Adrian Klahn

Die blinde Passagierin


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Kundschaft von Minute zu Minute vergaß.

      „Ein signierter Bogenschützenring. Rícura.“, bemerkte die schlanke Dame laut und abrupt, sodass Credo erschrocken ein Buch fallen ließ.

      „Was sagten Sie?“

      „In der Vitrine, ein Bogenschützenring? Ein Schätzchen.“

      „Ja das ist er. Aus weißer Jade, …so scheint es zumindest.“ „Wie darf ich das verstehen, Chinita?“ hörte die Frau neugierig auf.

      „Ich hatte kürzlich einen Experten hier, der Ring ist eine Fälschung und nicht mal ein Drittel von dem wert, was mein Vater dafür bezahlte.“

      „So…“, sie tat Credos Aussage mit einem Lächeln ab.

      „Solche zinnoberroten Hocker sind wirklich schau, Qing Dynastie?“

      „19.Jahrhundert.“

      „Sie scheinen einen Faible für chinesische Antiquitäten zu haben, Chinita“, sagte die Frau die vielleicht in den Fünfzigern oder Anfang Sechzigern war, wie Credo schätzte.

      „Mein Vater hat mir das Geschäft übergeben. Interessiert sie einer der Hocker? Dieser hier ist handgefertigt aus traditioneller Schnitzarbeit. Wie Sie sehen beugt sich eine schürzenförmige Schulter unter der Sitzfläche hervor, die einer Lotusbordüre gleicht. Das hier am oberen Teil sind Himmelsgeister.“

      Während sich die Dame mit der leicht gebräunten Haut und dem seltsamen Dialekt weiter umsah, bemerkte sie beiläufig, „Ihr Vater lässt Sie in diesen Umständen arbeiten, Chinita?“

      Alarmiert raunte Credo zurück: „Von welchen Umständen sprechen Sie bitte?“

      „Na von den besonderen.“ Flüsterte die Fremde, während sie das R auf eine angenehme Art zu rollen pflegte. Irritiert und ihre Unsicherheit überspielend gab Credo zurück.

      „Sie müssen sich täuschen, ich bin keineswegs in besonderen Umständen.“

      Und so als würde sie es fast zu sich selbst sagen, fügte sie gekränkt an, „Ihr Mädchen bin ich schon gar nicht…“ Schließlich war Credo alles andere als ein typisches Mädchen der 50er Jahre.

      „Ich nehme an, den Preis wollen Sie gar nicht erst wissen?“ „Sprechen Sie spanisch?“, drängte die Fremde auf eine Antwort.“

      „Ein wenig.“

      Als wäre dem Moment noch kein Gespräch vorangegangen bemerkte die Fremde, die eine Touristin zu sein schien, unter besonderer Betonung des S:

      „Interessant, unter all Ihren Kostbarkeiten scheint es nur eine Sache zu geben, die nicht aus China oder Deutschland stammt?“

      „Was wollen Sie damit sagen?“

      „Der Beistelltisch dort in der Ecke, haben Sie ihm schon mal Beachtung geschenkt?“

      „Nein, er stand schon hier als ich den Laden übernommen habe.“

      Die Dame zog den mit Ruß beschmierten Tisch etwas hervor und fragte: „Darf ich?“

      Zwar gefiel Credo ihre Art nicht, die Dinge einfach in die Hand zu nehmen, dennoch hatte sie das Gefühl, die Frau interessiere sich nicht allein für Antiquitäten und nun trieb sie die Neugier zu erfahren, ob sie etwas anderes im Schilde führte.

      “Sie sind ja schon dabei.“

      Eine Weile strich sie an den schmutzigen Seitenverstrebungen auf dem Holz entlang und fuhr wiederholt mit dem Daumen über die Kanten, bis Credo mit einem Tuch herbeieilte und einige Aschestellen abwischte.

      „Das ist wirklich ein einzigartiges Holz. Kennen Sie den Ursprungsort?“

      „Ich glaube es stammt aus Mittelamerika,“ entgegnete sie als sich ihr trübes Gesicht zu einer noch ernsteren Miene verzog. „Mein Vater hat da gelebt.“

      Die alte Dame blickte in die verlassenen Augen der Antiquitätenhändlerin und wollte wissen, was ihr Papa so weit entfernt von Deutschland zu tun gehabt habe.

      „Ich weiß zwar nicht warum ich Ihnen das erzähle… er war Unterwasser-Holzfäller.“

      „Bitte?“, räusperte sich die Dame.

