Marcus Lüthke

Besser im Jenseits als im Abseits


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Frauen über 40. Leichteres Spiel könnte ich nicht haben.

      Betont lässig lasse ich meinen Blick umherschweifen, muss plötzlich an meinen Abtanzball denken, schüttle mich kurz vor Ekel und entdecke eine einsame Braut an der Bar. Bar ist sowieso gut. Mit Pokerface und Händen in den Taschen durchquere ich den Saal und setze mich auf den Hocker neben ihr. Sie wackelt mit dem Fuß zu Chris de Burgh. Nichts auf dieser Welt ist umsonst.

      Ich bestelle für sie hörbar einen Bourbon auf Eis, weil es das coolste Getränk der Welt ist.

      „Wat?“, fragt der Mann hinter dem Tresen, und er sieht so alt aus, dass ich mich frage, ob er meine Order inhaltlich oder akustisch nicht verstanden hat.

      „Whisky. Bourbon“, wiederhole ich.

      „Wir ham Cola, Fanta, Apfelsaft, Wasser, Wein und Bier.“

      „Okay, dann ein Bier“, sage ich und schaue betörend lächelnd zu meiner Nachbarin herüber.

      „Für Sie auch noch etwas?“

      Sollte irgendetwas an meinem Körper größer als üblich gewesen sein, so lässt ihr Blick alles wieder auf die Norm schrumpfen.

      „Wir duzen uns hier“, erklärt sie mit gerümpfter Nase, nimmt ihr Glas und schafft es, zu Nenas „Leuchtturm“ zu tanzen. Oder was sie dafür hält.

      Um es kurz zu machen: Gegen Mitternacht bin ich dermaßen sternhagelvoll, und bis halb eins habe ich sämtliche 13 mögliche Opfer meines Triebes gefragt, ob sie etwas dagegen hätten, wenn ich mich auf ihnen austobte. Würde auch nur drei Minuten dauern.

      Dann tippt mir ein Typ auf die Schulter: „Sag mal, ist jetzt eher unwahrscheinlich, aber es gibt ja solche Zufälle ... Lindener Lüstling?“

      Der Alkohol und die Resignation entrauben mich der Möglichkeit, zu verneinen. Ich schaue ihm in die Augen und nicke.

      „Angenehm, Netter Peter aus H!“

      Als er ausholt, strahlt er über das ganze Gesicht.

      Im Krankenwagen wache ich auf. Und muss lächeln.

      Ich weiß ganz genau, dass die Schwester eine Schwedin sein wird. Ganz genau weiß ich das.

      Die Frau im Manne

      Männer hören nicht gerne, sie seien süß. Männer wollen nicht niedlich sein. Für Jungs in der dritten Klasse mögen solche Hündchen-Pony-Puppe-Bravo-Superstar-Attribute in Ordnung gehen. Aber spätestens nach dem ersten Sex wollen sie bitte schön als attraktiv, markant oder eben männlich bezeichnet werden; und auch nicht mehr als Jungs.

      Die Hätscheladjektive lassen mich mittlerweile kalt. Gewohnheitssache. Gestern aber wurde eine Grenze überschritten. Ich saß mit Melanie in einem Café. Frustriert und wütend berichtete sie mir gestenreich von ihrem Friseurbesuch und behauptete, ihr Leben sei zerstört. „Guck doch mal! Total schief!“ Sie drehte ihren Kopf hin und her und hielt mir ein paar Strähnen unter die Nase.

      „An deiner Stelle würde ich den verklagen“, war mein ehrlicher Kommentar. Die Haare sahen wirklich scheiße aus. „Körperverletzung oder so.“

      Melanie wurde ganz hibbelig. „Ja? Meinst du, das geht?“

      Ich nickte weltmännisch. „Sicher geht das. So kannste ja nicht auf die Straße.“

      Und dann ging sie zu weit.

      „Hach, Max. Find ich toll, dass ich dir sowas erzählen kann. Ich kenne wirklich keinen Mann mit einer so ausgeprägten weiblichen Seite wie dich.“

      Sie konnte natürlich nicht wissen, dass ich diese Einschätzung nicht zum ersten Mal hörte. Es war das eine Mal zu viel.

      Das durfte ich so nicht stehen lassen. Mir fielen die Chuck Norris-Witze ein. Für mich hätte das in dieser Situation bedeutet: Max trinkt keinen Kaffee – er kaut die Bohnen. Doch die Bohnen waren schon verarbeitet, der Kellner mit Schürze hatte mir soeben einen brühfrischen Cappuccino hingestellt. Ich schnappte mir die dampfende Tasse, setzte an, ignorierte das Kribbeln an der Unterlippe und exte das Heißgetränk in einem Zug. Männer kennen keinen Schmerz. Wer hatte diese Lüge in die Welt gesetzt? Melanie starrte mich aus großen Augen an. „Ist das nicht heiß?“ Gegen meinen Willen schossen mir die Tränen in die Augen. Trotzdem zuckte ich nur mit den Schultern und rang mir sogar ein Lächeln ab. „Geht schon“, flüsterte ich mit pochender Zunge, entschuldigte mich und ließ auf dem WC zwei Liter kaltes Wasser meine verbrühte Kehle runterlaufen. Natürlich direkt aus dem Hahn. Wie Männer es tun.

