Yahya Wrede

Der Cyber-Mönch


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biochemisch und physikalisch definierbar.“

      „Sogar die Psyche, Glück gibts per Pille, auch Liebe läßt sich künstlich im Gehirn erzeugen; die Welt ist käuflich.“

      „Schon bald werden elektromagnetische Helme auf den Markt kommen, mit denen man die Gehirnströme beeinflussen kann. Du fährst ab in deine eigene Welt, ganz bequem von zu Hause, nur mit dem Strom aus der Steckdose. Kannst dir wie im Traum deine persönlichen Phantasiewelten kreieren, und du bist der King, alles tanzt nach deiner Pfeife, du hast dort die Allmacht. Und das Beste: Es ist nicht wie ein Film, sondern über die direkte Stimulierung des Gehirns bist du genau so real mittendrin wie in dieser Welt und kannst alle gewünschten Gefühle in Echtzeit erleben, Freude, Glück, Euphorie, Liebe, alles. Das Suchtpotenzial ist so hoch, daß sie befürchten, die Benutzer werden nicht mehr wiederkommen wollen und in ein paar Tagen verhungern, denn sie denken dann nur noch ans Vergnügen, sie haben das Paradies auf Erden gefunden, die ewige Jugend!“

      „Irre. Wann gibts das endlich? Nie mehr schlecht drauf sein, ha, ihr könnt mich allemal, nur noch high life, unvorstellbar.“

      „Auch in der realen Welt brauchst du nur Jugend und Schönheit, und schon liegt dir alles zu Füßen. BQ statt IQ, nimmt beides erst zu und dann wieder ab, aber der BQ öffnet dir alle Türen wie von selbst, IQ allein ist unwichtig.“

      „Was bitteschön war noch mal BQ?“

      „Na, der Beauty-Quotient. Und nicht mehr nur Frauen, auch Männer wollen sexy sein heutzutage, der Markt boomt.“

      „Klar, ich umgebe mich auch lieber mit schönen Menschen als mit Mauerblümchen.“

      „You gotta right to party, so isses, und zwar mit wem du willst.“

      „Eben, freedom, freedom: soll doch jeder tun und lassen können, was er will.“

      „Freiheit für die Freiheit!“

      „Gute Idee, machen wir ne Freirenten- und Freiheiten-Partei aus unserem Projekt.“

      „Echt, so in den Tag hineinzuleben, so wie jetzt, ist schon das Beste, ohne Verantwortung und Verpflichtungen. Was will man mehr?“

      „I want it all, I want it now ...“

      „Sex’n’drugs’n’rock’n’roll, tata ta tatataaa ...“

      „Kanntense auch schon im Mittelalter: Wein, Weib und Gesang, haha!“

      „Eben, altbewährte Traditionen gilt es zu pflegen.“

      „Genau, da geh ich doch gleich noch mal nen Bier holen, will jemand noch eins? Zwei? Drei! Uiii ist das Deck glatt, bloß nicht ausrutschen ...“

      Der erste Vormittag

      PANG!

