen immer noch Leute aus, andere drängten hinein. Knarzend dröhnende Lautsprecheransagen kommandierten die Herde. So unangenehm war es ihm auf keinem Bahnhof je aufgefallen. Widerwillig gab auch er sich dem Strom der Reisenden hin und eilte mit ihnen auf schwarzem Granit in nur eine Richtung. Er hatte keine Wahl. Sackbahnhof. Am Querbahnsteig war es unerträglich voll und augenblicklich war er in seiner Annahme bestätigt, sich etwas aufgehalst zu haben, das er nicht wollte. Menschen liefen, aßen, trugen, zogen, telefonierten. Im Zug war es noch friedlich gewesen. Doch jetzt sah niemand entspannt aus, trotzdem einige Leute dampfende Becher in den Händen oder kleine Kinder neben sich hatten. Nie hatte Axel diese Art von Mobilität vermisst. Muss ich jetzt noch einmal so tun, als wäre ich einer von denen? In einer fremden Stadt mit einer Adresse und Wegbeschreibung im Kopf? Das ist etwas für 18-Jährige! Michel sollte so etwas durchziehen. Nicht ich!

      Laut Kathrin sollte er mit der Straßenbahn Nummer 16 genau vor dem Bahnhof abfahren. Er folgte den Schildern und gelangte in eine Bahnhofshalle. Nein, in eine Kathedrale! Dort ließ er die Dimensionen auf sich wirken. Der typische Blumenladen, eine Krombacher-Sportsbar und ein Starbucks wirkten in der dunklen Halle komplett verloren. Er legte den Kopf in den Nacken. Die Wände sind bestimmt über zehn Meter hoch, überschlug er. Eine runde Bahnhofsuhr inmitten verzierter Sandsteinornamente zeigte viel zu verspielt die Zeit an. Darüber Fenster aus unendlich vielen Glasrechtecken. Dennoch blieb es hier drinnen dunkel. Aber da! Da oben unter der Decke hängt doch jemand. Was tut der da? Will der im Bergsteigergeschirr diese Scheiben putzen? Axel schaute nicht als einziger nach dem Mann mit dem leuchtend gelben, und wie es schien, riesigen Putzlappen. Jetzt! Achtung!, wollte er rufen. Der Bergsteigerputzmann ließ den Lappen von dort oben fallen. „BrueCklean – wir putzen hoch oben!“ Das kann doch nicht wahr sein! Er war auf einen Werbegag hereingefallen. Das war kein Putzlappen, sondern ein Banner.

      Axel stieß eine der simplen Glastüren an der Bahnhofsfront auf und erblickte das, was er von Frankfurt kannte: Bürotürme, Bürotürme, Bürotürme. Hier direkt vor ihm aber das Bahnhofsgewusel aus Taxistand und dreckigem Vorplatz. Als Insel konnte er die Haltestelle mit langen Wetterunterständen, Geländern und Fahrkartenautomaten nicht verfehlen. Dorthin stellte er sich. Axel Hoppe, Austauschschüler! „Axel soll mal hübsch mitgehen und danach den Höheren Dienst antreten.“ In seinem Lebenslauf fehlte noch die Erfahrung in einer anderen Behörde. Er hätte darauf verzichtet, auch auf den Höheren Dienst. Hatte sein Chef ihm oder Kathrin einen Gefallen getan? Wenn man an einem Sonntag im nasskalten November in einer x-beliebigen Stadt auf die Straßenbahn wartet, dabei an seine Frau, die gerade in Südamerika ist und an seinen Sohn, der allein zu Hause und auch weit weg ist, denkt, dann macht man also gerade Karriere? In Wirklichkeit bin ich doch nur zwischengeparkt bis eine Planstelle für einen Polizeirat frei wird. Ausgerechnet in einem Jahr soll das sein? Als ob ich nach fast dreißig Dienstjahren noch einmal etwas beweisen müsste. In einer anderen Behörde durchzuhalten, stellt also so eine Art Feuerprobe dar. Darüber konnte er nur den Kopf schütteln.

      Eine türkisfarbene Straßenbahn ratterte heran. ‚16. Offenbach Stadtgrenze‘, las er. Na wenigstens! Er setzte sich auf einen Fensterplatz.

      „Du wirst sehen, das wird für uns beide noch einmal ein ganz neues Leben“, hatte Kathrin gesagt. War ein neues Leben so nötig? Und wenn ich es nicht sehe? Die Straßenbahn zuckelte über den Main und spätestens hier musste er über seinen Griesgram lächeln. Dieser Fluss ist ganz schön breit. Nun hatte er doch etwas gesehen.

