Dietmar Schubert

Mauerzeit - Traumzeit


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du“, fragt mich Silke. Ich schiebe eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht.

      „Von dir“, und nach einem Kuss, „von unserer Schülerband; in dieser Reihenfolge.“

      Ihre Fingerspitzen berühren meinen Hals, ihre Augen leuchten sanft.

      „Du bist lieb, Holger. Ich mag dich sehr.“

      Meine Blicke streifen über ihre Poster.

      „Welches Poster schaust du so interessiert an?“, fragt mich Silke. Ich blicke kurz in ihr Gesicht.

      „Das von Omega. Die möchte ich unbedingt live im Budapester Kis-Stadion sehen und meinen Lieblingstitel hören.“

      Ihre Augen leuchten spitzbübisch.

      „Darf ich raten, welcher es ist?“

      Ich nicke mit dem Kopf und sie überlegt, zumindest habe ich den Eindruck.

      „Dein Lieblingstitel ist bestimmt ‚Das Mädchen mit den Perlen im Haar’. Habe ich recht?“

      „Stimmt!“, meine Finger gleiten über eine Haarsträhne, „deine langen Haare gefallen mir.“

      Ein verlegenes Lächeln huscht über ihr Gesicht.

      „Danke“, sagt sie leise. Meine Fingerspitzen schieben ein paar Haare über die Bluse, finden den Weg zu einem Knopf und versuchen dahinter zu verschwinden. Silkes greift nach meiner Hand, legt sie wieder auf die Haarsträhne zurück. In ihren Augen ist für einen kurzen Augenblick eine Spur Traurigkeit. Sie setzt sich im Schneidersitz auf ihre Liege, lehnt sich an die Wand und der Teddy verschwindet unter ihren Haaren.

      „Nach Budapest möchte ich auch“, und in ihren Augen ist Fernweh zu sehen. „Budapest, das ist für mich wie ein kleines Stück große, weite Welt. Nur mit Zelt und Schlafsack und, um Forinten zu sparen, auf der Margareteninsel wild campen.“

      Ihre Abenteuerlust steckt an, so stelle ich mir auch Budapesturlaub vor.

      „Hauptsache, du wirst beim Campen nicht erwischt“, meine ich, „mein Bruder Jan kann da tolle Storys erzählen.“

      Silkes Fernweh verschwindet mit einem Schlag aus ihren Augen und wird durch Neugier ersetzt.

      „Du hast noch einen Bruder?“, fragt sie.

      „Ja, Jan ist fünf Jahre älter als ich und meine Schwester Peggy fünf Jahre jünger“, erkläre ich ihr und erschrecke – wieder huscht eine Spur von Traurigkeit über ihr Gesicht. Oder täusche ich mich? Ich komme nicht weiter zum Nachdenken. Silke schaut auf ihre Uhr und springt mit einem Satz von der Liege.

      „Mann, wir müssen los, sonst keifen die Waschweiber wieder rum!“

      Die Sonne empfängt uns zwischen den dreigeschossigen Häusern, die ein bisschen verloren neben den Hochhäusern wirken. Silke bleibt stehen und kramt aus der Jackentasche die Schirmmütze von heute früh hervor.

      „Wir haben jetzt aber nicht PA“, meine ich zu ihr.

      „Das stimmt, aber mich hat so’n Waschweib schon mal dumm angemacht, wegen meiner langen Haare, Arbeitsschutz an der Heißmangel und was weiß ich noch alles“, erklärt Silke und zwängt ihre Haare unter die Schirmmütze.

      Das Waschhaus sieht hässlich aus, als hätte der Architekt es vergessen und dann mit dem vom Häuserbauen übriggebliebenem Material etwas zusammenschustern müssen, was nicht einstürzt. An Fenstern muss es gemangelt haben, durch die winzigen Luken fällt kaum Licht. Ich öffne die Tür zum Waschhaus und sie schabt laut über die Fliesen. Lärm und aufdringliche Wärme empfangen uns. Links neben uns wuselt eine Waschfrau zwischen riesigen Wäschepaketen herum. In den einäugigen, in die Wände eingelassenen, stählernen Waschmaschinen kreiseln Wäschestücken. Die Feuchte, vermischt mit Waschmittelgeruch, wabert durch das Gebäude und versucht durch eine offene Dachluke zu entweichen. Kleine, wie Leiterwagen aussehende, Holztröge sind vollgestopft mit tropfender Wäsche und ein schmales Wasserrinnsal strebt auf unsere Füße zu.

      Eine Frau, groß, schlank, hässlich, mit weißem Kittel, Haarnetz und schwarzen Gummistiefeln kommt auf uns zu.

