M. E. Wuchty

Neuanfang oder so ähnlich


Скачать книгу

sowieso sehr sicher und Maximilian hatte scheinbar mehr als nur ein bißchen Ahnung, von dem, was er da tat, außerdem war unser neuer Tenor ein lustiger Kerl, mit dem es sich gut blödeln ließ. Leider musste unser „armer“ Chorleiter wegen unseres ausdauernden Gekichers ständig zur Ruhe rufen. Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, war die Stimmung ausgesprochen gut und wir brachten bis zur ersten Pause eine Menge weiter.

      Ich fischte also nach meinen Glimmstängeln und wurde zu meiner Überraschung von unserem Neuzugang auf dem Weg nach unten verfolgt.

      „Hm? Noch ein Sünder in unseren Reihen?“ fragte ich erstaunt, als er grinsend seine Zigaretten hoch hielt.

      „Scheint so. Hast du Feuer?“

      Diesmal hielt ich grinsend das Feuerzeug hoch.

      „Ausgezeichnet.“

      Wir machten es uns also auf den Stufen vor dem Eingang gemütlich, argwöhnisch von Passanten beäugt und plauderten, bis Ina zu uns stieß. Mein Erstaunen musste mir über das ganze Gesicht geschrieben gewesen sein, denn sie lächelte nur und klärte mich auf, dass Maximilian und sie Arbeitskollegen waren. Das war es nicht, was mich erstaunte, sondern die Tatsache, dass Frau Dr. der Anglistik sich freiwillig in die Gesellschaft von Rauchern begab, erklärte, beinahe militante, Nichtraucherin, die sie war. Aber was tut man nicht alles für den Chor. Mühsam versteckte ich mein Grinsen hinter einem Zug an meiner Zigarette.

      Wir blieben nicht lange zu dritt. Das schöne Wetter lockte so einige Chormitglieder nach draußen, um sich ein wenig die Beine zu vertreten, oder die Gesichter in die Sonne zu halten. Bald mussten wir aufstehen, weil wir sonst ständig auf die Seite hätten rutschen müssen, um jemandem, der rein oder raus wollte, Platz zu machen. Irgendwann nervte das. Dummerweise hatten viele Leute die Gewohnheit, sich genau dorthin stellen zu wollen oder dort durchzuwollen, wo schon jemand anderer stand. Mit einem leisen Grummeln machte ich einen Schritt nach hinten, weil Christine sich einbildete, sie müsse jetzt exakt durch mich durch. Dabei stieß ich mit jemandem zusammen. Bevor ich mich umdrehte, spürte ich ganz kurz eine Hand auf meiner Taille.

      „Sorry!“ sagte ich und sah direkt in Sebastians Augen.

      Er schüttelte nur lächelnd den Kopf. „Nichts passiert.“

      Ich lächelte kurz zurück und drehte mich wieder um, dabei bemerkte ich Maximilian, der uns neugierig musterte. Als er meinen Blick bemerkte, sah er für einen Moment auf Sebastian, dann wandte er sich wieder Ina zu.

      Über meinem Kopf musste ein mindestens sechs Meter großes Fragezeichen gestanden haben. Offenbar hatte ich etwas Entscheidendes einfach nicht mitbekommen.

      Nach erfolgreichem Abschluss einer fünfstündigen Chorprobe wurde die Frage aufgeworfen, wer noch zum Mittagessen mitkäme. Ausnahmsweise war mir definitiv nach Weggehen, vor allem, weil mein Magen knurrte.

      „Frühstück ausgelassen?“ fragte Maximilian grinsend.

      „War das gerade so laut?“ fragte ich peinlich berührt zurück und zog den Kopf ein wenig ein. Er lachte auf.

      „Es ist ja auch schon spät für ein Mittagessen.“

      „Wie du sagst.“

      Wir begaben uns also, acht Frauen und Männer hoch, zum Café Hummel. Die Zeit war offensichtlich günstig, denn wir fanden ohne Probleme einen passenden Tisch im Gastgarten. Sebastian nahm mir gegenüber Platz und vertrieb sich die folgende Stunde damit, mich nachdenklich zu mustern oder zu ignorieren. Er vermied ausdauernd jeden direkten Blickkontakt, sah schnell weg, wenn ich ihn ansah und benahm sich auch sonst sehr seltsam. Als ich ihm direkt eine Frage stellte, musste ich sie wiederholen, weil er mich scheinbar nicht gehört hatte, oder nicht hatte hören wollen. Kaum war er mit dem Essen fertig, fragte er nach der Rechnung und verabschiedete sich.

      Was in drei Teufels Namen war hier los?

      „Was hat Sebastian denn?“ fragte mich Tina hinter Sonjas Rücken. Ich lehnte mich zurück, um sie besser sehen zu können.

