Farina de Waard

Jamil - Zerrissene Seele


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ihre Tasche auf den Boden neben ihm und zog einige Beutel und Tücher heraus, dann hob sie ihr Messer und zerschnitt das Hemd direkt über seiner blau und grün verfärbten Brust. Trotz der Prellungen konnte sie sehen, dass er zuvor ein gut gebauter Mann gewesen sein musste. Schlank und hochgewachsen, von harter Arbeit gestählt … und jetzt von dämonischen Kräften erfasst.

      Sie erschauerte und schnitt auf seiner rechten Seite, dort wo die Pfeile ihn getroffen hatten, alle Stofffetzen von seinem Körper, die sie neben ihm auf einen kleinen Haufen warf. Sie ließ den Stoff an seinen Armen noch bestehen, er war zwar teilweise zerrissen, hielt aber doch die nächtliche Kälte etwas von dem Körper fern.

      Sie schüttelte entsetzt den Kopf, als sie einen ersten, genaueren Blick auf seine Seite warf.

      Wie hatte er bloß den rechten Arm heben können? Diese Seite seines Brustkorbs war völlig zerfetzt. Schuldgefühle brodelten in ihr. Sie hätte nicht zulassen dürfen, dass er sich die Pfeile selbst herausriss. Er hatte anscheinend ohne klare Sicht geschnitten und dann die Pfeile aus seinem Fleisch gezerrt.

      Alle drei Eintrittsstellen, verbunden zu einer großen, offenen Wunde, waren tief, heiß und entzündet. Sie hatten nicht im Mindesten angefangen, zu verheilen. Wie denn auch? Mit all dem Dreck darin …

      Mit gerümpfter Nase zog sie das blutverschmierte Gras aus der Wunde und spülte sie dann mit Wasser aus. Mit dem Zipfel eines Tuchs tupfte sie die Wunde sanft trocken.

      Seiner Kehle entwich ein lautes Stöhnen, dennoch regte er sich kaum. Misstrauisch betrachtete sie sein schmerzverzerrtes Gesicht, aber er schien nicht die Kraft zu haben, sich zu bewegen. Schließlich öffnete sie den Pfropf des Tongefäßes und ließ dunklen Honig auf die große Wunde tropfen. Mit einem sauberen Teil des Tuchs verteilte sie den Honig und strich dann noch mehr darauf.

      Als die ganzen offenen Stellen in seiner Brust mit dem duftenden Kleber bedeckt waren, zerkrümelte sie trockene Kräuter in ihrer Hand und streute sie in die Wunde, wo sie mit dem Honig verklebten und einen intensiven Geruch entwickelten.

      Zuletzt legte sie ein zweites sauberes Tuch über die Verletzung und befühlte anschließend vorsichtig den Rest seines Körpers. Sie würde ihm erst einen festen Verband anlegen können, wenn seine Glieder richtig versorgt waren.

      Sein linker Arm war zweimal gebrochen, ebenso das linke Bein. Das rechte schien nur an einer Stelle im Schienbein zertrümmert, dafür war der Knochen aber gesplittert und das Bein dick geschwollen und heiß.

      Der Jägerin war völlig unklar, wie er es überhaupt über den Strand geschafft hatte. Mit drei Pfeilen in der Seite, drei gebrochenen Gliedern und dem Körper überzogen mit Prellungen und tiefen Schnittwunden, die ihm die Felsen in der Brandung zugefügt hatten.

      Sie hatte noch nie erlebt, dass jemand solche Qualen still hinnahm und nicht wahnsinnig wurde, denn er zuckte nur kurz unter ihren Berührungen zusammen, ohne einen Laut von sich zu geben. Er musste doch ein Verfluchter sein, sonst hätte er derartiges niemals so lange überlebt. Sie wusste nicht, ob sie ihn bemitleiden oder bewundern sollte.

      Erst bei dem grässlichen Knirschen der Knochen schrie er laut auf, als sie seinen Arm langzog und mit einem Ruck den ersten Bruch richtete.

      Es war ein qualvoller Laut, ein Schrei, der noch tieferen Schmerz widerspiegelte als den der Splitter in seinem Fleisch. Die gebrochenen Stücke rutschten an ihre ursprüngliche Stelle, als sie den Arm dehnte.

      »Bitte, du musst leise sein!«, zischte sie flüsternd, während sein Körper erneut unter ihrem Griff knackte, als sie die Knochen in seinem Unterarm in die richtige Position brachte. Er ächzte auf, unterdrückte aber einen weiteren Schrei mit lautem Zähneknirschen, und sie schnitt mit ihrem Messer jetzt doch den Stoff von seinem Arm.

