Peter Klapprot

Yeshu und seine Geschichte


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wartet ihr? Ich werde euch sagen, worauf ihr wartet.“

      In der Mittagshitze hatten die Vögel zu zwitschern aufgehört.

      „Ihr wartet auf das Himmelreich.“, fuhr er fort. „Deshalb seid ihr gekommen und ihr hofft, dass ich euch das Himmelreich bringe.“

      Der Mann stieg von seinem Stamm und ging auf und ab. Bei jedem Schritt wedelte er mit dem Palmzweig, bis er plötzlich stehen blieb und rief:

      „Das Himmelreich wartet auf euch. Es ist längst da. Also hört auf zu warten, geht endlich los. Aber sucht es nicht da, wo es hell ist. Es liegt nicht vor euch auf eurem Weg.“

      Das war schwer zu verstehen. Warten und nicht warten; gehen, aber nicht auf einem Weg.

      „Der Weg zum Himmelreich führt durch eine Tür und diese Tür ist in euch. Ja. Findet sie, stoßt sie auf, geht hindurch. Sie wartet nur darauf. Der Himmel wartet.“

      Vielleicht brannte die Sonne einfach zu heiß. Etwas trinken wäre gut.

      „Warum findet ihr diese Tür nicht? Weil ihr nicht wisst, dass diese Tür mitten in euch ist. Ihr sucht sie auf eurem Weg vor euch, wo es hell ist und nicht in eurem Innern, wo es dunkel ist.

      Warum stoßt ihr sie nicht auf, diese Tür? Weil ihr glaubt, ihr wäret nicht würdig und ihr glaubt, ihr hättet ihr kein Recht, diese Tür auch nur anzufassen.

      Warum geht ihr nicht durch diese Tür? Ihr fühlt euch befleckt, weil ihr gesündigt habt.

      Oh, was seid ihr für Kinder! Ihr glaubt, YHWH wäre ein Vater, der euch auf ewig zürnt. Ja, YHWH ist ein zorniger Gott, aber er ist auch voller Gnade, ein Vater, der die Erde und seine Kinder liebt und ihnen verzeiht, alles verzeiht. Verzeiht euch selbst!

      Ihr leidet unter Durst, aber es nicht der Durst nach Wasser; ihr hungert, aber es ist nicht der Hunger nach Brot. Euer Hunger, euer Durst, sie suchen sein Reich. Nur sein Himmelreich kann euren Hunger und Durst stillen. Und dieser Himmel ist in euch. Die Sünden sind flüchtig, der Himmel aber ist ewig.“

      Der Asket legte seinen Palmwedel ab und ging ins Wasser und winkte.

      „Kommt zu mir ins Wasser! Dieses Wasser ist ein heiliges Wasser. Es hat die Macht, eure Sünden abzuwaschen wie den Staub von euren Füßen. Macht euch frei von euren Sünden, es öffnet die Tür, dann ist der Weg frei für den neuen Himmel in euch.

      Kommt! Kommt! Kommt!

      Nie wieder werdet ihr Hunger leiden, nie wieder werdet ihr Durst leiden. Kommt herbei!“

      Konnte man diesem Prediger trauen? Immerhin, der Fluss war lebendiges Wasser, also gut für eine Reinigung. Aber eine Reinigung von den Sünden? Man konnte sich reinigen, wenn man Totes berührt hatte oder schreiben wollte. Frauen mussten sich reinigen, wenn sie ihre Zeit hatten oder entbunden hatten. Aber wenn man gegen die Gebote verstoßen hatte, würde YHWH einen strafen. Da half kein Wasser.

      Ein großgewachsener Mann mit Locken und tiefschwarzen Augen trat aus der Menge. Ruhig stieg er in das kalte Wasser und watete zu dem Mann. Der Täufer nahm ihn bei den Schultern und schaute ihn an. Lange standen die beiden gegenüber, eine Armeslänge getrennt. Das Wasser umfloss ihre Beine und zog an ihren Gewändern, die wie Tang in den Fluten drifteten. Dann schüttelte der Täufer langsam den Kopf.

      „Du willst von mir getauft werden, aber du bist mir voraus. Du hast diese Tür längst aufgestoßen, weiter als ich. Du kannst zu denen sprechen, die in der Finsternis sitzen, im Schatten des Todes. Sie werden dich besser verstehen als mich. Ich bin nur ein Rufer in der Wüste. Du wirst zu ihnen sprechen durch deine Taten und so ihre Schritte lenken. Ich müsste von dir getauft werden, Mann Gottes.“

      „Warum stehe ich bei dir im Wasser? Weil ich deine Taufe will. Kein Herz ist vollkommen rein von Schatten.“

      Yeshus Augen füllten sich mit Tränen.

      „Die Tür, von der du sprichst, manchmal habe ich sie vergessen. Dann wieder finde ich sie verschlossen. Du siehst in mir, was ich noch werde. Darum bitte ich dich um deinen Segen. Ebne mir den Weg und taufe mich.“

      Noch einmal prüfte der Täufer sein Herz. Er sah das strömende Wasser und verstand, dass es das Meer suchte. Er nickte.

