Monika Kunze

Harlekin im Regen


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Gesicht hellte sich auf.

      He, das könnte vielleicht ein gutes und dazu noch originell verpacktes Geschenk abgeben! Wenn schon nicht für die Mutter, dachte sie, denn die rauchte schon seit einem ganzen Jahr nicht mehr, dann vielleicht für den Vater?! Irgendwann musste er ja mal wieder heimkommen aus Afrika.

      Für wen sonst ließ Regina wohl den leeren Aschenbecher immer noch auf dem Tisch stehen? Was für eine tollkühne Vermutung!

      Der Hunger war nicht nur eine Vermutung, denn er brachte sich mit unüberhörbarem Magenknurren in Erinnerung. Fischbüchse, Brot und Sektflasche waren zum Glück auch nicht nur Vermutungen.

      Wie stand es gleich noch mal auf dem Zettel? Mach´ es dir gemütlich!

      Mit jedem Bissen und jedem Schluck aus der Flasche, Beatrix verzichtet der Einfachheit halber auf ein Glas, schien jene Aufforderung ihren bitteren Beigeschmack zu verlieren. Doch irgendwie wurde es ihr immer seltsamer zumute. Die Wände dehnten sich, der ganze Raum drehte sich und veränderte sein Aussehen.

      Die bunten Pillen! Ganz flüchtig nur streifte sie dieser Gedanke.

      „Nimm nur, ausnahmsweise, zur Feier des Tages. Sie machen happy!“

      So hatte sich die Mutter am Nachmittag gönnerhaft gegeben. Natürlich weiß Beatrix, dass happy das englische Wort für glücklich ist. Trotzdem hatte sie die runden Dinger nur widerstrebend geschluckt.

      Durch die Fenster drang bläuliches Licht, wieder dehnten sich die Wände, das Mädchen glaubte zu schweben. Sie schloss die Augen, tastete ängstlich nach dem Harlekin – das Geschenk war noch da. Für wen auch immer. Kurz vor dem Einschlafen spürte sie noch, wie sich ein warmes Glücksgefühl in ihrem Körper ausbreitete.

      Plötzlich erwachte Beatrix auf dem Sofa. Schlaftrunken schaute sie sich um. Nichts war zu sehen oder zu hören, was sie geweckt haben könnte. Plötzlich hörte sie doch wieder etwas. Das Geräusch schien jedoch nicht aus ihrem Traum zu stammen. Sie griff nach der Handpuppe, fühlte erleichtert die Pistole im Inneren.

      Ihr Puls raste, sie stand vorsichtig auf. Ihre Füße verhedderten sich in achtlos hingeworfenen Strümpfen, doch Bea fand erstaunlich schnell ihr Gleichgewicht wieder. Das Geräusch ihrer Schritte wurde vom dicken Teppich verschluckt.

      An der Schlafzimmertür krümmte sich ihr Zeigefinger um den Abzug. Das Pistolenfeuerzeug im Harlekin ist auf zwei nackte Gestalten im Bett gerichtet.

      „He, Beatrix, was soll das? Warum läufst du mitten in der Nacht mit dem Kasper herum?“

      Die Fragen der Mutter klangen eher erstaunt als ärgerlich.

      Ob Regina, die Königin, sonst noch irgendetwas fragte oder sagte, konnte Beatrix schon nicht mehr hören, denn sie rannte nach dem Knall mit samt ihrem Harlekin die Treppe hinunter, riss die Tür auf und stolperte ins Freie..

      Auf der Straße empfing sie ein feuchtkalter Wind.

      In diesem Moment begann es zu regnen.

      Beatrix drückte ihren Harlekin verzweifelt an die Brust, legte den Kopf in den Nacken und reckte ihr Gesicht den kühlenden Tropfen entgegen …

       ***

      Falsch verbunden?

      Als sie am Morgen die Augen aufschlug, war alles wie immer. Links von ihrem Bett das Fenster, dahinter eine riesige Douglasie, deren Wipfel sich leicht im Wind bewegte. Natürlich wusste sie, dass sich ein Baum von allein nicht bewegen kann. Doch diesmal war es nicht der Wind, der den Baumwipfel in Schwung brachte. Es war ein Vogel. Mit hochgereckter Kehle und dunkelblau glänzendem Gefieder saß er auf einem der obersten Äste und schien das sanfte Schaukeln zu genießen. Also, nicht die Elster, die sich an den vorangegangenen Tagen hier vergnügt hatte. Nein, diesen schönen Vogel hatte sie nie zuvor gesehen. Jetzt neigte er den Kopf, schien in ihre Richtung zu blicken. Dabei hob er fast unmerklich einen Flügel, so, als wolle er ihr zuwinken.