      „Ich will die Wäsche von Rechlin mangeln“, fordert Silke.

      Die Frau verschwindet im verglasten Verschlag links neben uns, blättert im Kalender, zieht hastig einen Zug an der Zigarette, die im Aschenbecher liegt, und geht zielstrebig auf einen Holztrog zu. Ihn vor sich herschiebend läuft sie platschend durch die kleinen Wasserpfützen und stellt ihn neben einer Mangel ab.

      „Los geht’s“, meint Silke zu mir und wir einigen uns, wer auf welcher Seite steht. An der Mangel hinter Silke arbeiten zwei Frauen aus dem Waschhaus; Kittel, Haarnetz und schwarze Gummistiefel wirken wie eine Uniform. Die eine klein, mehr breit als hoch und wenn sie sich bewegt, schwabbelt ihr ganzer Körper. Die andere in die Höhe geschossen, mehr hoch als breit und ihre Bewegungen sind staksig. Die Lampe über einer Waschmaschine signalisiert durch wildes Blinken, dass die Wäsche fertig ist. Lustlos strebt aus irgendeiner Ecke eine Frau auf die Maschine zu, öffnet die Luke, bekommt noch einen Schwall Wasser ab und zerrt die Wäsche in einen Trog. Mit quietschendem Geräusch rollt sie damit zu den Schleudermaschinen und wuchtet alle Wäsche mit einem Mal durch die Öffnung. Wie ein Roboter drückt sie auf irgendwelche Knöpfe und dann surrt die Schleuder los. Aus einem riesigen Wäscheberg rafft sie dreckige Wäsche, stopft sie in den Trog und trabt roboterhaft zur Waschmaschine zurück. Das Waschhaus und die Waschweiber sind gruselig für mich. Selten wechseln sie ein Wort und ihre Gesichter sind kein bisschen schön. Entweder haben sie ihre Schönheit verraucht, versoffen, nie welche gehabt oder soviel Schminke im Gesicht, dass die Gravitation ausreicht, sämtliche Gesichtszüge entgleisen zu lassen. Nur ein Mann arbeitet im Waschhaus – der Chef der Truppe, dürr, als würde es noch Lebensmittelkarten geben. Hier will ich nie arbeiten, auch nicht in den Ferien. Ich habe hier immer das Gefühl, auch bei uns gibt es ein Oben und Unten.

      „Holger, träumst du!“ ruft mir Silke zu, „man, das ist mein Bettlaken, denkst du, ich will auf einem Faltengebirge schlafen!“

      Das Laken verschwindet mit etlichen Falten in der Mangel und kommt auf Silkes Seite genauso wieder aus der Maschine.

      „Warten Se’ mal!“, und die dicke Frau von der Nachbarmaschine schwabbelt mit einer Sprühflasche auf mich zu.

      „Danke!“, sage ich zu ihr und Silkes Bettlaken verschwindet ohne Falten in der Mangel, während die Frau wieder zurück schwabbelt. Der Trog ist fast leer, noch ein paar Handtücher und die Waschhausfolter ist vorbei.

      Endlich, wieder im Freien, tief durchatmen, um den Waschhausgeruch loszuwerden.

      „Warte mal Holger!“, und Silke setzt den Wäschekorb ab. Sie greift zur Schirmmütze, zieht sie vom Kopf und ihre Haare fallen breit über ihren Rücken.

      „Auf meine langen Haare bin ich unheimlich stolz, da kommt keine Schere ran“, meint sie und ich muss ihr recht geben – Silke hat wunderschöne, lange Haare.

      „Und, wie war das Waschhaus?“, fragt Silkes Mutter aus der Küche.

      „Mutti, die Frage kannst du stecken lassen, du weißt doch genau, dass ich die Waschweiber nicht ausstehen kann“, antwortet Silke.

      „Aber es muss auch Frauen geben, die solche Arbeiten machen“, belehrt sie Silke und bemerkt mich.

      „Holger kann die Waschweiber auch nicht ausstehen“, meint Silke.

      „Guten Abend, Holger“, begrüßt mich Silkes Mutter. Ich gebe ihr die Hand und schaue in ihr Gesicht. Es ist Silkes Gesicht, nur ein klein wenig älter, aber genauso freundlich. Die Haare fallen bis auf die Schultern und sind genauso blond wie Silkes.

      „Bleibst du zum Abendbrot?“, bittet mich Silke und blickt kurz zu ihrer Mutter. Warum eigentlich nicht? Meine Eltern werden mich schon nicht vermissen. Ich werde von Silke in die Küche geschoben und bekomme von ihr die Teller in die Hand gedrückt.

      „Welchen Tee willst du trinken?“, fragt mich Silkes Mutter.

      „Tee?“, frage