Katja Darssen

High Energy


Скачать книгу

veganen Bäckerei beleben den Campus. Die Konzepte der Wirtschaftsvertreter werden vor Ort erprobt und gemeinsam mit den Studenten weiterentwickelt. So setzt das junge Unternehmen BetaLion auf die Zusammenarbeit mit der Jugend und erprobt ihre Kühlschränke mit Produktscannern in der Hauptmensa, wo der Verbrauch der Zutaten bereits bei der Entnahme automatisch erfasst wird. „Anhand dieses Anwendungsbeispiels werden wir unsere Produkte aus der Reihe Fridgescan weiterentwickeln und fit machen für den Einsatz in Krankenhäusern, Altenheimen und Kinderbetreuungseinrichtungen“, sagte der Chef der BetaLion AG. Auch Campus-Förderer BrueCklean wird neben der allgemeinen Hausverwaltung neue Verfahren zur Raumpflege erproben. Weiterhin sei geplant, so der geschäftsführende Inhaber der AG Stephan Brückner, im Verlauf des nächsten Jahres die Stromversorgung einiger Campusareale dezentral auf ökologischer Grundlage sicher zu stellen. „Vielen jungen Menschen wird auch diese Erfahrung neue berufliche Perspektiven eröffnen“, pflichtete Josef Hofmacher, Vorstandsvorsitzender des regionalen Energieversorgers EnVer AG bei. Hofmacher bestätigte außerdem, dass sich sein Unternehmen in Tradition einer erfolgreichen Kooperation mit BrueCklean gemeinsam auf Wege von strategischer Tragweite begeben wird. „Anspruchsvolles Facilitymanagement und progressive Stromversorgung gehören von nun an zusammen. Ich habe vollstes Vertrauen in das neue Vorstandsmitglied für Forschung und Entwicklung bei der EnVer AG, Professor Doktor Viktor Schlegel“, so Brückner.‘

      An dieser Stelle legte Viktor die Zeitung empört nieder. Was bildet sich dieser Brückner ein? Der hat vollstes Vertrauen in mich? Da ist ja die Höhe! Er schlug mit der Zeitung auf die Tischplatte und stand auf. Wutschnaubend schritt er im Büro auf und ab. Es half nichts. Hofmacher hatte ihm Hochdruckforschung zugesichert, ohne Störungen, imagegetriebene Miniprojekte oder verfrühte Verlautbarungen. Die Überlegungen bezüglich der Kooperation für die spätere Platzierung der technischen Lösungen waren doch bis gestern Interna gewesen. Hat Hofmacher diesen Brückner nicht besser im Griff? Bloß gut, dass der nicht auch noch den Wasserstoff-Akku erwähnt hatte. Dann wären wir gleichgezogen mit den veganen Brötchen. Angefüllt mit Missbilligungen machte sich Viktor auf den Weg zu Hofmachers Büro. Solche Bekundungen, gleichgültig wo sie abgedruckt waren, störten! Die falschen Rahmenbedingungen und ungenaue Ausdrucksweisen. Zu kleine Projekte und unangemessene Vertrauensbekundungen. Hofmacher, wir wollen doch den Strommarkt, die gesamte Welt der Energieversorgung revolutionieren! Wir müssen uns nicht anschleichen. Aber er selbst schlich auf einmal. Im Flur zu Hofmachers Bürotrakt wurden seine Schritte vom weichen dunkelgrünen Teppichboden abgebremst. Ganz unmerklich war er langsamer geworden und seine Emotionen glätteten sich ein wenig. Auf den in mattem Hellbraun gestrichenen Wänden hingen Aquarelle mit Landschaftsmotiven, die von winzigen Lampen ausgeleuchtet waren. Unsere Fortschritte beim Wasserstoff-Akku und seine Eingliederung in Versorgungsanlagen mit erneuerbaren Energien dürfen auf keinen Fall in die Bastlerecke geraten. Brückner als Fürsprecher und zaghafte Studentenprojekte begründen doch keine Revolution! Warum darf dieser Brückner öffentlich über Themen reden, von denen er keine Ahnung hat? Und was bildet der sich ein, sein vollstes Vertrauen in mich zu bekunden? Viktor fuhr sich durch die Haare, strich über das Sakko und richtete die Krawatte. Wie viele Bilder hängen hier eigentlich?

      Er überlegte gerade einen versöhnlichen Einstiegssatz, als Hofmacher bereits an der Tür seines Bürotrakts stand. „Viktor, hast du den Artikel über Brückners Campus gelesen? Wärst du nur dabei gewesen. Es war grandios, eine mitreißende Stimmung, die uns guttat.“

      „Ich frage mich, ob das der richtige Anlass und Zeitpunkt gewesen war, auf einen Richtungswechsel der EnVer hinzuweisen“, erwiderte er. „Wir sind der größte Energieversorger, wir sollten unsere Entwicklungen nicht über ein Hintertürchen platzieren.“

      „Ach was. Es ist immer gut, wenn man sich in positivem Licht sonnt.“

      „Aber von solch einem Projekt war nie die Rede.“

      „Wir brauchen aber jetzt schnell etwas für den guten Ruf“, sagte Hofmacher.