      „Es ist gut möglich, dass der Beistelltisch aus dem seltenen Eisenholz der Bäume ist, die dort unten wachsen. Um ehrlich zu sein habe ich noch nie wirklich darüber nachgedacht.“

      „Wenn ich darf würde ich gern die Unterseite ansehen, ob er eine Gravur hat oder ein Siegel, verstehen Sie?!“

      „Tun Sie sich keinen Zwang an“, gab Credo von der Neugierde der Frau angesteckt zurück und half ihr den Tisch umzudrehen. „Ich kann nichts erkennen“, sagte die Dame mit zusammengekniffenen Augenbrauen, „das heißt aber nicht, dass er nicht wertvoll ist.“

      Zu ihrer Profession zurückkehrend bemerkte Credo, „den Wert des Tisches kann ich nur grob schätzen aber der Rohstoff unterscheidet sich deutlich von anderen Hölzern.“

      „Oh, ganz sicher. Holz ist das neue Gold, Chinita“, entfuhr es der Dame in einem Singsang ihrem Mund. Credo entgegnete mit einem fragenden Blick, während die Ausländerin wiederholte.

      „Ja, ja. Holz ist das neue Gold!“

      „Sie scheinen sich gut auszukennen mit Antiquitäten. Bereits als sie reinkamen haben Sie die wertvollsten Gegenstände im Raum bemerkt. Was genau suchen Sie eigentlich?“ Sprachlosigkeit heuchelnd stammelte sie, „…also um ehrlich zu sein wollte ich mich nur mal umsehen und schauen, was uns trotz des erschütternden Krieges für Kostbarkeiten geblieben sind.

      Ich hecke nichts aus, kleiner Backfisch. Da zerbrech´ Dir mal nicht Dein hübsches Köpfchen. Versuchen Sie immer das Gute in einer Sache zu sehen.“

      „Hübsch, ich? Wissen Sie was ich wirklich nicht leiden kann, …wenn man sich über mich lustig macht! Außerdem waren Sie während des Krieges doch gar nicht hier. Wie lange sind Sie denn schon in Deutschland?“

      Als Credo ihr diese Worte entgegenwarf, trat sie einen Schritt aus der Ecke heraus, es knarrte und plötzlich hob sich unter einem Staubwirbel, eine der Holzdielen.

      „Verstehen Sie mich nicht falsch, ich will...“ Entgegnete die Frau während Credo sich bückte und die gelöste Diele fokussierte. Sie zog die Holzleiste ein Stück hinauf und wollte sie wieder angleichen. Da bemerkte sie, dass sich zwischen den darunterliegenden Balken und dem Kies noch etwas Ungewöhnliches befand.

      „Was ist das denn? Sieht aus als wäre da eine Spieluhr vergraben.“ Kommentierte die Fremde, als würden Credos Augen nicht das Gleiche sehen.

      Geschwind steckte Credo die Hand in das Loch, griff nach dem Gegenstand und zog ihn heraus. Als sie den Staub von der Dose pustete, huschte eine pelzige untertassengroße Spinne über ihren Handrücken, die sie unbeeindruckt wegschlug. Beherzt wischte sie einige Male mit ihrem Ärmel über die Schachtel. Zum Vorschein kam eine Elfenbeindose.

      „Schauen Sie, die Ornamente, so was hab´ ich noch nie gesehen“, stellte Credo aufgeregt fest und drehte sich um. Doch die Fremde mit dem großen Hut war verschwunden.

      „Wer sich dieser Zeilen annimmt, sollte sich im Klaren sein, dass große Verantwortung auf ihm lastet und er sich sehr wahrscheinlich in Gefahr begibt, sollte er die Zeilen bis zum Schluss lesen. Sollte er also nicht der Empfänger dieser Nachricht sein, verbrenne er umgehend dies Papier. Glauben Sie mir, es ist besser für Sie, Ihr Leib und Ihr Leben.

       Solltest Du mein liebes Kind allerdings, diesen für Dich bestimmten Brief gefunden haben, so bin ich einerseits froh, dass er der Richtigen in die Hände fällt, andererseits versetzt es mich in tiefe Trauer, da dies bedeutet, dass ich nicht mehr unter Euch weile und ich meinen kleinen Milchrahm allein auf weiter Flur zurücklassen musste. Ich bin untröstlich, dennoch wohlwissend diese Strafe verdient zu haben, wenn ich Dich nun mit diesem Schriftstück einer ebenso großen Gefahr aussetze, wie jener der ich zum Opfer gefallen bin. Allerdings ertrage ich die Vorstellung nicht, dass meine