      Nein! Mittendrin in der Ägäisparty und jetzt hauts mich raus aus den Federn. Wie gemein. Echt hart son Fußboden – nur gut, daß ich kein Etagenbett habe. Warum kann man den Traum nicht mitnehmen? Oder einfach wieder zurückzappen? Sich seine Realität aussuchen? Hmmm, wie der Typ bei Matrix, zurück in die Illusion, ist natürlich auf Dauer auch nix, da bleibt einem wohl nichts anderes übrig, als zu versuchen, die Realität so zu nehmen, wie sie einem nunmal entgegenspringt. Oder entgegenfließt: jetzt erstma ne schöne Dusche. Der allmorgendliche Blick in den Spiegel. Au Backe, lohnt heute nicht. Aaaah, wird warm, köstlich. Wär ja zu schön gewesen. Manchmal nachts wach ich auf und schlaf gleich wieder ein, nur um an derselben Stelle weiter zu träumen, an der ich aufgehört hatte. Träume sind Schäume. Aber echt. Wozu kann man sich eigentlich an seine Träume erinnern? Muß ja enorm wichtig sein für mein Gehirn. Der Schlaf reinigt die Gedanken, die Spreu wird vom Weizen getrennt, aber welche Taube entscheidet, welche die guten und welche die schlechten Linsen sind? Ego? Superego? Das kollektive Unbewusste? Kommissar Zufall? Und wenn es in mir einen Entscheidungsträger gibt, bei wem holt der sich dann Rat – seinerseits wieder bei einer höheren Instanz? Ich meine, tatsächlich, wenn ich an einer Pommesbude vorbeigehe und, den deftigen Geruch von verbranntem Fett mit der Nase aufsogend zu mir sage: ja, lecker, her damit oder nein, nicht schon wieder, dann dünkt mich das zunächst eine freie und spontane Entscheidung meiner selbst zu sein. Ist das so? Genauer betrachtet, wohl kaum. Eher die mathematische Konsequenz aus vorheriger Erfahrung und psychischer Quantenphysik. Gott würfelt nicht. Außerdem ist doch das Gedächtnis zu einem Großteil angefüllt mit Wissen, das völlig überflüssig ist: das Kennzeichen meines ersten Autos, der Name meiner Grundschulklassenlehrerin, und die wichtigen Sachen fallen oftmals allzu schnell wieder aus dem Raster: die vielen Gedichte, die nächste Verabredung. Das ist entweder schlecht organisiert oder schwer zu durchschauen. Die Wege des Herrn sind unergründlich. Freies Assoziieren. Soll wohl helfen, aus dem Käfig der Gewohnheit auszubrechen, falls nötig, Innovation gegen Tradition, geistige Evolution sozusagen, den Blick fürs Ganze öffnen, für die Einheit in der Vielfalt, die Urpflanze. Hängt doch alles irgendwie zusammen, deswegen funktionieren Assoziationen. Alle für einen – einer für alle, Musketiere eben. Die Macht der Gewohnheit: Der Mensch lebt zu 90 % davon. Haste gute, wirds leichter, haste schlechte, mußte zahlen. Oder bis Sylvester warten, alles neu macht der Mai? Ist das jetzt irgendwie von Bedeutung oder schon wieder der übliche Gedankenschrott? 90 % aller Gedanken kreisen angeblich nur im Kreis, 57.600 jeden Tag, einer pro Sekunde, und führen zu nix außer Depressionen. Was ist denn überhaupt schon wichtig? Für den Knaben sein Spielzeug, den Fußballer das Tor, also immer für jeden das, was er persönlich gerade mag. Was aber ist objektiv wichtig – Gesundheit, Wohlstand, Macht, Liebe? Immer noch müde: jetzt nen schönen Tee oder ausnahmweise mal Kaffee. Wahrheitsliebende Mystik. Mistige Philosophie. Bernd das Brot. Kein Wunder, daß Kant nie aus den Klopsen herausgekommen ist, keine Zeit, zu viel wirres Zeug im Kopf. Unsereins hat auch noch zu arbeiten. Mann, kann sich Software mittlerweile nicht alleine programmieren? Oder mittels Gedankenkontrolle? Müßte bald gehen, die ersten Prototypen funktionieren schon. Aah, das Internet! Was haben die Leute früher ohne gemacht? Die Franzosen haben, glaube ich, die Waschmaschine zur besten Erfindung des 20. Jahrhunderts gewählt. Myope comme une taupe. Die Revolution ist das Internet, nicht die nettoyage de la bastille. Und Warmwasser. Wie sollte man ohne duschen? Gabs allerdings auch schon bei den alten Römern. Die hattens drauf. Die besten Ingenieure damals, Brücken, die heute noch stehen. Dann sind sie irgendwann dekadent geworden und ihre konstruktive Intelligenz ist nach Germanien ausgewandert. Met aus Honig saugen. Haha, daher Miele, was? Jaja, Lachen, Humor, was wäre das Leben ohne sie. Der Humor darf einem erst zuletzt abhanden kommen. Wo es so leicht ist, Sachen zu verlieren: Schlüssel, Regenschirme, Aktienkurse. Durchsage des Stewards nach der Landung: Haben Sie auch nichts an Bord vergessen, Handgepäck, Schwiegermutter? Wie war das noch: Man muß nicht immer sagen, was man weiß, sollte aber immer wissen, was man sagt. Der Mund, Wunderwerk der Natur: Atmen, Sprechen, Küssen, Essen. Oh Mann, Frühstück fällt wohl aus: typischer Junggesellenkühlschrank - ne halbe Tüte O-Saft, etwas Butter und ansonsten gähnende Leere. Alle reden immer vom Singlehaushalt, dann sollten se mal nen echten Singlekühlschrank bauen: entweder es gibt nur diese Minidinger oder solche mit nem riesigen Kühlfach für die ganze Familie und nem winzigen Eisfach, umgekehrt sollte es sein, kleines Kühlfach und nen Rieseneisfach, schließlich horte ich mehr Tiefkühlkost, die ich schnell in den Ofen stecken kann als frische Ware. Ha, sollte wieder Prozente verlangen für gute Ideen, also echt, wenn man alle Ideen aller Menschen irgendwo katalogisiert im Internet veröffentlichen würde, wäre sicher viel Brauchbares dabei. Wär auch mal ne Initiative wert: Markt der Erfindungen, immer noch besser als noch so ne Sozialnetzwerkseite, die keiner braucht. Wie war das noch: 22 % aller globalen online-Aktivitäten jeden Monat betreffen social media networks: das ist fast ein Viertel! Mehr als 1 Milliarde User nehmen regelmäßig daran Teil. Ich glaub ja nicht, daß das im Endeffekt dem echten sozialen Austausch dient, fördert eher die Vereinsamung, wenn ich ständig auf meine kleine Kiste schaue und die echte Interaktion draußen wegfällt. Ein Gespräch unter vier Augen oder im Freundeskreis ist doch nicht durch virtuelle Kommunikation zu ersetzen. Wenn ich ständig in 22 Netzwerken unterwegs bin, hab ich auch gar keine Zeit mehr zum Arbeiten, Schlafen oder Essen in dieser Welt. Vampirnet! Hmm, Hunger, werd mal Einkaufen gehen und mir unterwegs nen Brötchen besorgen, Geldausgeben kurbelt die heimische