Ben Worthmann

Tödlicher Besuch


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ein Anflug von Angst.

      Er sah ihr nach, als sie sich umwandte und in Richtung Diele ging, wo sich die Gästetoilette befand. Wieder, wie schon zuvor, als sie das Lokal verlassen hatten, fiel ihm ihr Gang auf, der an den einer Tänzerin erinnerte. Er hatte sich ihr mit vollem Namen vorgestellt, eher aus Gewohnheit als in der Erwartung, dass sie damit irgendetwas anfangen konnte. Sie hatte ihm nur ihren Vornamen genannt, Laura, und er fand, dass der gut zu ihr passte.

      Sie war ziemlich hochgewachsen und sehr schlank, eine Frau, bei deren Anblick einem sofort das Adjektiv elegant einfiel, auch wenn ihre Kleidung nicht übertrieben wirkte, sondern eher dem aktuellen modischen Mainstream entsprach. Zu dem dunkelgrauen Wollkleid, das nur wenig länger als ein Pullover war, trug sie schwarze Leggins, die ihre Beine betonten, und wadenhohe Stiefel, deren Absätze bei jedem Schritt auf dem Parkettboden ein klackendes Geräusch verursachten. Ihr Mantel aus hellgrauem Kunstfell lag noch immer über einem der Sessel.

      Als er gerade zum Telefon greifen wollte, um das Taxi zu rufen, schrillte die Türglocke und ließ ihn zusammenzucken. Welchen Grund konnte es für unangemeldeten Besuch um diese Uhrzeit geben? Anna war mit der Kleinen für ein paar Tage zu ihrer kranken Mutter gefahren und wollte dort über das Wochenende bleiben. Sie telefonierten täglich, und dass sie mitten in der Nacht plötzlich vor der Tür stehen könnte, war praktisch ausgeschlossen. Zwar war es in letzter Zeit nicht immer so gut zwischen ihnen gelaufen, aber er hatte ihr nie irgendeinen Anlass für Misstrauen geliefert, allenfalls für ebenso besorgte wie liebevolle Mahnungen, er solle mehr auf sich achten. Immer war sie so besorgt um ihn, war es von Anfang an gewesen. Plötzlich spürte er heftige Gewissensbisse bei dem Gedanken an sie und an den Leichtsinn, zu dem er sich an diesem Abend hatte hinreißen lassen, auch wenn zum Glück nichts wirklich Verwerfliches passiert war.

      Er überlegte kurz und ergebnislos, wer sonst um diese Zeit einen triftigen Grund für einen nächtlichen Besuch haben könnte. Und dabei spürte er, wie ein ungutes Gefühl in ihm aufstieg. Enge Bekannte oder Freunde hatten sie auch noch nicht gefunden, seit sie erst vor einigen Monaten hierher gezogen waren, sodass auch diese Möglichkeit ausschied.

      Mit einem widerwilligen Seufzer stemmte er sich aus dem Sessel hoch. Er war noch nicht ganz an der Haustür, als es erneut klingelte. Vorsichtig öffnete er, nahm noch den Schwall kalt-feuchter Novemberluft wahr - und konnte im nächsten Moment nur noch einen letzten halbwegs klaren Gedanken fassen, nämlich den, dass er soeben einen weiteren Fehler gemacht hatte, und zwar einen noch weit schwereren als den ersten.

      Hände packten ihn und rissen ihn nach draußen. Ihm blieb keine Chance, die Fäuste hochzunehmen und in Abwehrstellung zu gehen, weil ihn sofort Arme von hinten umklammerten. Ein Hieb auf den Solarplexus raubte ihm die Luft, ein weiterer an die Schläfe ließ ihm die Beine wegsacken. In seinem Kopf war ein dumpfes Dröhnen, das sich in bewusstloser Dunkelheit verlor, als sein Schädel hart auf den Steinplatten des Wegs von der Haustür zum Grundstückstor aufschlug.

      2.

      Er versuchte den Mund zu öffnen, um zu schreien, aber sein Mund schmerzte zu sehr und schmeckte nach Blut und kaltem Schmutz. Er hatte schon im sprichwörtlichen Staub gelegen und kannte den bitteren Geschmack der Niederlage, aber das war lange her und dies hier war etwas völlig anderes. Das dämmerte ihm, als er den Kopf heben wollte, der sogleich wieder kraftlos auf den harten Boden sank. Er versuchte seinen Körper zu bewegen und begann damit, sich aus der halb seitlichen Lage auf den Rücken zu drehen, um den unter seinem Brustkorb eingeklemmten rechten Arm frei zu bekommen. Aber das kostete ihn enorme Mühe und verursachte weitere Schmerzen, stechend und bohrend von der Brust über die Bauchgegend bis zu den Hüften und Oberschenkeln.

      Über sich sah er den schwarzen Himmel. Es war still, bis auf sein eigenes Stöhnen und Keuchen, das ihm wie aus fremder Ferne ins Ohr drang. Und es war kalt, viel zu kalt, um nur in Hemd und Hose dazuliegen. Mit einer großen Kraftanstrengung schaffte er es, sich aufzusetzen. Er starrte auf die Leuchte über der Haustür, die ein gelbliches Licht warf. Es waren nur ein paar Schritte bis dorthin, aber um sie zu gehen, müsste er erst einmal aufstehen. Und allein das erschien ihm im Moment wie eine Herausforderung weit jenseits seiner Möglichkeiten.

