Farina de Waard

Jamil - Zerrissene Seele


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gewechselt und sind sich schon über mich einig.«

      »Es erscheint mir nicht gerecht, was dir zugestoßen ist. Irgendjemand sollte sich deine Version der Geschichte anhören, oder nicht?«

      »Du solltest trotzdem vorsichtig sein.«

      »Du meinst, es wäre nicht ratsam, entdeckt zu werden, wie ich einem Dämon helfe?«, meinte sie und schmunzelte leicht.

      »Ich …«

      »Keine Sorge, mein schwacher Dämon, ich kann stiller sein als der Mond.«

      Ehe er etwas erwidern konnte, war sie im Schatten des Baumes verschwunden und er blieb allein zurück.

Bild15

      Ashanee erreichte den Waldrand und die Felsen, zwischen denen sie ihren Bogen und die Pfeile versteckt hatte.

      Sobald sie das starke, biegsame Holz mit den Fingern umschlossen hielt, fühlte sie sich wieder vollständig.

      Zuerst hatte sich alles in ihr gegen diesen Impuls gesträubt, ohne ihren Bogen zu dem Dämon zu gehen … aber er war so schwer verletzt und seine Augen waren jetzt leuchtend blau statt rot. Seltsamerweise wollte sie ihn nicht erschrecken oder bedrohlich wirken.

      Sie wollte ihn schützen, was völlig verrückt war, denn er war ein Dämon, vermutlich unsterblich, mordlüstern und gefährlich … und dennoch so sonderbar verletzlich.

      Ashanee tastete nach der Lederschnur um ihren Nacken und holte das Amulett hervor, das die Schamanen ihr gegeben hatten. Das Holz mit dem eingelassenen grünen Stein wirkte in seiner Einfachheit und Unscheinbarkeit doch erhaben und machtvoll. Es sollte sie als Beobachterin davor schützen, von dem Dämon bemerkt oder attackiert zu werden. Die Schamanen hatten allen im Dorf eingeschärft, den Dämon nicht anzusehen, weder mit ihm zu sprechen, noch zur Wiese oder zum Baum zu blicken.

      Nur sie konnte und durfte das jetzt … aber funktionierte dieser Schutz überhaupt noch, wenn sie ihn freiwillig aufgegeben hatte? Immerhin war sie zu dem Mann gegangen und hatte mit ihm gesprochen.

      Seufzend zog sie sich den gespannten Bogen über die Schulter und massierte sich dann kurz die Schläfen, um einen klaren Kopf zu bekommen.

      Sie hatte Pflichten zu erfüllen und nach dem Dämon zu sehen, kostete sie Nerven und Kraft, die sie eigentlich für die Jagd in der frühen Dämmerung brauchte.

      Ihre Füße wählten ganz von selbst den besten Schleichweg durch den Wald. Sie kannte ihn im Schlaf, lief einmal die kleinen Fallen ab und warf seufzend einen Blick auf das Gebiet, das die Fremden bereits verwüstet hatten.

      Der Wald war gerodet und ein Großteil der Tiere war geflohen, der Mangel an gefüllten Fallen war das beste Zeugnis davon.

      Eigentlich hätte Asha wie die meisten anderen Jäger jetzt auch viel weitere Strecken auf sich nehmen müssen, doch da sie die Aufgabe hatte, den Dämon zu beobachten, waren ihr die naheliegenden Fallen zugeteilt worden. Die Jäger machten mittlerweile längere Jagdausflüge in Richtung der Berge, denn sie fanden kaum noch Großwild in der Nähe.

      Wie schnell sich alles ändern kann …, dachte Asha und schüttelte den Kopf. Da kommt ein seltsames, riesiges Boot über das Meer und spuckt mehr Menschen aus, als bei uns im Dorf leben … und dann schickt Haluschk ausgerechnet mich als erste zum Hara–Baum, in ihre Nähe. Wie aufgeregt ich war … ich wollte nichts mehr, als ihm und Chaled zu zeigen, dass ich dieser Aufgabe gewachsen war. Wollte sehen, was die Fremden da machten, was sie für Hütten bauen würden, wie sie lebten … und jetzt haben wir einen Dämon zwischen uns und ihnen.

      Asha kontrollierte die letzte Falle und spannte dann seufzend die Sehne von ihrem Bogen ab. Heute Nacht würde sie nichts nach Hause bringen außer ein paar neuen Lügen und Ausflüchten.

       Ob Haluschk mich wohl darum gebeten hatte, die Gaben zum Hara–Baum zu bringen, um mich zu prüfen? Ob ich als Partie für seinen Sohn geeignet bin? Aber das wäre … nein, das würde nicht funktionieren, er ist wie ein Bruder für mich.