      Lea freute sich über ihren neuen Freund und wusste plötzlich, dass dieser Tag nicht so trist wie die anderen werden würde.

      Zaghaft schlug sie die Bettdecke zurück, angelte nach ihren Pantoffeln und machte sich auf, das Telefon zu holen.

      Frühstück?

      Später!

      „Hallo, Ulrike, bist Du noch da?“

      Sie lauschte der kräftigen Männerstimme nach. Es klappte!

      Ulrike schien sich aber in Luft aufgelöst zu haben. Das Spiel konnte beginnen.

      „Nun sag schon“, drängte der Mann, „Wie findest Du meinen Vorschlag? So eine Rendite bekommst du heutzutage nirgendwo sonst für dein bisschen Geld …“

      Lea räusperte sich.

      „Verzeihung“, sagte sie, „hier gibt es keine Ulrike … ich werde also jetzt auflegen …“

      „Oh, nein, bitte nicht, Sie haben ja wirklich eine tolle Stimme … bitte sagen Sie mir doch wenigstens Ihren Namen …“

      Er schien Ulrike und ihr Geld doch tatsächlich schon vergessen zu haben. Sollte sie ihm ihren Namen sagen? Ach was, nur zu, es ist ja nur ein Spiel.

      „Ich heiße Lea“, sagte sie. Sie wunderte sich selbst über den rauen Klang ihrer Stimme. Irgendwie wurde ihr jetzt doch etwas mulmig im Bauch. Ach, was soll´s, schob sie ihre Bedenken beiseite, was konnte er schon mit einem Vornamen anfangen?

      „Oh, Lea, was für ein schöner Name! Vielleicht haben Sie ja Lust auf einen Kaffee?“

      Wenn Ulrike ihm das Geld nicht geben will, dann musste er es eben bei einer anderen versuchen …

      Lea tat, als müsse sie sich ihre Antwort reiflich überlegen. Sie schnippte mit dem Fuß den Pantoffel übers Bett.

      „Nun ja“, gab sie sich zögerlich, „eigentlich trinke ich gar nicht so gern Kaffee…“

      Jetzt war eine Pause angebracht. Als sie ein paar Sekunden lang außer seinem Atem nichts vernahm, fuhr sie fort. „Und überhaupt: Warum sollte ich…“

      „Mit einem Wildfremden“, unterbrach er sie, „ja, verzeihen Sie, ich bin also der Roland.“

      Nun war es an ihr, ihn zu unterbrechen.

      „Der rasende?“ fragte sie und ließ ihr tief glucksendes Lachen erklingen.

      Das verfehlte nicht seine Wirkung. Es kostete ihn offenbar Mühe zu antworten. Sie spürte seine Aufregung, die er zu verbergen suchte, als er sagte: „Nein, das nun nicht gerade …“

      Aber bestimmt fehlte nicht viel, und er würde rasen.

      „Gut, Roland“, schob sie dem einen Riegel vor, „ich möchte mich nochmals in aller Form dafür entschuldigen, dass ich so in Ihr Gespräch geplatzt bin.“

      „In welches Gespräch?“, begann er zu stammeln. Ihre Vermutung, dass er Ulrike bereits vergessen haben könnte, schien sich zu bestätigen. Lea frohlockte.

      „Mit Ul-ri-ke“, sagte sie, wobei sie jede Silbe des Namens in die Länge zog.

      „Ach, das war nichts Wichtiges …“

      „Aber es hätte ja wichtig sein können“, gab sie zu bedenken, „vielleicht hätte ich ja einen Heiratsantrag unterbrechen oder mitten in eine entsetzliche Tragödie hineinplatzen können, aber Sie scheinen mir zum Glück nicht so sehr böse zu sein …“

      „Böse? Oh, liebe Lea, im Gegenteil, ich bin richtig froh über diesen Zwischenfall!“

      So ging es noch ein Weilchen hin und her. Lea war natürlich auch froh. Gespräche wie dieses brachten schließlich etwas Farbe in ihr Leben, das sich seit Tagen nur so dahin schleppte. Alles in diesem Zimmer kannte sie schon bis zum Überdruss. So nahm sie auch für den Mann an der anderen Leitung etwas Farbe auf den Pinsel, malte mit ein paar