Peter Klapprot

Yeshu und seine Geschichte


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ungetrübter Spiegel lag seine Oberfläche dar und kehrte den reinen Himmel wieder. Wolkenlos trübte sein Blau in der Höhe über dem Horizont sich ein und ließ die Berge unwirklich erscheinen. Er hatte gebadet, in der Sonne gelegen, geschlafen, jetzt trieb er ziellos dahin. Die Stimme in ihm schwieg. Nein, sie säuselte so leise, dass er lächelte. Sie war da, sie war da, sie war da.

      Er konnte das Wasser riechen und fühlte es bei jedem Schritt. Er sah das gelbe Korn. Bald würden die Ähren reif sein. Von Ferne scholl die Trompete. Ein Fisch sprang. Der Schabbat war zuende. Er blieb stehen und horchte auf das Pochen seines Herzens. Mit geschlossenen Augen zog er sein Zwerchfell hinunter und atmete fünf Schläge lang ein. Ohne eine Pause zu machen, ließ er den Atem fünf Schläge lang entweichen. Jeder Atemzug war eine Welle. Sein Bauch wurde weich und warm, sein Herz weit.

      Er öffnete die Augen. Die Sonne war gesunken und die Luft färbte sich türkis und er war nicht allein. Einen Bogenschuss entfernt warf jemand Steine ins Wasser. Als er näher kam, sah er, dass die Frau ein junges Schaf an einem Busch festgebunden hatte.

      „Warum wirfst du Steine ins Wasser? Der See ist schon voll.“

      Überrascht drehte sie ihren Lockenkopf und lachte, als sie ihn erkannte.

      „Der See ist voll? Was soll das heißen?“

      „Na voll mit Wasser bis zum Rand. Du wirst ihn noch zum Überlaufen bringen.“

      Sie warf einen Stein direkt vor seine Füße und lief davon.

      „He, du hast dein Lamm vergessen.“

      Yeshu ging und machte es los.

      „Hier, nimm du es wieder“, sagte er, als er sie eingeholt hatte.

      „Warum bist du hier alleine in der Abendstunde unterwegs?, du störrische Eselin.“

      Sie knurrte ihn an:

      „Mein Vater hat mich geschlagen, weil ich das Lamm gerettet habe.“

      „Hast du ihn zurück geschlagen oder hast du still gehalten, damit er dich ein zweites Mal schlagen konnte?“

      „Du kennst mich ja“ lachte sie, „ich bin weggelaufen.“

      Yeshu schwieg und ließ seinen Blick über die Wasser schweifen.

      „Es ist noch mehr!“, sagte sie kleinlaut und blickte zu Boden, „er will mich verheiraten.“

      „Und wirst du wieder weglaufen?“

      Wütend sah sie ihn an. Sie gingen eine Weile ohne zu reden. Unbeholfen stakste das Lamm neben ihnen und blökte manchmal leise, als suchte es seine Mutter. Dann erschrak es, weil die Frau mit dem Fuß aufgestampft hatte.

      „Was würdest du tun an meiner Stelle?“

      „Der Wille des Vaters, der Wille der Tochter... der Wind weht, wo er will.“

      „Eine echte Hilfe bist du ja nicht!“

      „Ich würde der Stimme meines Herzens folgen.“

      „Aber er ist mein Vater, er ist... mein Herr. Er ist... ein Priester.“

      „Wer ist dein Vater, deine Mutter? wer sind deine Brüder, deine Schwestern? Die, die mit dir deine Straße gehen, das sind deine wirklichen Verwandten.“

      Die Dämmerung kam schnell. Noch segelten letzte Schwalben über das Wasser, aber auch erste Fledermäuse waren unterwegs und machten ihnen die Insekten streitig. Der Mann und die Frau saßen beieinander. Das Lamm schlief zu ihren Füßen. Die ersten Sterne schälten sich aus den Gewölben des Himmels.

      „Die Menschen in der Stadt sprechen über dich.“

      „Was sagen sie?“, fragte Yeshu.

