Marc Dorpema

Jenseits der Augenlider


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ebenfalls im Eisenturm, da dort in diesem Augenblick über die Zukunft Santúrs beraten wird.“

      „Torabur. Wie kommt es, dass mir diese Ehre zu Teil wird?“ Ehrfurcht schwang in seiner Stimme mit und kaschierte eine leichte Trauer.

      „Das geht aus dieser Nachricht nicht hervor.“ erklärte der Elf knapp. „Und nun verabschiede dich.“

      „Ich werde meine Freunde von meinem Schicksal in Kenntnis setzen.“ Trauer schwang nun deutlich hörbar in Dantes Stimme mit. Er bevorzugte es, zur Ehrengarde des Königs zu gehören, als mit den Zwergen zu tun zu haben. Andererseits befand sich Eldanas ebenfalls in der Festung. Womöglich würde sein Traum sich dennoch erfüllen.

      Dante wandte sich ab, als Solúnis ihn noch einmal zu sich heranzog und ihn freundschaftlich umarmte. Der junge Krieger war vollkommen überrascht, doch spürte, dass er seinen Lehrer gewähren lassen sollte.

      Anschließend verschwand der Elf ohne sich ein weiteres Mal umzudrehen. Er hob lediglich seine Hand zum Gruß, bevor er zwischen den niedrigen Türmchen verschwand, deren Mauern durch die Abendsonne in ein sanftes Kirschrot getaucht wurden. Dante erwog flüchtig, Solúnis zu folgen, entschied sich jedoch dafür, sich von seinen Kameraden zu verabschieden. Das faszinierende Meer aus Rot- und Orangetönen am Horizont wehmütig beobachtend, schlenderte er zum Gemeinschaftsraum der Schule zurück. Endlich hatte er es geschafft. Endlich würde sein Leben sich wenden.

      „Meine Freunde, dies ist ein Abschied. Torabur, der König der Zwerge, erwartet mich in der Festung Eisenturm. Auch Eldanas wird dort sein.“ eröffnete Dante getragen und berührt.

      Verwundert starrte ihn die bunte Gruppe Schüler an.

      „Weshalb.“ warf einer der Lehrlinge verdutzt im allgemeinen Interesse in die Stille.

      „Ich weiß es nicht. Entweder will Solúnis es mir nicht sagen, oder er selber weiß es auch nicht. Jedenfalls werden zwei Krieger mich als Garde begleiten, weswegen ich vermute, dass es sich um etwas Gewichtiges handelt.“

      Die Blicke der anderen Schüler senkten sich gen Boden, verwandelten sich in den betrübter Glaskugeln, als er jeden einzelnen seiner Freunde kräftig und lange umarmte und sich verabschiedete. Er hatte seine wenigen Sachen bereits zusammengepackt und die beiden grimmig dreinblickenden Krieger warteten vor der beinahe niedlichen Burg, welche ihm eine gute Heimat gewesen war, seit seine Mutter eines düsteren Abends vor einigen Wintern abgeschlachtet worden war. Sein Vater hatte damals dafür gesorgt, ihn hier unterzubringen, während dieser über den Tod räsonierte und die Einsamkeit sich zu seinem besten, seinem einzigen, Gefährten entwickelt hatte.

      Diese Ereignisse spielten jedoch in ferner Vorzeit und Dante dachte, er hatte sie bereits beinahe vergessen, hatte sie akzeptiert. Die Frauen und Männer in der kleinen Burg inmitten der Stadt waren seine neue Familie geworden. Nun war die Zeit gekommen, sie zu verlassen.

      Mit einer verlorenen Träne im Augenwinkel machte Dante sich auf den Weg nach draußen. Die beiden schwer bewaffneten, kräftigen Wachen stiegen auf ihre gigantischen Schimmel, während Dante den weiß-braunen Hengst sattelte, den sie die Soldaten eigens für ihn mitgebracht hatten. Solúnis erschien in der Tür seines bequemlichen Hauses, welches direkt an das seiner Lehrlinge grenzte.

      „Viel Glück, Dante. Ich hoffe wir sehen uns wieder.“ Der Elf hatte die größte Gabe seines Volkes wieder unter Kontrolle. Es war unmöglich, Emotionen von seinem starren Antlitz abzulesen. Auf eine merkwürdige Art beruhigte diese Tatsache Dante. Nun ließ er alles zumindest in bester Ordnung hinter sich. Die Kehle des Jünglings schnürte sich zu und er brachte lediglich einen erstickten Dank heraus.

      Er drehte sich ein letztes Mal um, damit er jedem seiner Freunde, welche nun gemeinsam aus der Pforte zum Eingang ihres Wohnhauses strömten, noch einmal zuwinken konnte und verschwand hinter einer Staubwolke der dumpfen Hufe von Eldanas‘ Pferden.