      „Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung“, gestand ich offen und zuckte mit den Schultern.

      „Seid ihr beide zusammen?“ fragte plötzlich Sonja und sah mich lächelnd an.

      „Nein!“ antwortete ich etwas zu laut, denn mit einem Mal wandte sich die Aufmerksamkeit aller Anwesenden mir zu. Ich konnte spüren, wie meine Ohren heiß wurden. Verflixt, ich hasse das!

      „Ganz sicher?“ fragte Rita kichernd.

      Mein Blick hätte sie in kleine Scheibchen zerlegt, hätte er gekonnt. „Ich denke, davon wüsste ich“, grummelte ich.

      „Die Frage ist, ob er davon weiß“, warf Maximilian launig ein.

      Beinahe hätte ich mir das Genick verletzt, so abrupt drehte ich den Kopf in seine Richtung. „Wie bitte?“

      Er grinste nur vielsagend.

      „Moment, es verstößt gegen die Genfer Menschenrechtskonvention, Paragraph 147, solche Bemerkungen zu machen und dann beredt zu schweigen!“ protestierte ich, aber ich bekam keine Antwort mehr.

      Ganz offensichtlich bekam ich hier wirklich etwas ganz Entscheidendes nicht mit. Hilfesuchend wollte ich mich an Tina wenden, aber sie plauderte schon wieder entspannt mit Rita. Grmpf!

      Ich entschied mich, die Sache vorerst auf sich beruhen zu lassen, aber große Lust, weiter hier zu sitzen und in Gesellschaft zu grübeln, hatte ich auch nicht. Als die Kellnerin vorbeikam, bat ich um die Rechnung und verabschiedete mich.

      Auf dem Heimweg gingen mir die Bemerkungen der lieben Chorkollegen immer wieder durch den Kopf. Es stimmte schon, der Junge hatte agiert, als sei ihm eine Laus monströsen Ausmaßes über die Leber gelaufen. Die Frage war jedoch, ob diese Laus meine Schuhgröße hatte. Was hatte ich ihm denn getan? Wir waren weder gemeinsam zur Chorprobe gefahren, noch war das ausgemacht gewesen! Wir hatten einen netten Samstagnachmittag miteinander verbracht, zählte das für ihn schon als Date oder mehr? Und woher, in aller Welt, sollte ich das denn wissen, bitteschön?! Himmel, Herrgott, schon wieder ein beleidigter Sensibler, ernsthaft?!

      Mein Sonntag war im Eimer, gründlich.

      Innerlich noch immer zwischen wütend und irritiert schwankend, stapfte ich vom Bus zu meiner Wohnung. Wenn ich in so einer Stimmung war, nahm ich nicht allzu viel um mich herum wahr. Ich schaffte es zwar, nirgendwo dagegen zu laufen und auch keine kleinen Kinder über den Haufen zu rennen, aber mit dem plötzlich auftauchenden Hindernis, als ich um die Ecke vor der Haustür bog und nach dem Schlüssel fischte, hatte ich nicht gerechnet und stieß mit vollem Schwung mit einer anderen Person zusammen.

      „Verzeihung!“ brachte ich heraus und machte einen Schritt zurück. Für einen Moment dachte ich, es sei mein Nachbar aus dem Dachgeschoß, bis er sich umdrehte. Na phantastisch, mein Ex – über diesem Tag musste ein Fluch hängen.

      „Hallo Carmen“, sagte er und grinste etwas schief. Früher hatte ich das irgendwie süß gefunden, jetzt nervte es mich tierisch.

      „Was willst du hier?“ fragte ich unfreundlich.

      „Hm, ich dachte, wir könnten ein bißchen plaudern“, antwortete er hoffnungsvoll, während ich mit den Schlüsseln klimperte. Mir schlief augenblicklich das Gesicht ein. Diese Phrase kannte ich zur Genüge und sie hieß übersetzt: zwei Stunden Hühnergegacker ohne nennenswerten Inhalt. Wenn ich das wollte, setzte ich mich in der Firma in ein Meeting, dort wurde ich wenigstens dafür bezahlt!

      „Ist … ist jetzt ein schlechter Zeitpunkt?“ fragte er.

      „Jetzt, später, immer.“ Ich schüttelte nur noch den Kopf.

      „Aber … aber … ich …“, stotterte er.

      „Genau. Du. Falls du es noch nicht mitbekommen hast, du bist raus aus meinem Leben, jetzt, später, immer. Ich will nicht mit dir reden, nicht mit dir mailen, dich nicht mehr sehen und ich bin nicht der Typ „wir verstehen uns auch nachher noch super“! Schluss heißt bei mir Schluss und im Gegensatz zu dir, stehe ich zu meinen Entscheidungen und ziehe