M. E. Wuchty

Neuanfang oder so ähnlich


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unangebracht gewesen, aber irgendwann musste es raus und da ich die einzige Raucherin war, war es mir vergönnt, mich für drei Minuten zu erholen und meine Contenance wieder aufzubauen; draußen, am Brunnen vor dem Tore – nein, kein Brunnen, kein Lindenbaum in jener Wiener Gasse, aber Sie bekommen das allgemeine Bild der Situation.

      „Hey, ich dachte immer, rauchen sei schlecht für die Stimme“, sagte da plötzlich dieser neue Tenor neben mir. Ich blies eine Rauchwolke in die andere Richtung und drehte mich grinsend um. Gelobt sei der Herr, dass wenigstens die Optik nicht so ganz passte, das half mir beim Ruhig-bleiben.

      „Kontraalt wird man nicht einfach so“, sagte ich einen Hauch arrogant. „Das ist ein großes Opfer, ich rauche hier ja nicht zum Spaß.“

      Seine dichten, dunklen Augenbrauen schossen in die Höhe und für eine Sekunde formierte sich in meinem Gehirn die Vorstellung, wie die beiden eine unabhängige Konversation miteinander hatten. Dabei fiel mir auf, dass er wirklich schöne Augen hatte. Ein wenig schräg, in einer Mischung aus Bernstein und Grün, sehr exquisit. Allerdings wurden sie buchstäblich von seinem dichten Schopf, diesen etwas zu ausufernden Augenbrauen und einem etwas struppigen Vollbart in den Schatten gestellt. Und von der Tatsache, dass seine Hosen etwa zwei Zentimeter zu kurz waren. Erstaunlich, was einem in so kurzer Zeit alles auffallen konnte.

      Sein Blick war meinem nach unten und wieder hinauf gefolgt und er sah etwas verwirrt aus.

      „Soll das heißen …?“

      „Dass sie dich pflanzt? Ja“, mischte sich da Tina ein und grinste sehr breit.

      „Hey Süße“, begrüßte ich sie endlich richtig und wir tauschten Bussis auf die Wange und eine Umarmung.

      „Hallo, ich bin die Tina“, sagte sie zu unserem Neuankömmling und hielt ihm die Hand hin.

      „Sebastian, freut mich.“

      Jetzt merkte ich erst, wie groß der Mann wirklich war. Tina überragte mit ihren 180 cm schon beinahe jeden im Chor, aber Sebastian war noch ein wenig größer als sie.

      „Carmen, richtig?“ fragte er und lächelte.

      „Richtig.“

      Er betrachtete mich für circa fünf Sekunden, dann schüttelten auch wir einander artig die Pfötchen. In mein Gehirn schlich sich der Gedanke, dass er für einen Mann seiner Größe sehr schlanke Hände hatte. Normalerweise gehen meine eher schmalen, kleinen Hände in den Händen großer Männer ziemlich verloren, aber nicht bei ihm. Spannend, spannend. Der Gedanke, der gleich darauf folgte, war eine direkte Information von meinen Augen: Nicht nur die Hose war zu kurz, auch das Poloshirt, das er trug, hätte einen Nachfolger verdient gehabt. Was einstmals Schwarz gewesen sein musste, hatte jetzt nur noch die Anmutung von Anthrazit, etwas ungleichmäßigem Anthrazit. Hm.

      Als wir uns nach der Pause wieder in die Arbeit stürzten, bemerkte ich zu meinem Entsetzen, dass Adam neben mir ausdauernd schwieg.

      „Alles ok bei dir?“ fragte ich leise, während die Damen ihre Stellen probten.

      „Der Neue nervt“, grummelte er, „Der singt viel zu laut und lenkt mich ab.“

      Für eine Sekunde war ich irritiert. Dann ereilte mich die Erkenntnis. Hier ging es nicht um zu lautes Singen, das war ein klarer Fall von Eifersucht, weil Adam bis jetzt immer der beste Tenor gewesen war.

      „Adam, bitte, du kannst mich doch nicht so im Stich lassen!“ flüsterte ich eindringlich. Er war meine Stütze, wenn ich Probleme hatte, oder mit dem Stück noch nicht so sicher. „Ich brauche dich dringend! Und der Rest vom Chor auch!“

      Zum Glück fiel mein Hilferuf auf fruchtbaren Boden und nachdem er noch ein paar Sekunden weitergegrummelt hatte, war er wieder er selbst.