      „So sei es.“

      Er drückte den Mann unter Wasser, sah dessen Haare noch schwimmen, dann sich vollsaugen, sah wie sie im Wasser schlängelten, sah den Fluss vorbeifließen, den sandigen Grund, Steine darin, Fische glitten vorüber, sah das Gesicht mit den geschlossenen Augen, seine eigenen Hände auf den breiten Schultern, die gebeugten Beine.

      „Ich taufe dich mit Wasser, aber du wirst uns mit Feuer taufen. Du wirst wachsen, ich werde schrumpfen.“

      Mit einem Prusten tauchte Yeshu wieder auf und schüttelte sich. Das Wasser lief aus seinen Haaren, die schwarz auf seinem Gewand klebten. Geblendet öffnete er die Augen. Etwas kam auf ihn zu. Es kam aus der Sonne, schwer zu erkennen. Eine Taube flog auf ihn zu. Ein Feuerschein umgab sie. Er atmete tief. Ihre Schwingen schlugen hart. Sie stürzte auf ihn ein. Ein Flügel streifte seinen hocherhobenen Kopf.

      Kapitel 7

      Yeshu saß auf einem Hügel mit dürrem Gras und Oliven- und Feigenbäumen. Hier war alles karg, Sand, Steine, Staub. Die Aussicht war gut. Der Frühlingsmorgen schwebte über dem See. Stahlblau spielte der Himmel im Wasser und verlor sich in den Bergen im Hintergrund. Rechts von ihm stieg das Ufer flach an. Dort hatten Bauern ihre Haine mit Datteln und Maulbeeren. Noch sangen die Vögel und flogen geschäftig von Baum zu Baum.

      Jetzt war ihm wieder warm. Die Nacht hatte er unter einem Baum verbracht, nur mit seiner Tunika bedeckt. Lange hatte er auf den See geschaut, das Wasser beobachtet, wie die Morgenbrise es kräuselte. Das Licht der aufgehenden Sonne, wie ein Schwert hatte es auf dem See geglüht. Die Sterne hatten sich zurückgezogen, schwarz hatten die Berge vor der Morgenröte gestanden. Er war mit aufgegangen. Er war Teil von dem Ganzen. Die Kälte der Nacht, die Hitze des Tages, der Hunger, ohne sie, ohne ihn würde etwas fehlen.

      Yeshu stand auf und ging zum See hinunter, um sich zu waschen. Er fühlte sich wie ein Tier, das nur folgt, aber er wusste, er war ein Mensch mit einem eigenen Ich. Wenn er ganz ruhig wurde wie heute Morgen, konnte er eine Stimme in sich hören. Manchmal säuselte sie nur, verstummte für Augenblicke ganz. Dann wieder brauste sie auf und es gab kein Zögern.. Wie Dornen konnte die Stimme in sein Fleisch fahren und ihn vorwärts peitschen.

      Jetzt war die Stimme milde gesonnen und rollte mit ihm den Hang hinab. Er ging barfuß, um seine Latschen zu schonen. Seine Füße suchten den weichen Staub oder er hüpfte über die Felsen am Wegesrand, die allmählich heiß wurden. Fliegen und wilde Bienen, angezogen von seinem Schweiß, umschwirrten seinen Kopf.

      Woher wusste er, dass er nicht besessen war? Vielleicht war es ein Dämon, der in ihn fuhr und ihn drängte zu sprechen und Hand aufzulegen. Er hatte Besessene erlebt. Sie hatten nicht, was er hatte. Wenn seine Stimme ihn dengelte, fühlte er sich wie ein Boot auf stürmischen Wasser. Er kannte noch seinen Namen und wusste, wo er war und was er tat. In ihrer Besessenheit hatten die anderen alles vergessen. Auch hatte er gesehen, dass sie, wenn man den Dämon nicht austreiben konnte, immer mehr verfielen und als würde ihr Weg im Sand verlaufen.

      Yeshu hatte aufgehört nach seinem Weg zu suchen. Sicher war er Zimmermann geworden wie sein Vater und er liebte es, aus einem Stamm einen Balken und aus einem Balken ein Haus entstehen zu lassen. Aber sein Haus würde er anders bauen. Wie würde er sehen, so wie er gesehen hatte, dass er keinem Weg folgt, sondern der Stimme in seinem Herzen.

      Jetzt kam er am Ufer an und genoss das kühle Wasser, welches den Staub von seinen Zehen spülte. Jetzt war er am Ziel. Jetzt und jetzt und jetzt und gleich und morgen und für alle Ewigkeit. Auch wenn sie sich hinter Wolken verbarg, würde es eine neue Sonne geben. Es würde die Erde geben, den See und wenn er austrocknen würde, würde er gewesen sein. Alles kam und ging und wurde neu geboren, die Pflanzen die Tiere, der Hunger, der Schlaf. Alles war im Fluss wie das Wasser im See