Katja Darssen

High Energy


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erstreckte sich der weit ausladende Garten mit seinen 150 Jahre alten Bäumen der ehemals herzöglichen Pflanzensammlung. „Sollen wir schnell essen und noch eine Runde drehen?“, fragte Sarah, die Isabels Blick aus den Fenstern gefolgt war.

      „Diese alten Gewächshäuser passen nicht in diese Welt.“

      „Mag schon sein.“

      „Diese längst vergangene Pracht mit ihrem kläglichen Versuch Exotik hierherzuholen“, sagte Isabel vor sich hin ohne eine Erwiderung zu erwarten oder auf Sarahs Frage einzugehen. Stattdessen wandte sie den Blick zur anderen Seite des Restaurants hinaus. Auch dort waren die Bäume alt, die Vorgärten dezent, die Haustüren der herrschaftlichen Gründerzeithäuser in den Straßen des Westends schwer. Das alles war kein kläglicher Versuch. Es war das Zelebrieren der Pracht, die als Kulisse für die mittägliche Geschäftigkeit mit ihrem unverkennbaren Stimmgewirr in diesem Restaurant diente.

      „Isa, ist es nicht schön, wieder wie damals gemeinsam unterwegs zu sein?“

      „Wie damals?“ Isabel blies hörbar die Luft aus. Mit ihrem Glas in der Hand deutete sie nur für Sarah wahrnehmbar auf ein paar Gäste. „Im Moment weiß ich nicht, ob ich mich wie diese Herren oder wie diese alte Frau fühlen soll“, sagte sie.

      „Was ist los?“

      „Wir sind längst keine Studenten mehr und was ist in der Zwischenzeit passiert? Du hast deine Kinder. Hast sie großgezogen. Hinterlässt der Welt gute Menschen und damit deine Spuren.“

      „Hm“, machte Sarah.

      „Und ich? Ich habe noch nicht einmal zehn Artikel im Volkswirt platzieren können.“ Sie nahm einen kräftigen Schluck von ihrem Weißwein. „Nach mir kräht kein Hahn.“

      „Viktor liebt dich“, sagte Sarah.

      „Ich weiß.“ Sie stellte ihr Glas ab. Wie sollte sie erklären, dass sie seit längerer Zeit fast angstvoll an ihre Zukunft dachte. Der urbane Chic, die teuren Speisen, die guten Weine … all das liebte sie. Sie nahm ihr Glas wieder in die Hand. Doch heute konnte das alles nicht darüber hinwegtäuschen: Sie war stecken geblieben. „Es passiert nichts“, sagte sie.

      „Was soll passieren? Mit jemandem wie Viktor muss doch gar nichts Neues mehr kommen.“ Sarah rührte in ihrem Kaffee herum.

      „Wir können ja tauschen.“

      Sarah schmunzelte kurz und rührte weiter. „Isa, wir kennen uns schon so lange.“ Sie griff nach ihrer Tasse. „Auch wenn es diese Pause gab“, sie zögerte und legte den Kaffeelöffel ab. „Du bist für mich die beste Freundin.“

      Bin ich das wirklich? Ganz schöne Herausforderung. Nach wie vielen Jahren fällt uns das wieder ein? Wir haben uns verändert! Isabels Gedanken überschlugen sich, denn sie war auf so eine Äußerung nicht gefasst. Gehörte die nicht sowieso in einen anderen Lebensabschnitt? „Ich finde es auch toll, mit dir hier zu sitzen“, stammelte sie.

      Sarah sah sie zufrieden an. „Ich muss dir etwas erzählen.“

      Noch so ein mädchenhafter Satz. Gehört das dazu, wenn man sich jung fühlen will? Soll ich da mitmachen? Wird es lustig werden?

      „Ich kenne so eine Art Geschäftspartner von Viktor“, fuhr Sarah fort.

      „Was soll das?“ Eben wollte ich mich etwas fallen lassen und nun doch so ein Zeug.

      „Es ist Zufall“, sagte Sarah.

      Isabel bestellte sich ein weiteres Glas Riesling. Wenn das mit Sarah so weitergeht, muss ich es mir mit dem guten Ersten Gewächs gemütlich machen.

      „Es gibt Situationen, die einen manchmal überfordern oder die man fließen lässt.“

      Habe ich darauf Lust? Was weiß denn Sarah davon? Zum Glück sind die Kellner hier fix. Sie nippte an dem Wein. „Das kennt doch jeder.“

      „Vielleicht ist es auch brisant oder peinlich oder belastet sogar unsere Freundschaft.“

      „Dass du von einer Art Geschäftspartner von Viktor erzählst, statt mir endlich deinen Rüdiger vorzustellen? Prost!“ Spielverderberin, dachte sie. Könnte ruhig etwas mittrinken bei solchen Geständnissen.