      Nachts lag ich lange wach. Und nicht nur, weil meine komplette Mundhöhle dumpf pochte. Der weiblichste Mann, den Melanie kannte. Ach du Scheiße. Sie kannte schätzungsweise 1.000 Kerle. Mein Entschluss stand fest. Morgen würde mein ganz persönlicher Tag des Mannes werden. Ich sah mich schon in Lederweste auf einem Trike durch den Park donnern. Mad Man Max.

      Sofort nach dem dritten Wachwerden torkelte ich am Samstagmorgen zum Kühlschrank. Ursprünglich hatte ich vorgehabt, mit den Eiern einen Kuchen zu backen, um ihn abends beim Kartenspielen zu kredenzen. Aber ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss. Das Hantieren mit Rührteig gehört ganz bestimmt nicht dazu. Schlaftrunken schlug ich zwei der Schalenfrüchte, bei denen ich mich immer frage, ob sie noch als Gemüse durchgehen, an einem Glas auf, mixte den Glibber mit einer Gabel und stürzte die Masse runter, wie ich tags zuvor den Cappu gestürzt hatte. Glas an den Mund, Augen zu, Kopf nach hinten, schlucken – Augen aufreißen, Oberkörper nach vorne, Kopf übers Waschbecken, Mund weit auf, wieder raus mit dem Gubbel. All das vollbrachte ich in einer einzigen flüssigen Bewegung. Es war ein extrem maskulines Kotzen, wie ich fand, und war trotz der Tatsache, dass ich danach mit Domestos penibel die Spritzer von der Kaffeemaschine entfernte, recht zufrieden mit dem Beginn meines Tageswerks.

      Nach einem weiteren Schock – verwegen hatte ich beim Duschen nur den Kaltwasserhahn aufgedreht – war ich endlich wach genug, um meine Mannwerdung voran zu treiben. Als nächstes galt es, den Volksmund zu füttern. Haus bauen, Baum pflanzen, Kind zeugen.

      Eine Stunde brauchte ich. Ein Klacks. Ein astreines Spitzdachhäuschen stand da auf meinem Küchentisch. Gebaut aus einem kompletten Skatspiel. Das war mir ein Händereiben wert. Sehr schön.

      Der Baum. Haus ist Haus, und Pflanze ist Pflanze, dachte ich mir. Ich verfüge über einen großen Vorrat an Erbsen. Die kleinen Kugeln dienen mir als Munition für mein selbstgebasteltes Pusterohr. Im Grunde ist es nur ein Filzstift, dessen Spitze ich abgeschnitten habe. Erfüllt aber seinen Zweck, wenn ich vom Balkon damit in Richtung der Elstern schieße, die auf dem Baum gegenüber täglich neue Lautstärkerekorde aufstellen.

      Eine der Erbsen steckte ich in die Erde meines größten Kaktus. „So, dann wachs mal schön!“, gab ich ihr mit auf dem Weg, fühlte danach zwar keine weiteren Haare am Sack sprießen, machte aber das nächste Häkchen.

      Ein Kind zeugen. Hm. Nach kurzer Überlegung beschloss ich, dass damit niemandem geholfen wäre. Weder mir, noch irgendeiner ihr, und schon gar nicht dem Kind.

      Außerdem konnte ich nicht behaupten, nach dem Eiergewürge in Topform zu sein. Mein Magen zog sich noch unangenehm zusammen, hin und wieder musste ich blubbernd aufstoßen. Gerne hätte ich mich jetzt mit einer Tasse Schwarztee wieder ins kuschelige Bett gelegt, aber ein paar feuchte Rülpser und etwas Übelkeit hauten einen Mann nicht um. Apropos umhauen. Eine deftige Keilerei durfte in meinem Programm auf gar keinen Fall fehlen. Nun verhält es sich aber so, dass ich eine gewaltfreie Erziehung genoss und auch sonst über gute Manieren verfüge. Es kam also nicht in Frage, auf der Straße dem Nächstbesten eine reinzuhauen. So etwas gehörte sich nicht. Wobei ich gestehen muss, dass mir ein hinterhältiger Schlag im Vorbeigehen mit anschließender Flucht am liebsten gewesen wäre.

      In den Gelben Seiten wurde ich fündig. Krachend schwang ich mich auf das Damenrad, das mir meine Mutti geschenkt hatte, und radelte extrem breitbeinig in mein Manntyrium. Noch lächelte ich. Wenn ich gewusst hätte, was für Schmerzen auch nur der Anflug eines