      „Die Einen sind wütend auf dich. Die Vorleser sind welche von uns. Du greifst sie an und stellst sie bloß.“

      „Warum sagst du: die Vorleser sind welche von uns. Du bist die Tochter eines Priesters. Schau dein Gewand an, es ist aus Leinen, nicht aus billiger Wolle. Du lebst in einer anderen Welt.“

      „Ich lebe in einem goldenen Käfig.“

      „Was sagen die anderen?“

      „Die anderen sagen, dass du Recht hast.“

      „Recht, Unrecht. – Ich will das nicht. Welche von uns, welche von den anderen, ich will das alles nicht.“

      „Was willst du dann?“, wollte sie wissen, „jemand, der das Wort erhebt, will etwas. Und jemand der das Wort in der Synagoge erhebt, will etwas, das alle hören sollen.“

      „Die Menschen sind gefangen. Sie entfalten nicht, was in ihnen steckt. Ich will das Ende dieser Knechtschaft.“

      „Wieso Knechtschaft? Mose hat die Kette der Sklaverei zerbrochen, als er uns aus Ägypten führte.“

      Yeshu stellte die Füße auf und legte seine Arme auf die Knie.

      „Ich meine nicht diese Ketten und ich meine nicht die Fremdherrschaft durch die Römer. Ich meine die inneren Ketten.“

      „Innere Ketten?“, fragte sie aufgeregt.

      „Schau, die Menschen stehen auf, essen etwas, arbeiten, beten, gehen wieder schlafen. Das ist ja auch gut so, aber sie denken nicht über den Rand ihrer Schüssel hinaus.“

      „Die Menschen folgen ihren Traditionen und das nennst du schlecht?“

      „Dein Vater will dich verheiraten. Hast du kein Recht, selbst zu bestimmen, wie du leben willst?“

      Sie schwieg.

      „Ich sage ja, ich bin damit im Reinen, dass sie ihre Arbeit machen, dass sie Kinder bekommen und hoffentlich auch Enkel, aber sie wissen nicht, wer sie sind. Sie erkennen nicht sich selbst. Sie denken Recht, Unrecht oder einer von uns, einer von den anderen oder schwarz oder weiß.“

      „Was würde man sehen, wenn man sich selbst erkennt?“

      Yeshu sammelte einen Augenblick seine Gedanken.

      „Eine Welt würde man entdecken, eine eigene Welt würde man sehen. Man würde sehen, dass man nicht vom Brot allein lebt. Man würde sehen, dass die anderen Menschen, die Tiere, die Pflanzen, ja die Steine unsere Brüder und Schwestern sind. Du würdest sehen, dass dein Leib zwar eine Grenze hat, aber nicht deine Seele und du würdest sehen, dass deine Seele gar nicht deine Seele ist, sondern Teil der großen Seele.“

      Sie schaute ihn staunend an. Er stand auf und schmunzelte:

      „Und dass du schön bist.“

      Durch die Nacht gingen sie zurück zur Stadt. Die Erde, die Sträucher, alles duftete. Ein Käuzchen rief. Ein neuer Mond, ganz schmal und vorsichtig, wies ihnen den Weg. Bald kamen sie zu den ersten Häusern. Der Schein von Feuer loderte, man hörte Lachen. Es roch nach Gebratenem. Kinder rannten um die Häuser.

      „Siehst du!“, sagte die Frau, „die Menschen sind zufrieden.“

      „Zufrieden ja in dieser Stunde, aber glücklich? Jeder zerbrochene Krug kann ihr Glück zerstören. Sie sind abhängig von dem Glück, was ihnen geschieht. Sie freuen sich, wenn sie ein paar Denare verdienen und verzweifeln, wenn sie sie wieder verlieren. Sie kennen nicht das ewige Glück, was in ihnen wohnt. Ich muss sie erschüttern, damit sie erkennen. Sie haben Augen zum Sehen und sie haben Ohren zum Hören.“

      Sie blieb stehen.

      „Du willst diese Welt aus den Angeln heben.“

      Sie griff nach seiner Hand.

      „Es ist gefährlich, was du tust.“

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