      Er ließ sich wieder zurücksinken auf den harten, kalten Boden und zwang sich dazu, einige Male tief und ruhig durchzuatmen. Es hatte Zeiten gegeben, da er leichter mit Schmerzen umzugehen verstand, weil es dazugehörte, sie ignorieren zu können. Er versuchte sich daran zu erinnern, versuchte die alten Techniken zurück in sein Gehirn und seine Nerven und Muskeln zu rufen.

      Mit einem Ruck richtete er sich erneut auf, schaffte es, in die Hocke zu gelangen und kroch auf Händen und Knien zur Haustür – um dort die niederschmetternde Entdeckung zu machen, dass sie geschlossen war. Er brauchte nicht erst in den Hosentaschen nach seinem Schlüssel zu kramen, da er wusste, dass die Taschen leer waren, tat es aber trotzdem und konnte anschließend nur noch in blinder Verzweiflung mit der Faust gegen das Holz hämmern.

      Einen Moment lang, der sich zur Ewigkeit zu dehnen schien, blieb er vor der Tür hocken, die ihm den Zugang zu seinem eigenen Haus versperrte. Dann versuchte er, sich aufzurichten. Seine Finger fanden wenig Halt in den Fugen zwischen den diagonal angebrachten Holzelementen, aber als sie den dicken, runden Türknauf gefunden hatten, ging es besser. Er zog sich hoch und verharrte, den dröhnenden Schädel gegen die Tür gelehnt. Er musste nachdenken, was verdammt schwierig war.

      Vielleicht hatte er ja vergessen, die große gläserne Flügeltür vom Wohnzimmer zur Terrasse hin an der Rückseite des Hauses abzuschließen, auch wenn das ziemlich unwahrscheinlich war. Aber um das zu überprüfen, war es in jedem Fall notwendig, um das Haus herum zu gehen. Nach drei Schritten musste er innehalten, weil ihm schwindelig wurde. Er ließ sich gegen die Hauswand fallen und dachte kurz daran, sich einfach hinzulegen auf den kalten, feuchten Rasen und dann abzuwarten, egal, was mit ihm geschehen würde.

      Aufgeben musste schließlich nicht immer die schlechteste Option sein, auch das hatte er schon erfahren. Und mit den Grenzbereichen zur großen dunklen Nacht, wo das Leben nur noch langsam und kaum merklich floss, hatte er auch schon Bekanntschaft gemacht. Vielleicht war es von dort ja gar kein allzu weiter Schritt mehr zur gnädigen Ruhe.

      Aber, zum Teufel, nein, so leicht wollte er es dem letzten großen Gegner dann doch nicht machen. Zumindest noch nicht jetzt. Ein paar Schritte nur würden bereits genügen, und er wäre an dieser blöden Terrassentür und hätte damit zumindest die theoretische Möglichkeit, zurück in sein Haus zu gelangen, endlich ins Warme, zu telefonieren und Hilfe zu holen. Er brauchte ganz dringend einen Arzt, so viel war ihm klar. Also weiter, auch wenn es wehtat und seine Beine sich wie Pudding anfühlten.

      Aus dem Wohnzimmer, wo nur die Stehlampe neben dem Sofa brannte, floss eine breite Bahn von Licht auf die Terrasse und ein Stück des angrenzenden Rasens, der von schmalen Rosenbeeten gesäumt war. Er packte die Türklinke und rüttelte daran, aber natürlich war sie abgeschlossen. Er unterdrückte den Impuls, mit den Fäusten gegen das Glas zu hämmern und überlegte stattdessen, was ihm anderes zu tun blieb. Die Tür gewaltsam öffnen, mit einem Spaten oder Stemmeisen? Das wäre sicherlich den Versuch wert gewesen. Aber die Gartengeräte befanden sich in der Garage, die gleichfalls abgeschlossen war. Noch während ihm die bittere Erkenntnis dämmerte, dass er im Grunde gar nichts tun konnte, außer wegzugehen, um anderswo Hilfe zu suchen, wurde sein Blick von dem angezogen, was durch die Türscheiben im Wohnzimmer zu sehen war.

      Neben dem flachen Tisch lag auf dem Boden die Frau, von der er nicht viel mehr wusste, als dass sie Laura hieß.

      Sie lag halb seitlich, das Gesicht mit den geschlossenen Augen ihm zugewandt, und so wie sie dalag, schien es ihm kaum vorstellbar, dass es andere Gründe dafür gab, als den, dass sie nicht mehr lebte. Woher er diese Gewissheit nahm, hätte er selbst nicht sagen können. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass er sich schon vor langer Zeit angewöhnt hatte, stets mit dem Schlimmsten zu rechnen. Und angesichts der fatalen Lage, in der er sich befand, blieb ihm ohnehin nicht viel anderes übrig, als auf alles gefasst zu sein. Zu seinem eigenen Erstaunen stellte er fest, dass er den Anblick der fremden toten Frau in seinem Wohnzimmer ertrug, ohne dass ihm erneut die Knie einknickten. Das geschah erst, nachdem er sich bis ans Grundstückstor geschleppt hatte. Mit keuchendem