      Nach dem Ende der Chorprobe gingen ein paar Leute traditionell noch etwas trinken und ich eigentlich fast immer traditionell nach Hause. Ich wohnte etwas ab vom Schuss und brauchte entsprechend lang, um öffentlich heimzukommen. Weil aber mein Wecker gnadenlos in aller Frühe los düdelte und ich meinen Schönheitsschlaf brauchte, zog ich es vor, zu einer halbwegs vertretbaren Zeit ins Bett zu kommen.

      Sebastian machte einen vorsichtigen Versuch, mich zu überreden, doch mitzugehen, aber mir war an diesem Abend noch weniger danach, als sonst.

      Als hätte ich es am Vorabend schon gespürt, wachte ich am folgenden Morgen, einem Donnerstag, mit leichten Kopfschmerzen auf und fühlte mich auch sonst nicht besonders. Ich war absolut unleidlich mit Kopfschmerzen. Schmerzen in den Knien, der Schulter oder auch Gastritis – damit konnte ich problemlos umgehen, aber wenn mir der Kopf weh tat, keine Chance. Da halfen nur noch Thomas und Pyrin, die Schutzheiligen der Schmerzgeplagten, am besten in doppelter Dosis.

      Ich lief also etwas ferngesteuert in die Firma ein und hoffte auf einen ruhigen Tag.

      Diese Hoffnung wurde in dem Moment zunichte gemacht, als ich meine Emails öffnete. Meine Vorgesetzte verlangte darin eine Erklärung von mir, warum ich den Vertragsentwurf eines Kollegen blockieren würde.

      Wie bitte? Ich blockierte keine Vertragsentwürfe, das fiel nicht in meinen Aufgabenbereich. Kaum hatte sich der Gedanke in meinem trägen Gehirn manifestiert, stand sie auch schon vor mir, der Inbegriff aller nerv tötenden Personen.

      „Guten Morgen! Geht´s euch gut?!“ flötete Lena, die ganzen 160 cm, zu denen sie sich strecken konnte, dekoriert mit 65 kg, strahlten vor Motivation, oder jedenfalls tat sie so.

      „Noch“, antwortete ich.

      „Ach ja, Carmen, kannst du gleich in mein Büro kommen?“

      Das fing ja schon wieder gut an. Wie vermutet, sprach sie mich auf ihre zuckersüße Art auf den Vertrag an.

      „Weißt du, du kannst nicht einfach Kommentare abgeben, ohne dich mit mir abzusprechen. So etwas muß über mich laufen.“

      Mir schlief fast das Gesicht ein. Natürlich musste so etwas über sie laufen, sonst wäre sie überflüssig, es sei denn, die Arbeit interessierte sie gerade nicht, dann war ich gut genug, sie für sie zu erledigen. Wie in diesem Fall – das Mail inklusive Anhang war vor einer Woche an die Gnädigste gegangen, die es dann an mich weiterleitete, damit ich „Einen Blick darauf“ würfe, was ich auch getan hatte und dem Kollegen natürlich geantwortet hatte. Böser Fehler, Carmen, böser Fehler.

      „Du hast mich gebeten, das Traktat durchzulesen und zu kommentieren und das habe ich getan“, erwiderte ich, noch ruhig.

      „Aber Carmen“, sagte sie in einem Ton, als spräche sie mit einem grenzdebilen Kind, „Du hättest die Kommentare an mich weiterleiten sollen, damit ich das Mail beantworten kann.“

      Ah, daher wehte der Wind! SIE machte die ganze Arbeit ganz allein, eh klar.

      „Und?“ dachte ich, „Dann mach deinen Job, du dumme Kuh!“

      Laut kamen die Worte: „Und? Was soll ich jetzt tun?“ über meine Lippen.

      Wie erwartet, seufzte sie tief und entließ mich mit einem Winken. „Ich kümmere mich darum.“

      Ach du armes angeschossenes Huhn! Hättest du es gleich gemacht, hättest du dir das alles ersparen können und mir auch!

      Wortlos verließ ich ihr Büro, innerlich schäumend. Wir hatten diese Art der Auseinandersetzung inzwischen unzählige Male gehabt. Ich machte ihre Arbeit, weil sie mich darum bat und postwendend beschwerte sie sich, dass ich den Job machte, weil ich es wagte, selbständig zu denken und zu handeln und nicht zu apportieren, wie ein braver Hund.

      „Alles ok?“ fragte mich Elisa. Sie kannte mich gut genug, um an meinem Gesicht ablesen zu können, wie es mir ging.

      „Nein.“ Ich bemühte mich um eine möglichst ruhige Antwort, weil ihre Frage ja lieb gemeint war, konnte aber nicht verhindern, dass mein Ärger durchklang.

      „Wer quält dich denn schon wieder?“

      Auch Anita und Marie sahen mich inzwischen neugierig an.

      „Ich