Katja Darssen

High Energy


Скачать книгу

Tisch. Brot? Fehlanzeige. Michel? Nein, nicht jetzt.

      Er legte das Essen zurück in den Kühlschrank. Dieses ‚Nest‘ kam ihm komisch vor.

      Axel hob seine Jacke im Flur vom Boden auf und zog sie im Hausflur an. Unten bog er in die Schweizer Straße ab. Die Cafés waren leerer geworden. Nur wenige Leute waren unterwegs. Immer wieder ließ er seine Blicke streifen. Etliche Bäcker, Bistros, ein Pilatesstudio, Boutiquen, drei Apotheken, ein Schreibwarenladen, schon die zweite Drogerie, ein Tierarzt, Anwaltskanzleien. Alles leer, verriegelt, zugestellt. Sonntag. Am Ende der Straße trat er aus dem Schatten der Häuserreihen heraus. Dahinter der Main! Eine Straße musste er überqueren. Halt! Erst ein paar Autos vorbeilassen. Und den Kleinbus. Voll besetzt. Lustig sehen die Insassen aber nicht aus in ihren gelben Shirts. Niemand schaute fröhlich aus den Fenstern des Fahrzeugs in die Stadt hinein. Hier, wo sie doch ganz gut aussah. Axel überquerte die Straße und betrat eine steinerne Brücke, auf der er die andere Seite der Stadt erreichen wollte. Er blickte hinunter auf den Fluss, dessen Ufer bevölkert war wie eine Ameisenstraße. Hier sind also all die Menschen. Die nächste Brücke hatte einen filigranen eisernen Überbau und weit hinter ihr ragte der steile Zahn der EZB in den Himmel. Am anderen Ende seiner Brücke funkelten hohe Bürotürme, wie er es erwartet hatte. Doch genau hier unter ihm gab es Wege und Wiesen. Warum stehen vor dem Schiffchen so viele Leute? Die kommen ja mit einem Döner wieder! Er ging zurück, nahm dicke ausgetretene Stufen hinunter zum Ufer und lief geradewegs zu diesem Dönerkahn.

      Endlich lag das Brot warm in seinen Händen. Er biss hinein und sah dabei zu den Platanen hinauf.

      „Entschuldigung, Entschuldigung“, hörte er jemanden rufen.

      Im gleichen Moment klebten ein Fahrrad und eine Frau an ihm. Gerade so konnte er zupacken, damit sie nicht hinschlug. Sein Essen aber fiel genau wie das Fahrrad. Seine Hand hatte sich in einem neongrünen Arm festgekrallt. Als er an diesem Arm entlangblickte, schaute er in dunkelgrüne Augen einer Frau, die ihre Lider exakt umrandet und Lippenstift aufgetragen hatte. Viele kleine Falten entstanden als sie ihn entschuldigend anlächelte. Mit ihrer freien Hand wischte sie eine dunkelbraune Haarsträhne von der Wange. „Danke, es geht schon. Wie sieht es mit Ihnen aus?“ Erschrocken sah sie an ihm hinunter und wieder auf.

      Axel bückte sich nach dem Fahrrad und dem Döner. Sie folgte ihm. Im Hocken begegneten sich ihre Blicke abermals. Warum konnte er nicht fluchen? Da hockte diese ungelenke, rücksichtslose Frau mit diesen dunkel-dunkelgrünen Augen und sagte: „Ich war so in Gedanken und ich kann wohl nicht so gut bremsen.“

      „Weiß ich schon“ sagte er und das war wohl das Schroffste, was er ihr gegenüber herausbringen würde.

      Er hob das Fahrrad auf. Sie sammelte das Brot und ein paar der Fleischbrocken ein und warf alles in den Papierkorb. „Ich hole Ihnen einen neuen.“

      „Lassen Sie doch.“

      „Halten Sie mein Fahrrad fest?“ Und weg war sie.

      Sie konnte nicht gut Fahrrad fahren? Er schob ein Rose Black Lava von der Unfallstelle Richtung Bank. Wahrscheinlich brauchte solch eine Frau mindestens solch ein Teil.

      „Ich heiße übrigens Isabel Schlegel“, sagte sie, nachdem sie mit einem neuen Döner zurückgekommen war.

      „Axel Hoppe, Kri … Kriege ich nicht alle Tage, solch einen Service. Danke.“ Da hielt er sich nun unbeholfen an diesem Stück Fladenbrot fest. Was soll ich denn jetzt damit? Etwa vor ihr sitzen und essen?

      „Ich gebe Ihnen meine Telefonnummer für den Fall, dass Sie doch eine kleine Verletzung davongetragen haben.“ Ihre Augen reflektierten mindestens zehn verschiedene Nuancen von Grün.

      „Sind Sie Krankenschwester oder Ärztin?“

      „Nein, nur falls Sie noch etwas geltend machen möchten.“

      „Unsinn! Aber Ihre Telefonnummer nehme ich.“

      Da waren sie wieder, die Fältchen. Sie holte ihr Telefon aus dieser giftgrünen Jacke, die gar nicht hässlich an ihr war. Macht sie vielleicht ein wenig jünger, dachte er.