      »Keine Sorge«, presste er unter zusammengebissenen Zähnen hervor. »Sie werden nicht kommen, nur weil ich schreie.« Sie nahm einen anderen kleinen Lederbeutel zur Hand und strich etwas dunkelgelbe Salbe heraus, die sie so sanft wie möglich auf seinem Arm verteilte. Ein weiteres Stöhnen entwich ihm und er verzerrte das Gesicht.

      »Woher weißt du das?«, fragte Asha und starrte in seine jetzt weit aufgerissenen, glasigen Augen. Der plötzliche, heftige Schmerz schien ihn zurück in die reale Welt geholt zu haben.

      »Ich gehöre nicht mehr zu ihnen … sie werden denken, dass ein Monstrum schreit, nicht ein … Mensch.«

      Sie fühlte seine glühende Stirn und zog dann einige frische Kräuter aus ihrer Tasche.

      »Kau diese Blätter, sie werden dir helfen, gegen die Entzündung anzukämpfen«, erklärte sie, zerriss die Kräuter in kleinere Stücke und wollte sie ihm in den Mund stecken. Doch er konnte die Kiefer nicht kräftig genug zusammenbeißen.

      »Ich kann … nicht kauen. Ich kann kaum sprechen oder schlucken …«, murmelte er und Asha sah seinen Blick wegdriften. Das Fieber und der Geruch der Salbe hüllten ihn ein wie Nebel.

      Nickend sah sie ein, dass er Recht hatte, und steckte sich die Kräuter selbst in den Mund, um sie zu einem weichen Brei zu zerkauen. Sie mischte den Brei mit dem restlichen Wasser und flößte ihm so die heilenden Kräuter ein. Er schluckte mühsam und blinzelte sie aus glasigen Augen an.

      »Warum … hilfst du mir?«, fragte er, nachdem sie seinen Kopf zurück auf die Wurzel gebettet hatte.

      »Irgendjemand muss doch dafür sorgen, dass du nicht für immer zähneknirschend unter unserem heiligen Baum liegst, oder?«

      »Aber warum du?«

      »Ich finde dich interessant, Geister–Dämon«, erwiderte sie mit einem Zwinkern und richtete dann die Brüche in seinen Beinen.

      Diesmal hallten seine Schreie noch weiter über die Bucht. Asha betrachtete den jungen, vor Schmerz und Kälte zitternden Mann vor sich.

      Vollkommen benommen, bemerkte er scheinbar gar nicht, welche anderen Dinge sie mitgebracht hatte. Er schreckte erst auf, als sie die geraden Haselruten an seinen gebrochenen Arm hielt, die sie von einem kleinen Haufen auswählte.

      »Was … tust du da?«, fragte er, die Augen halb geschlossen.

      »Ich werde deine Glieder schienen, sonst heilen die Brüche nie oder du wirst verkrüppelt – da du ja offensichtlich ein zu schwacher Dämon bist, um dich selbst zu versorgen.«

      Er nahm ihre Stichelei hin, doch sie konnte an seinem Blick sehen, wie dankbar er war. Ein seltsames Verhalten für einen verfluchten Untoten. Um ihn zu beschäftigen, brach sie ein kleines Brotstück von ihrem eigenen Proviant ab und schob es ihm nach einem Zögern zwischen die Zähne.

      »Mädchen … warum ist das Brot so süß?«, murmelte er und sie musste kichern.

      »Die Fladen werden mit süßen Kartoffeln gemacht. Kennst du keine Batate?«

      Er deutete ein Kopfschütteln an.

      »Du kommst wirklich von weit her, oder? Es ist eigentlich schade, dass unsere Leute sich nicht verstehen, wir könnten sicherlich viel voneinander lernen.«

      »Aldo weiß alles … sagt er.«

      Sie sah ihn zweifelnd an. Schweiß lief seine Schläfe hinunter und sie befeuchtete ein Tuch, das sie ihm auf die Stirn legte.

      »Der Baum flüstert … er erzählt mir von den Fremden … Aldo, du hast ja keine Ahnung«, fing er an und weitete dann ein wenig die Augen. »Sie leben so anders als wir! So anders …«

Bild17

      Er stöhnte auf, als sie Salbe auf seiner Haut verteilte. Der Schmerz ließ ihn realisieren, dass er sie mit seinem Gerede nur verwirren musste. Er hatte im Traum immer wieder seinen Vater gesehen … aber als Lezana neben ihn trat, wusste er, dass er fantasierte. Seine Verlobte, die Königstochter, lag irgendwo zwischen den verkohlten Ruinen Kas’Tiels.

      Schweigend beobachtete er die Handgriffe seiner Helferin. Mit müdem Blick sah er nun zum ersten Mal bewusst seinen Arm, seine Haut, die durch Blutergüsse und Schrammen rot und blau