Katja Darssen

High Energy


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Fenster drang etwas Luft herein. Augenblicklich kam Bewegung in das Polizeirevier, nachdem sie eingetreten waren. Zwei Kollegen, einer trug eine graugrüne robuste Hose und ein Shirt mit der Aufschrift Guardia Civil, standen lächelnd von einem Tisch auf, der mit allerlei Essen in Plastiktüten, Keramikschälchen und Tellern vollgestellt war. Ein anderer Kollege stand von seinem Schreibtisch auf, um ihnen entgegen zu kommen. Die Spanier wechselten Millionen von Worten in einer, wie es Axel schien, unglaublichen Geschwindigkeit. Torres deutete sacht auf ihn und er verstand „Axel Hoppe“ und „Alemania“. Sie begrüßten einander, sagten Freundlichkeiten und Javier Torres dolmetschte, soweit dies überhaupt nötig war. Der Herr in grün war einer der Schiffsführer, der ihn und Torres zur besagten Jacht bringen würde.

      Auf dem Weg zum Hafen passierten sie üppige Holztore. Auf den Dachterrassen der Häuser waren Sonnenschirme aufgespannt, auf den Eingangsstufen saßen Katzen. Der Duft des Salzwassers wurde immer prägnanter. „Das Boot liegt noch immer da draußen. Ein Kollege ist dort“, sagte Torres und zeigte auf das sonnenbeschienene Meer.

      Kaum zu glauben, dass das für die nächsten zwei Tage mein Arbeitsort sein wird. Jetzt aus der Nähe sah Hoppe, dass sich im Hafen Restaurants aneinanderreihten. Weiße Tischdecken, Blumengestecke und Sektkühler gaben den Ton an.

      „Hier entlang bitte.“ Torres zeigte in die Richtung eines Anlegers am Ende der Straße. An riesigen Pollern lagen drei Boote der Guardia Civil.

      Das Ablegemanöver dauerte nur Sekunden, kurz darauf sagte Torres „festhalten“ und die Gischt spritzte über den Bug. Das Cockpit, vor dem der Schiffsführer auf einem Sitz wie in einem Sportwagen saß, hatte nichts gemein mit der Büroeinrichtung, die er eben kennengelernt hatte. Bildschirme, Bedienpulte und Kontrollleuchten. Die Instrumente funkelten und funktionierten leise vor sich hin wie auf einem Raumschiff. Torres bemerkte sein Interesse. „Das ist unser GPS, das ist der Funk und das ist unser Echolot. Dort ist noch ein Computer, mit dem wir in unser Netz können“, erklärte er.

      Hoppe fühlte sich ein wenig freier als sonst. Fast abenteuerlich. Schon fragte er sich, ob es dieses vage Gefühl nach Ablegen eines Bootes war, das die Menschen immer noch berauschte und gar in Gefahr brachte? Die Küste war schnell zu einer feinen Linie geworden.

      „Da vorne“, sagte Torres.

      „Liegt dort das Boot vor Anker?“, fragte er.

      „Sehen sie selbst.“ Torres reichte ihm ein Fernglas.

      Er blickte hindurch, setzte noch einmal ab, um seinen Kollegen fragend anzublicken.

      „Dies ist die Lady Lily“, beteuerte Torres und wies mit einem Kopfnicken wieder in die Richtung eines fast 100 Meter langen Schiffes. „Die sehr großen Schiffe dürfen auf keinen Fall mehrere Tage lang auf dem gleichen Ankerplatz liegen, das erregt zu viel Aufsehen.“

      „Wie hoch ist dieses Schiff?“ Hoppe hatte augenblicklich den Vergleich mit einem Sprung vom Zehnmeterturm im Sinn.

      „Ich schätze, das erste Außendeck befindet sich mindestens fünf Meter über der Wasserlinie.“

      Nach dem erwähnten ersten Außendeck erkannte er zwei weitere getönte Fensterreihen, Sonnendecks und die Brücke mit Satellitenempfangsgeräten. Je näher sie kamen, desto weniger hatte es von einem Schiff. Sie fuhren einer stählernen weißen Wand entgegen. Und wenn Robert Vleih doch aus diesem schwimmenden Hochhaus gestoßen wurde? Die Motoren des Polizeibootes wurden gedrosselt. Am Heck der Lady Lily tauchte jemand in Polizeikluft auf. Geschmeidig manövrierte der Schiffsführer und stoppte das Polizeiboot längsseits exakt zehn Zentimeter neben dem Riesenschiff. Der Polizist an Deck ließ einen mobilen Steg herunter. „Nein, niemand hat sich dem Boot genähert“, gab der zu verstehen, was Torres kurz für Hoppe übersetzte.

      Die schiere Größe der Lady Lily, das Anlegen ihres winzigen Bootes und der Aufstieg von diesem Steg in einen Schiffsgang mit viel dunklem Glas und Chrom vermittelten etwas ganz anderes als eine lustige Bootspartie. An Land hatte er noch Teakholz und Messing erwartet. Aber das hier? Der Boden unter ihren Füßen war gepolstert wie eine Tartanbahn in modernen Sportstadien, sodass ihre Schritte keinen Wiederhall gaben. Noch nicht einmal ein Schwanken verspürte man auf diesem Schiff. Hoppe schaute auf das Meer, das glatt und still unter einer gleißenden Sonne lag. Nichts regte sich da draußen.