      Die kühle Nachmittagsluft umspielte ihre Silhouetten, als sie durch einen Ozean aus dichtem Gestrüpp schwammen. Der Wald war unglaublich dicht. Diverse, tierische Geräusche erfüllten den Himmel und drangen aus dem erdrückenden, grünen Vorhang. Obgleich einige von ihnen nicht klangen, als gehörten sie zu besonders freundlichen Wesen, fühlte Dante sich geborgen und glücklich. Es würde mit Sicherheit eine schöne Reise zur Festung Eisenturm werden, trotz der Tatsache dass keiner seiner beiden Begleiter gesprächig war und sie ihn bisweilen lediglich fragten, ob er eine Pause bräuchte.

      Die Langschwerter an der rechten Flanke in einer Scheide baumelnd und mit unzähligen, verborgenen Dolchen ausgerüstet, waren sie bis an die Zähne bewaffnet. Kalte, blaue Augen zuckten misstrauisch in jede Himmelsrichtung.

      Doch der Wald war ihnen wohl gesonnen, als sie stets tiefer in seinen Kern vordrangen.

      Urplötzlich stieß der Reiter vor Dante – sie hatten den Grund ihrer Reise beschützend in ihre Mitte genommen – ein unterdrücktes, misstrauisch-brummendes Geräusch aus, bevor er seine Hand hob, um seinen Gefährten zu signalisieren, dass sie umgehend stehen bleiben sollten.

      Der Krieger stieg ab und sein Langschwert glitt beinahe geräuschlos aus der Scheide, um von zwei kräftigen Fäusten umklammert zu werden. Nun bemerkte auch Dante, dass etwas nicht stimmte. Die Gebüsche um ihn herum raschelten und wurden lebendig, während der Krieger, welcher hinter Dante ritt, von seinem Pferd stieg und anschließend auch Dante von seinem zerrte. Der Krieger legte seinen Zeigefinger auf die Lippen und führte ihre Tiere dicht aneinander. Die drei mächtigen Rösser thronten nun über dem zusammengekauerten Schwertkampfschüler und bildeten einen Schild. Seine beiden Begleiter umkreisten die Pferde, auf eine plötzliche Bewegung lauernd. Die rasselnden Geräusche aus dem Wald verdichteten sich und Dante stellte fest, dass sie eingekesselt waren.

      Das hier durfte nicht das Ende des Weges sein. Ein vorbeizischender Pfeil zerschmetterte seine Gedanken harsch. Er kam von beinahe schräg über ihm, doch keines der Pferde schien verletzt. Sie scharrten lediglich unruhig mit den Hufen. Dann erkannte Dante eine Figur, die auf einem Ast über ihm kauerte. Es war durchaus möglich, dass dieser Räuber den Pfeil abgeschossen hatte, denn seine Position erlaubte es ihm, knapp unter dem Bauch des Pferdes vorbei in seine Richtung zu feuern, während das Geschoss eine steile Flugbahn beibehielt.

      Es handelte sich folglich um Räuber.

      Seine beiden Bewacher spurteten auf den diesigen, grünen Vorhang zu. Während einer von ihnen auf den Angreifer zu eilte, den auch Dante erblickt hatte, verschwand sein Mitstreiter in die entgegengesetzte Richtung. Einige Augenblicke lang überlegte der junge Krieger, was für Möglichkeiten sich ihm boten. Er konnte entweder in relativer Sicherheit warten und die beiden erfahrenen Krieger im Stich lassen, oder ihnen zur Hilfe eilen, sich selber in eine prekäre Situation stürzend. Oder er konnte fliehen. Unzählige Fragen schwirrten in Dantes Kopf herum und machten ihn schwindelig. Doch letztendlich entschied er sich für die gefährlichste Möglichkeit.

      Er würde aus seinem Versteck heraustreten und kämpfen. Schließlich sollte er in König Eldanas‘ Ehrengarde dienen, wo er sich ohnehin unter Beweis stellen musste.

      Dante kroch unter den erstaunlich disziplinierten Pferden hervor und stand auf. Unverzüglich begrüßte ihn ein Hagel aus etwa zehn Pfeilen, die ihn allesamt knapp verfehlten. Er zog sein Schwert und rannte in das Labyrinth des Waldes.

      Bald entdeckte der Menschenkrieger eine Spur aus Blut und einer Unzahl erstochener Räuber. Einer seiner beiden Beschützer hatte bereits ein wahres Gemetzel angerichtet. Sie mussten ungeheuer bedeutsame Krieger sein. Offiziere der Ehrengarde, vermutete Dante ehrfürchtig.

      Wenige Schritte später fand er ihn. Er war einen Kopf größer als die restlichen Menschen und beinahe zwei Köpfe größer als Dante. Unzählige Pfeile hatten sich in seine mächtigen Oberarme gegraben, doch er schien sie nicht zu spüren, während er sein mächtiges Breitschwert um sich kreisen ließ und die letzten, verlorenen Diebe erschlug.

      Dante stand wie angewurzelt vor ihm. Nachdem die gesamte Truppe ihr Leben gelassen hatte, begann der Hüne damit, die Pfeile aus seinen Armen und Oberschenkeln zu ziehen. Seine Mundwinkel verzogen sich nicht einmal um Haaresbreite, obwohl das Blut aus den verschiedenen Wunden schoss. Dante eilte