      Asha erreichte den Pfad, der sie zu ihrem Dorf führte, durchquerte die Reihe der Felder und erspähte die Lehmhütten im Dunkeln. Sie lief auf das Haus ihrer Eltern zu, schlüpfte an dem dicken Leder am Eingang vorbei und schlich zu ihrem Bett.

      Ihr Vater schlief leise schnarchend auf seinem Lager, ihre Mutter war noch nicht von ihrem nächtlichen Streifzug zurück.

      Ashanee lehnte ihren Bogen an die Wand, zog sich leise aus und rollte sich auf ihrem gemütlichen Fell zusammen. Sie seufzte und genoss den Geruch der teuren Webdecke, die sie um sich geschlungen hatte. Das kostbare Geschenk, das sie zu ihrem fünfzehnten Jahrestag bekommen hatte, roch nach wohliger Geborgenheit. Sie schloss die Augen, dämmerte in dunkle, ruhige Träume weg und wachte erholt wieder auf, als ihre Mutter einige Holzstücke in das kleine Feuer nachlegte. Die Luft war frisch und klamm, das erste Licht des schattenlosen Morgens drang zur Tür herein. Kalla hatte das Leder zurückgeschlagen, um den Tag hereinzulassen. Akando war wohl bereits auf und draußen.

      Gähnend streckte Asha sich, schälte sich aus ihrer Decke und stellte sich neben ihre Mutter an das kleine Feuer. Kalla band mehrere Zweige eines Krauts zusammen und hängte sie an einer Schnur über den Rauch, um sie zu trocknen.

      »Heute Morgen wird es eine Versammlung geben. Die Schamanen wollen über den Dämon beraten, deine Anwesenheit wird gefordert.«

      Asha nickte und trank mit ihrer Mutter zusammen etwas Tee, bevor sie hinausgingen.

      Der Geruch von ersten Kochfeuern lag in der Luft und feiner Rauch hing in einer dünnen Schicht über dem Dorf. Es war noch so früh, dass kein Lüftchen wehte, doch bald würde das Meer wieder seine morgendlichen Böen schicken und den Rauch vertreiben, der im Tal festhing.

      Die Versammlung fand diesmal nicht in der großen Gemeinschaftshütte statt, sondern draußen auf dem Dorfplatz. Die Schamanen standen wie unbewegte Statuen zu viert nebeneinander, eine Reihe voller Macht und Einfluss. Asha fragte sich nicht zum ersten Mal, wer eigentlich über ihr Dorf bestimmte, Haluschk als Anführer oder die Weisen? Vielleicht war es auch einfach schon immer so gewesen, dass dieses Gefüge so bestand.

      Asha nannte die Vier genau wie alle anderen nie bei ihren echten Namen, diese waren durch ihre Ernennung zu heiligen Worten geworden. Für die Sukrani waren sie nur die Ältesten oder die Schamanen, aber insgeheim hatte Asha jeden von ihnen nach einer auffälligen Eigenschaft benannt.

      Die Frau mit dem strengen Blick und den glatten roten Haaren, deren stechende Augen jeden zu durchbohren und erforschen schienen, nannte Asha die Nadel.

      Ihre Meisterin war sehr alt, hatte ihr weißes Haar zu einem langen Zopf geflochten und würde vermutlich wieder nichts sagen, was ihr auch den Namen die Stille eingebracht hatte.

      Neben ihr stand der riesige Mann, den Asha den Bären nannte. Er brummte meist zur Zustimmung, und wenn er doch etwas sagte, war seine Stimme so tief wie das Grollen eines Bären. Asha wusste, dass die Kinder im Dorf vor ihm am meisten Angst hatten, doch für sie war er eher ein alter, stoppliger Bär, der seinen Winterschlaf hielt und an den man sich anlehnen konnte.

      Für sie wirkten der scharfe Blick der Nadel und die milchigen Augen ihres älteren Bruders, des wichtigsten Schamanen, viel bedrohlicher.

      Dieser kleine Mann, der schon in Ashas jüngsten Erinnerungen immer runzlig und alt gewesen war, hieß für sie der Blinde. Seine Augen waren von einem milchigen Schleier verhüllt. Er konnte kaum mehr sehen als ein paar Bewegungen und Schatten, dafür war sein Blick in die Welt der Geister von allen am klarsten. Oft verfiel er in tiefe Traumzustände und bisweilen sprachen die Geister sogar direkt durch seinen Mund, wenn er bestimmte Kräuter und Pilze zu sich nahm.

      Obwohl die Nadel nur die Nachfolgerin der Stillen war, hatte sie bereits so viel Ansehen wie alle anderen Schamanen. Was der Blinde und sie sagten, das galt, auch wenn Haluschk ihr Anführer war.

      Die rothaarige Frau trat jetzt vor und wandte sich an ebendiesen, der sich bisher