      „Das bedeutet einen enormen Spezifikationsaufwand, der uns von dem eigentlichen Ziel ablenken wird.“

      „Ach was, wir müssen das doch nicht schnell durchziehen. Hauptsache, wir sind erst einmal mit von der Partie.“ Hofmacher wechselte in eine ruhigere Tonlage. „Dieses Projekt hat eine unglaubliche Strahlkraft. Ob wir da drei oder 30 MWh hinstellen, ist doch ganz egal. Von dem neuen Vertrauen in uns werden letztlich alle, erst recht dein Team und auch du ganz persönlich profitieren.“

      Ist es Begeisterung oder Artillerie? Bin ich eitel, wenn es um meine Akkus geht? „Ich dachte, wir hätten einen Forschungszeitraum ohne Störungen vereinbart.“

      „Das sollt ihr auch haben. Viktor, wärst du dabei gewesen, du hättest die Gunst der Stunde ebenfalls genutzt. Es herrschte eine unglaubliche Dynamik.“

      Während Hofmacher zu Viktor von Dynamik sprach, gönnte sich Isabel wieder einmal ihren ganz eigenen Tagesbeginn, in dem der Tee langsam sein Aroma entfaltete. Durch das spaltbreit geöffnete Küchenfenster bahnten sich frische Luft, Sonnenschein und Vogelstimmen ihren Weg. Ihren Gefallen daran hatte Isabel vor einige Wochen widergefunden. Heute blätterte sie in der Zeitung und nicht in einer Diplomarbeit. Beim Campusprojekt und Stephan Brückner blieb sie hängen und erinnerte sich an ihr Mittagessen mit Sarah. Der Tee floss heiß ihre Kehle hinunter. Warum war Viktor nicht dabei gewesen? Es war sein Forschungsgebiet, worüber sich Hofmacher und der Brückner im Artikel geäußert hatten. War sich Viktor wieder zu fein gewesen, waren seine Akkus zu schade, seine Abneigung gegenüber solchen Veranstaltungen zu groß? Dabei wartet die Welt auf sein Wissen und auf ihn. Es wird wirklich Zeit, dass er jetzt einen wie den Brückner zur Seite bekommt. Wie nannte es Hofmacher? ‚Strategische Tragweite.‘ Mit der heißen Teetasse in der Hand lehnte sie sich zurück. Ihr Kopf schmerzte wieder einmal. Etwas lustlos sah sie auf die Uhr und erhob sie sich nur schwerfällig. Im Bad griff sie nach dem Kajalstift. Danach Lippenstift und so weiter. Gleich wird sie zu ihren Kollegen und ihren Studenten fahren. Isabel nahm ein Kleenex zwischen ihre Lippen und küsste den Lippenstift stumpf. Studenten. Ha! Sie sind kleine Schuljungen und -mädchen ohne Inspiration und Mut. Sie gieren nach ihren Abschlüssen, nach dem heilbringenden guten Job. Sie sollten sich alle ein Beispiel an diesem Stephan Brückner nehmen. Einem Mann, der gewiss keine Milchbrötchen zum Frühstück bekommen hatte und ganz ohne Master in Economic Sciences der Maiers Business School ausgekommen war. Sie nahm zwei Tabletten gegen ihren Kopfschmerz, verließ das Badezimmer und schnappte sich im Flur ihre Tasche.

      Als Isabel ins Auto stieg, unterhielt sich Viktor immer noch mit Hofmacher. „Was ist jetzt mit diesem Brückner? Es sieht so aus, als müsste ich mich ernsthaft mit ihm auseinandersetzen.“

      „Überzeug dich selbst davon, was für ein Zugpferd der Mann ist. Der platziert unseren Turnaround zur richtigen Zeit bei den richtigen Leuten wie von selbst. Sei beim nächsten Mal einfach dabei!“ Hofmacher klopfte Viktor auf die Schulter.

      6 Pech

      Mit dem Toten, den sie aus dem Main gefischt hatten, war kein unmittelbarer krimineller Akt verbunden. Allenfalls wurde der Mann in den Tod getrieben, aber Mord war es nicht. Nur der Zufall würde sie noch zu den Menschen führen, die vor zwei Jahren in der Reinigungsfirma des Opfers randaliert und dabei alle Computer zerstört, Akten gefleddert, Wände besprüht, Möbel zertrümmert und Fahrzeuge demoliert hatten. Das ganze Programm eben. Vor einem halben Jahr dann der Brand, der die kleine Firma restlos in die Knie gezwungen hatte. Die Mutter und in diesem Fall auch Buchhalterin des Firmenbetreibers war im Feuer ums Leben gekommen. Klar war der Typ fertig, noch dazu als die Branduntersuchungen auf eine seiner Zigaretten als mögliche Brandursache hingewiesen hatten. Wären diejenigen, die seinem kleinen Unternehmen zugesetzt hatten auffindbar, wären sie lediglich für Vandalismus oder Erpressung dranzukriegen. Wirkliche Brisanz und Dringlichkeit war mit diesem Fall also nicht verbunden. Sonst hätte Hoppe auch nicht mit diesem provisorisch zusammengestellten Team zusammengearbeitet. Jeder außer ihm war in den angestammten Abteilungen eingespannt und wurde bei Bedarf zugeordnet. Polizeiarbeit spielen mit einem Teilzeitteam! Austauschschüler eben! Leidlich motiviert war Hoppe auf dem Weg seine neuen Kollegen wiederzutreffen. Sie hatten tatsächlich einen nächsten Fall bekommen. Im Besprechungszimmer fand er nur mühevoll Argumente für die weitere Zusammenarbeit. „Wir werden wieder einen