      Am Heck gab es ein Deck, das wie ein Beachclub hergerichtet war. Auf Sand standen Sonnenliegen, Tischchen und Stühle. Eine Bar erstreckte sich entlang einer Reling. In der Mitte des Decks gab es einen ovalen Pool, in dem das Polizeiboot locker Platz gefunden hätte. Einige Handtücher und Gläser lagen auf weißen Polstern und auf dem Fußboden. Hoppe ging in den Schatten, nahm in einem Sessel Platz. Alles wartete darauf, weiter benutzt zu werden, sogar die Sonnenmilch stand bereit. Badespaß? Kein Plätschern. Kein Meeresrauschen. Noch nicht einmal Möwengeschrei hörte er. Gab es hier keine Möwen? Nur grelles Licht und ermattende Hitze. Die Abenteuerlust war verflogen. All das Wasser um ihn herum hatte auf einmal nichts Prickelndes mehr. Wenn man nun weit hinausführe, wie wäre das auf diesem Schiff? Wie lange könnte man fahren und wohin? Wie hoch kämen die Wellen da draußen? Ein heißer Luftzug wehte derben Geruch heran. Wo ist eigentlich meine Wasserflasche? Erst vor ein paar Stunden bin ich im Morgengrauen ins Taxi gestiegen und jetzt sitze ich auf diesem Schiff in mörderischer Hitze. Er schaute auf‘s Decks.

      „Am Bug befindet sich der Whirlpool.“ Torres riss ihn grinsend aus seinen Betrachtungen.

      Natürlich gehörte so ein Ding zu diesen Dimensionen, zu einer lasziven Art, sich den hohen Temperaturen zu stellen, dachte Hoppe.

      „Und man kennt ihren Namen in Deutschland wirklich nicht?“, wurde er von seinem spanischen Kollegen gefragt.

      Woher sollte er das wissen? Hoppe holte ein wenig aus und erklärte Torres, was es mit dem Namen Schmidt in Deutschland auf sich hatte. Dann schmunzelten sie beide und erhoben sich, um durch eine gläserne Schiebetür ins Innere des Schiffes zu treten. Er brauchte einen Moment, um sich zu orientieren. Vor ihnen lag ein Zimmer unvorstellbaren Ausmaßes. Außer der allgemeinen Üppigkeit erweckte ein drei mal vier Meter großes Gemälde am anderen Ende des Raumes seine Aufmerksamkeit. Ein an Michelangelos Adam erinnernder Mann und eine ihm ebenbürtige Frau badeten in der Natur. Ein Picknick war für die beiden angerichtet. Ein Schinken, ein Korb mit Früchten, Brot. Im Vordergrund gleich neben dem Paar ragten Zypressen in den abendlichen Himmel. „Was für ein Schinken.“

      „Wie?“, fragte Torres.

      Wie sollte er erklären, dass er dem Essen auf dem Bild nichts abgewinnen wollte? Mit ein paar diffusen Worten auf den Lippen ging Hoppe zu einem Bücherregel, um mit etwas Konkretem zu beginnen. In Griffhöhe lagen ein paar Zeitschriften. In den oberen Fächern standen gebundene dicke Bücher. Gesamtwerk Goethes in zehn Bänden, eine Bibel, ein Weltatlas, Meyers Tierlexikon, Mallorquinische Küche. Er wandte sich von der Bücherauswahl in der Leseecke ab. Der vielversprechendere Teil lag weiter hinten, wo Torres zwischen Polstern und ungefähr 100 Kissen bereits wartete. Gläser für Cocktails, Wasser, Bitter, Flaschen, Schälchen, Teller, Cocktailshaker. Flecken hatten sich vor umgekipptem Geschirr ausgebreitet. Teller mit zerlaufenem und wieder angetrocknetem Käse, mit schmierigem Schinken, mit Obst, inzwischen unappetitlich braun. Chips, Nüsse und Badesachen. Aschenbecher. Alles war auf dem Tisch und irgendwie auch darunter verteilt. Ein kleines silbernes Tablett mit ein paar Kratzspuren und weißen pulverigen Krümeln stand auf einer Polsterlehne. Hatte das dem Vleih das Leben gekostet? Hoppe war gespannt auf die Frau, die dieses Schiff und ihren nun toten Lover dirigiert hatte.

      Ein Deck höher bot sich das Bild von einem japanischen Restaurant. Eine geräumige Edelstahlkombüse grenzte offen aber unaufdringlich an den Essbereich. Blumen hingen schlaff aus einer Vase bis hinunter auf eine glänzende Tischplatte hinab. Hinter dem Essbereich und einer Glaswand standen etliche Sessel vor Panoramafenstern. „Wohin geht es durch diese Tür?“, fragte er und deutete aufs Ende des Raums.

      „Schlafzimmer, Bäder, Kinderzimmer“, antwortete Torres.

      Sie liefen treppauf und treppab. Sahen in Gästezimmer verschiedener Stilrichtungen hinein, konnten drei Zimmer eindeutig als Kinderzimmer ausmachen, liefen auf endlosen Gängen, besahen sich Kunstgegenstände und Vorratskammern.