      Gleich darauf fuhr die Straßenbahn in eine Gegend, von der er ahnte, dass sie Kathrin nicht zufällig gewählt hatte. Gartenstraße. Schweizer Straße. Schaufenster, Treppchen zu Ladeneingängen, Bäume am Straßenrand. Schwanthaler Straße. Aussteigen! Ganz einsam kam er sich hier nicht mehr vor. Er sah die Straße hinunter, an deren Ende wieder die Wolkenkratzer hervorragten. Kathrin war beleidigt gewesen, weil er nie mitgekommen war, um die Wohnung auszusuchen. Er hatte den Aufwand einfach nicht verstanden. „Ein Jahr kann ich jeder Behausung durchbringen“, hatte er erwidert. Axel lief los, orientierte sich und fand die Gutzkowstraße. In dem Café an seiner Straßenkreuzung war einiges los. Wahrscheinlich noch Frühstücksgäste, von denen einige in Mänteln und Schals eingemummelt draußen rauchten. Vielleicht hätte ich vorher schon einmal mitkommen müssen. Einen sogenannten Liebesbeweis erbringen. Er atmete laut aus. Das mache ich doch! Für ein verdammtes ganzes Jahr! Mit fast 50. Warum sprachen immer alle von neuen Erfahrungen? Warum soll man ständig seine Gewohnheiten ändern? Und muss man seinen Sohn, nur weil er jetzt 18 ist, gleich alleine lassen?

      Gutzkowstraße Nummer 62. Aus seiner Jackentasche holte er einen Schlüssel für eine fremde Haustür hervor. Er hatte keine Ahnung, was ihn dahinter erwartete. Ein Treppenhaus, in dem es nach Kaffee roch. Zwei Etagen musste er nehmen. Links. Hoppe. Er schloss auf und setzte vorsichtig einen Fuß über die Schwelle. Kathrins Schuhe standen auf Holzdielen. Behutsam schloss er die Tür hinter sich. An der Wand hing ein Schal an einem dicken Nagel. Ein weiterer daneben war leer. Sie hat einen Nagel für meine Jacke eingeschlagen? Eine Glühbirne baumelte über ihm. Axel machte ein paar Schritte, das Holz knarrte. „Dann wollen wir mal“, murmelte er vor sich hin.

      Die Zimmertüren waren angelehnt. Rechts Küche und Bad. Auf der anderen Seite ein Schlafzimmer und ein Wohnzimmer; beide durch eine Flügeltür miteinander verbunden. Klein, aber … Fein? Mein? Nein, das ist sicher ein falscher Eindruck. Eine Runde rum. Das war schnell erledigt. Und noch eine, jetzt gemächlicher. Die Türklinken quietschten. Die Tür zum Bad klemmte. Er brachte seine Tasche ins Schlafzimmer, für das Kathrin ein Bett gekauft hatte. Es stand nagelneu und unbekannt an der Wand gegenüber der schmalen Balkontür. Im alten Einbauschrank war ein Fach frei. Darin ein Zettel. ‚Es wird kuschelig. Hier ist ein leeres Fach für Dich. Bis Mittwoch, ich liebe Dich. K.‘ Er nahm die Notiz, faltete sie und steckte sie in die Hosentasche. Jeans, Pullover, Socken, Unterhosen und T-Shirts legte er in das geräumige Fach. Hemden, zwei Anzüge, ein Sakko hing er auf Bügel. Die Schuhe brachte er in den Flur, um sie neben Kathrins aufzureihen. ‚… ich liebe Dich.‘ Er fühlte nach dem Zettel und schüttelte den Kopf. Seine Jacke hatte er vorhin auf den Boden gelegt. Jetzt hob er sie auf, um sie am freien Nagel aufzuhängen. Ob der hält?

      Im Bad, einem kleinen Raum mit schmaler Fensterluke, erinnerte nichts an sein Zuhause. Handtücher lagen auf dem Badewannenrand, ein kleiner Teppich lag auf dem Boden. Am Waschbecken drehte er einen etwas altertümlichen Wasserhahn auf. Er wusch sich Hände und Gesicht. Die Seife roch ungewohnt. Das Meiste hier drinnen stammt bestimmt aus den Läden unten in der Straße, dachte er und sah Kathrin vor sich, wie sie am Morgen in eines der Cafés geht, später durch die Läden streift und Zeugs für die Wohnung kauft. Hatte sie gar keine Sehnsucht nach ihnen gehabt? Nach ihrem Mann und ihrem Sohn?

      Er ging in den Flur und kramte in seiner Jacke nach dem Handy. Der Nagel rutschte aus der Wand. „Verflixt!“ Axel hob ihn auf und fummelte ihn wieder in das Loch zurück, legte seine Jacke aber erst einmal wieder auf den Boden. Mit dem Telefon in der Hand stapfte er in die Küche. Michel hatte heute ein Turnier. Soll ich anrufen? Er zögerte. Er ist 18! Sonst rufe ich auch nicht an. Er zog an der Kühlschranktür. Noch einmal ein