Renate Wullstein

Die Faulheit der Frauen


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      Gerade als er sich mit einem Ruck von der Wand abstieß und in meine Richtung kam, entdeckte ich eine lange Tischplatte, an der Essen verkauft wurde. Es war etwas Vietnamesisches oder Indonesisches, ein Brei aus dunklem Reis, Früchten, Fleisch und dazu eine schwarze klebrige Paste. Der Brei wurde in Schüsseln ausgeteilt. Ich stellte mich an die Schlange.

      ”Hallo”, sagte Toni. ”Wollen wir uns da drüben hinsetzen?”

      Mit da drüben meinte er einen Leiterwagen, der mit breiten Holzbrettern beladen war und einige freie Plätze hatte. Ich nickte. Kurze Zeit später saßen wir in gewohnter Vertrautheit, und ich gab nun einen ausführlichen Bericht über die Geschehnisse des letzten Tages, lobte das Finanzamt und tadelte nachdrücklich noch einmal die Bank.

      ”Wenn du arm bist, sind sie froh, dich los zu sein”, sagte Toni. ”Du bist für die nur eine Last.”

      ”Genau. Und wenn ich mal reich bin, wenn ich mal ganz viel Geld habe”, sagte ich. ”Dann bringe ich es nicht zur Bank. Auf gar keine Bank.”

      Toni lächelte. ”Da werden die sich mächtig ärgern.”

      ”Da hast du nun auch wieder Recht.”

      ”Wann, meinst du denn, hast du ganz viel Geld?”

      ”Ich weiß es nicht“, sagte ich. „Ich suche noch nach einer Möglichkeit, die mir entspricht.“

      ”Es gibt unendliche Möglichkeiten.“

      ”Eben.”

      “Übrigens, ich will Ende des Jahres nach Italien fahren“, sagte Toni. „Wenn du Lust hast, fahren wir zusammen, fang also schon mal an, etwas Geld aufzuheben.”

      “Nach Italien?” rief ich. Fast hätte ich ihn umarmt.

      “Ich war noch nie in Italien”, sagte ich aufgeregt.

      “Ich weiß”, sagte Toni.

      “Ich war überhaupt noch nirgendwo.”

      Das war gelogen. Aber es lenkte vielleicht vom wahren Grund meiner Begeisterung ab.

      Toni seufzte, um meine Euphorie zu bremsen. Ich wackelte mit dem Kopf aus reiner Freude. Ich sah Hotelbetten, eine Nachtbar, Spaziergänge am Strand. Endlich war es soweit.

      „Ich komme mit“, verkündete ich überflüssigerweise.

      Toni hob die Hand und bedeutete mir, mich wieder zu beruhigen. Schließlich frönten wir einer unserer Lieblingsbeschäftigungen, beobachteten die unserer Meinung nach völlig degenerierten Mitgeschöpfe und lästerten.

      Fröstelnd, (denn ich hatte aus Eitelkeit die kurze Latzhose, grün-weiß-fein-gestreift, anbehalten), beschloss ich, nach Hause zu laufen und mich umzuziehen. ”Halt meinen Platz frei”, sagte ich.

      Nach einer halben Stunde kehrte ich zurück, und die ganze Freude war im Eimer. Meine Stelle war besetzt. Ich hockte mich vor all die Neuankömmlinge auf den großen langen Leiterwagen. Toni stand unten, um ihn herum verdächtig viele Leute. Er war keinesfalls der gesellige Typ. Hier stimmte etwas nicht. Aber ich fürchtete mich davor, einen neuen Streit zu inszenieren. In Ruhe musste ich herausfinden, was hier los war. Und dann erkannte ich in der Menschengruppe Viola, die Architektin. Sie war das Zentrum. Als einzige Frau inmitten von Männern, die auf sie fixiert schienen. Und auch Toni fühlte sich pudelwohl. Ohne mich. Ich sprang ab und stellte mich dazu. Er winkte mir nicht. Er sah mich nicht. Er hatte mich vergessen. Das ist jetzt nicht wahr, dachte ich. Sie redeten und lachten munter. Der Mann unmittelbar neben Viola könnte der Ehemann sein, dachte ich. Er belauerte sie freundlich. Die Frau war aufgekratzt, sie berichtete von großartiger Architektur, die sie gerade heute in Berlin besichtigt habe. Und ständig berührte sie Toni. Am Arm, auf der Schulter. Sie sah ihn aufmerksam an. Aber während sie erzählte, blickte sie auch die anderen an, auch mich. Sie erzählte es allen. Ich blickte ausdrücklich gutgelaunt auf Viola, bis diese endlich innehielt, mir die Hand entgegenstreckte und sagte: ”Viola.”