      „Kann es losgehen?“, fragte sie und hielt ihr Telefon bereit. „Ich kann Sie auch kurz anrufen und Sie speichern nur noch meinen Namen dazu.“

      „Ja, ja“, stammelte er und klopfte seine Jacke nach dem Handy ab, dabei sagte er seine Telefonnummer auf. Das Telefon schnarrte und vibrierte. Jetzt wusste er auch, in welcher Tasche es steckte. Axel nahm das Essen in die linke Hand und kramte umständlich das Smartphone heraus. Schaute auf ‚Verpasste Anrufe‘. „Und Ihr Name ist Isabel Schlegel?“

      „Genau.“

      Er begann mit dem Daumen zu tippen. S c h l e g e l I s …

      „Entschuldigung noch einmal. Ich muss weiter.“

      „Fahren Sie vorsichtig!“

      Sie drehte sich um, winkte noch einmal mit einem Hauch von irgendetwas, das ihm so noch nicht begegnet war. Auf keinen Fall auf einem Fahrrad.

      3 Morgens

      ‚Ich sprüh 's auf jede Wand. Neue Männer braucht das Land.‘ Der Song erfasste das Haus und der Hausherr ließ sich am Montag punkt fünf Uhr dreißig von der Musik zum Aufstehen motivieren. Zielstrebig und mit einer gewissen Vorfreude auf den Tag stieg Stephan Brückner die Stufen vom Schlafzimmer in den Loungebereich der Küche hinab. Ein eisgrauer Weimaranerrüde wartete schwanzwedelnd am Ende der Treppe seitdem das Lied den Tagesbeginn angekündigt hatte. Der Hund verließ sich längst darauf, gleich gestreichelt, gefüttert und ausgeführt zu werden.

      „Na mein Guter.“ Stephan Brückner war schon da. Er war schon neu! Er kraulte das winselnde Tier und öffnete den gut sortierten Hundeschrank, um einen Knochen herauszulegen. Nachdem er den Hund versorgt hatte, ging Brückner ins Schlafzimmer zurück und schaltete eine Lampe an. Für die erste Etappe des Tages nahm er wie immer eine Cordhose und den Jägerpullover aus der Ankleide. Wenn mich Yvonne jetzt sehen könnte! Schade, dass sie immer so lange schlafen muss. Noch nicht einmal die Musik weckt sie auf.

      Er verließ das Schlafzimmer wieder, diesmal zur anderen Tür auf die Galerie hinaus. Über eine ausladende Treppe gelangte er in die Eingangshalle, wo ihm sein Hund Lotus sogleich um die Beine schwänzelte. Brückner nahm die groben Lederstiefel und die braune Jacke aus der Garderobe, per Fernbedienung schaltete er die Musik aus, öffnete die Haustür und ließ den Hund vorpreschen. Einen Augenblick noch blieb er selbst zwischen den Säulen vor dem Hauseingang stehen. Ihm allein gehörten der Morgen, der Park vor seinem Haus und der Wald. Dafür muss man schon früh aufstehen! Brückner hauchte in die Hände und stiefelte zu seinem Hund.

      Nur ein schmaler Kiesweg markierte vor seinem Grundstück die Grenze zum Wald. Lotus rannte voraus, sah nach seinem Herrchen, war verschwunden und kam erneut aus dem Wald gerannt. Irgendwann würde der Hund bei Fuß folgen. Doch erst einmal durfte er sich austoben. Der Waldboden war hart gefroren, die kalte Morgenluft kratzte an seinem Gesicht.

      „Platz“, sagte Brückner punkt 7:30 Uhr auf den Stufen der Eingangsveranda. Er holte eine Schale Hundefutter aus der Küche. Lotus erhielt sein Frühstück stets hier draußen hinter den Säulen. Während der Hund fraß, stellte Brückner drinnen die Espressomaschine an, schnitt zwei Orangen auf, jagte sie durch die Saftpresse und ging nach oben. Er ließ seine Waldsachen zu Boden fallen und betrat das Badezimmer, einen Raum aus Marmor, Holz und Glas. Vor dem wandhohen Spiegel posierte er kurz. Von wegen Baumstamm, Herkules! Gut gelaunt stellte er sich unter die Dusche. Das Wasser prasselte aus einem tellergroßen Duschkopf, das Shampoo roch nach Moschus. Die Termine für den heutigen Tag? Zu allererst ein spaßiges Treffen bei der EnVer. Der Energieriese hatte zu seiner alljährlichen Lieferantenkonferenz eingeladen. In Gedanken entschied er sich für das neue rosafarbene Hemd und seinen braunen Anzug. Maßgefertigt. Das hatte Yvonne irgendwann einmal empfohlen. Davon verstand sie was. Seitdem jemand die Dinger für ihn anfertigte, saßen die Jacken perfekt. Er überlegte, ob eine Krawatte heute sein musste. Doch damit fühlte er sich nie richtig wohl. Ich, der Kumpel Putzmann! Damit arrangierten sich alle immer gerne. Rasieren, Zähneputzen, Aftershave. Abschließend kämmte