      „Nein, nein. So ist es nicht.“ Sarahs Ton war flehentlich.

      Isabel rollte innerlich mit den Augen und nahm einen kräftigen Schluck. Sarah hingegen berichtete gar nicht gelassen von der Freundschaft zwischen ihrem Rüdiger und einem Stephan Brückner.

      Der Stephan Brückner der BrueCklean AG, dem Facilitymanagement-Unternehmen?, fragte sich Isabel. Sarah erzählte, dass in ihrem Haus keine drei Tage ohne Stephan Brückner vergingen, dass ihr Mann Rüdiger und Stephan Brückner unzertrennlich seien. Sie teilten Gemeinsamkeiten, Unternehmen, Häuser und Jachten auf Mallorca. Privates und Geschäftliches beider Familien waren eng miteinander verwoben. „Als ich den Namen Viktor Schlegel hörte, konnte ich nicht an mich halten. Ich meine, ich dachte sofort an dich.“

      „Wie? Du konntest nicht an dich halten?“

      „Ich habe eben gesagt, dass ich Viktor Schlegel kenne.“

      „Und?“

      „Stephan, also Brückner, wollte wissen woher? Als ich ihm von unserer gemeinsamem Studentenwohnung erzählte, meinte er, dass es doch toll wäre, einen Anlass zu haben, alte Freundschaften aufleben zu lassen.“

      „Du meinst, du bist nicht von selbst darauf gekommen, mich anzurufen?“, fragte Isabel.

      „Es war dennoch gut. Du hast dich auch nie gemeldet“

      Verlegen nahm Isabel die Gabel und stach ein paar Male auf den Salat ein, bis nichts mehr auf die Gabel passte. „Du meinst, dieser Stephan Brückner hat dich auf mich gebracht, weil Viktor mit ihm zu tun haben würde? Und das wusste der schon im vorigen Jahr?“

      „So könnte man es zusammenfassen.“

      Habe ich zu schnell getrunken, zu wenig gegessen? Sie legte das Besteck auf den Teller zurück.

      „Und dieser Stephan Brückner geht bei euch ein und aus?“ Sie erschrak über ihre kindliche Neugier.

      „Isa, ich bin froh, dass ich seinem Ratschlag gefolgt bin. Ich verspreche dir, dass ich euch in nichts hineinziehen werde.“

      „Wie meinst du das?“

      Wieder erzählte Sarah. Diesmal von Sommerfesten auf der eigens gesperrten Flößerbrücke, von Pferdeschlittenrallyes um die Burg Königstein, von Olivenernten und Partys auf Mallorca. Isabel hörte und trank und blieb häufig beim „hm“. Sarahs Tonfall war wie der einer Märchenerzählerin mystisch, melodramatisch, manchmal ein wenig verächtlich.

      Insgesamt war es beeindruckend aber unverständlich. „Viktor hat mit der BrueCklean doch gar nichts zu tun.“

      „Ich glaube auch“, sagte Sarah.

      „Na also. Der Zufall wollte es, dass wir uns wiedergetroffen haben. Und du Anstifterin hilfst mir, meinen Golfkurs zu Ende zu bringen.“ Ein bisschen Golfspielen konnte nicht schaden. Sie hob ihr Glas und dachte, dass es schmeichelhaft war, dass sich dieser Mann nach Viktor erkundigt hatte.

      5 Modern

      Viktor ging gerne sehr früh ins Büro. Manchmal nur, um sich dort in Ruhe der Zeitungslektüre zuzuwenden. Wie heute Morgen. ‚Campus für Lehrlinge und Studenten setzt neue Maßstäbe.‘ An dieser Überschrift blieb er hängen. ‚Gestern öffnete das Wohn- und Ausbildungszentrum für 2300 Jugendliche seine Pforten am Osthafen. „Ich bin begeistert vom Studentenleben mit modernem Wohnraum, Manufakturen und Kulturstätten“, sagte der Bildungsminister. Die Stadt Frankfurt dankte innerhalb der feierlichen Eröffnungszeremonie einem ihrer engagiertesten Unternehmer, Stephan Brückner, Gründer und Vorsitzender der BrueCklean AG, für die außerordentliche Unterstützung dieses Vorhabens. Der Minister sprach von Zukunftsorientierung und Selbstlosigkeit. Namhafte Wirtschaftsvertreter sind an diesem Projekt mit Investitionen und unternehmerischer