      ”Nora”, antwortete ich. Alle anderen blickten in diesem Moment zu mir und gleich wieder zurück auf Viola. Was hatte die Frau, was ich nicht hatte? Sie redete weiter. Architekten-Chinesisch. Alle waren von ihrer guten Laune angesteckt. Ich konzentrierte mich darauf, meine Gefühle zu verbergen. Die Gefahr, mich in Gift und Galle zu verwandeln. Aber wie machte man das? Eine Alternative, dachte ich, ich muss mir eine Alternative suchen, mich auf etwas anderes besinnen; auf etwas GUTES. Ich blickte in die Runde, machte eine Kehrtwende, um neuen Wein zu holen. Derweil rempelte mich ein langer Kerl an, hocherfreut mich zu treffen. Ich wusste weder seinen Namen noch woher ich ihn kennen sollte.

      Ich blickte zur Gruppe rüber, die immer fröhlicher wurde. Ich sah, dass Toni eine Flasche Whisky ansetzte. Wenn er Whisky trank, war höchste Not. Ich wandte den Kopf und blickte dem Unbekannten in die Augen.

      “Woher kennen wir uns?” fragte ich.

      “Ich glaube”, sagte der Lange. “Ich schätze, von damals. Als du auf der Strasse Keramikfiguren und Töpfe verkauft hast. Ich war bei der Zeitung. Ich hab ein paar Leute auf dem Markt interviewt. Dich auch.”

      “Ach.” Ich sah ihn genauer an. Billionen Jahre her.

      “Bist du noch auf dem Markt?” fragte er.

      “Eigener Laden”, sagte ich. “Und du, bist du noch bei der Zeitung?”

      “Eigene Zeitung”, sagte er.

      „Nein!“

      „Doch.“

      “Sag mir deinen Namen.”

      "Kolmar."

      „Kolmar.“

      Wir standen in der Schlange beim Weinverkauf.

      “Was für eine Zeitung?”

      “Ein Stadtmagazin. Hochglanz. Wenn die erste Nummer fertig ist, bring ich dir einen Packen“, sagte er. „Die verkaufst du für uns.“

      „Gut“, sagte ich. „Das klingt interessant.“

      Ich warf einen abschließenden Blick auf die Viola-Gruppe.

      Toni war außer Rand und Band, lachte schallend, warf den Kopf nach hinten, legte ihn auf Violas Schulter ab. Dieser Mistkerl!

      ”Mein Freund ist betrunken”, bemerkte ich, ungeachtet der Tatsache, wie unsinnig diese Information für jemanden war, der offensichtlich Geschäftskontakte suchte.

      Kolmar kaufte einen Wein für mich, für sich ein Bier.

      “Wohin wollen wir gehen?” fragte er.

      “In die Fabrik?”

      “In die Fabrik.”

      Wir fanden einen guten Platz inmitten der Kunst, die wir kaum beachteten, in einem Fenster ohne Glas mit Blick auf den Vollmond über Potsdam.

      "Siehst du den Vollmond?" sagte Kolmar.

      "Ich sehe den Vollmond", sagte ich.

      In der Nacht vergaß ich Toni. Ich träumte von der Verwandlung des „Ambiente“ in einen Laden mit Büchern und Zeitschriften. Sollte Toni eben die Architektin heiraten und mit ihr nach Italien fahren. Ich hatte jetzt andere Pläne. Vom Flurfenster sah ich die Straße voller Leute. All die potentiellen Kunden. Nach einer Katzenwäsche eilte ich in den Laden. Die Geschäftsregeln waren außer Kraft. Ich öffnete früh um zehn. Die Sonne schien, ich baute gutgelaunt einen Teil der Ware auf dem Bürgersteig auf, Töpfe und einen Ständer mit Tüchern; stellte einige Bilder an die Mauer und verschwand für einen Augenblick hinten im Lager, um eine Pappe zu besorgen.

      Loretta pflegte morgens ein eiskaltes Bad im Garten zu nehmen. Ich rief ihr zu, dass ich mit ihr reden wolle, wenn sie Zeit habe.

      „Willst du mich heiraten?“ rief sie vom Kinderbassin her, in das sie laut juchzend hineingesprungen war und sich jetzt abtrocknete.

      „Was hältst du davon, wenn ich ein Antiquariat aufmache, mit alten und