Jasmin Cools

Narzisse


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Dabei war der Grund doch so offensichtlich.

      Rose spürte, wie ihre Hand das Glas umklammerte, so dass die Knöchel weiß hervortraten. Sie schloss die Augen und redete sich ein, dass es keinen Grund zur Aufregung gab. Sie hatte den Job bekommen. Sie war die Schönste – nach wie vor. Mit einem Zug leerte sie das Glas und orderte ein neues. Der Kellner warf ihr einen vielsagenden Blick zu. Rose lächelte ihn unverbindlich an und nickte leicht. Er sah aus wie der typische Junge von nebenan – Sturmfrisur, ein verwegenes Grinsen und eine Spur zu gewöhnlich für ihren Geschmack.

      »Entschuldigung, Miss. Darf ich Ihnen wohl etwas ausgeben?«

      Rose drehte sich nicht einmal um. Sie war nicht in der Stimmung für einen nervigen Verehrer. Sie sagte nur: »Bedaure, ich habe gerade etwas bestellt.«

      »Wenn das so ist, darf ich dann kurz mit Ihnen reden?«

      »Sie tun es bereits.« Rose wurde ungeduldig. Sie war es gewöhnt, angesprochen zu werden, doch die dreiste Hartnäckigkeit machte sie wütend. »Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind?« Rose wandte sich um. Ein attraktiver Mann im Anzug stand vor ihr. Er hatte schwarzes Haar, helle Augen und eine kleine Narbe über der linken Augenbraue. Sie musste sich eingestehen, dass er gut aussah. Vielleicht war sie zu voreilig gewesen. Was schadete ein Glas? »Nun, ich habe heute einen guten Tag. Setzen Sie sich.« Ihre Stimme blieb kühl. Wenn er sie haben wollte, musste er schon etwas Ablehnung ertragen können.

      »Vielen Dank«, sagte der Mann mit sarkastischem Unterton. »Ich hätte gerne eine Cola.« Rose warf ihm einen spöttischen Blick zu. »Ich bin seit fünf Jahren trocken.« Damit wollte er sie wohl beschämen.

      Doch Rose warf ihm nur einen mitleidigen Blick zu. »Ich habe nicht viel übrig für Männer, die sich nicht im Griff haben.«

      »Oh, ich glaube, Sie haben gerade für diese Männer eine Schwäche. Wer steht nicht auf ein bisschen Chaos?«

      Rose zog nur eine Augenbraue hoch, erwiderte aber nichts. Sie beschloss, sich die gute Laune nicht verderben zu lassen. Irgendwann würde er aufgeben. Rose kippte den zweiten Champagner hinunter. Sie spürte, wie das Prickeln ihr die Kehle hinablief, bis es im Magen ankam.

      »Sie kippen sich innerhalb von zehn Minuten zwei Champagner hinter die Binde und sagen mir, ich hätte mich nicht im Griff. Haben Sie eine Trennung zu verkraften?«

      Rose lachte laut auf. »Großer Gott, nein.«

      »Jemand anders vielleicht?« Seine hellen Augen musterten sie eingehend. Um seinen Mund lag ein spöttischer Ausdruck. Er war eigenartig, nicht der Typ Mann, den man sofort als gutaussehend bezeichnen würde. Trotzdem hatte er etwas Faszinierendes an sich.

      »Schon möglich«, sagte sie und musste sich ein Schmunzeln verkneifen. Als der Kellner vorbeikam, wollte sie etwas bestellen, doch der Fremde kam ihr zuvor. »Einen Whisky für die Dame.« Rose warf ihm einen scharfen Blick zu. Sie mochte es nicht, wenn Männer für sie bestellten. Es war, als hätte sie keinen eigenen Willen. »Sie müssen mir nicht danken. Dieses Prickelwasser muss furchtbar schmecken«, meinte er zwinkernd.

      »Ich mag Champagner zufällig«, presste Rose gereizt hervor.

      »Das glaube ich weniger. Sonst würden Sie ihn nicht so schnell runterkippen. Im Prinzip ist es doch wie mit Schnaps. Keiner schmeckt wirklich gut, aber er macht schnell betrunken. Deshalb trinken ihn die Leute.«

      Rose hatte dem nichts entgegenzusetzen. Sie kniff die Lippen zusammen und probierte vorsichtig einen Schluck Whisky, den der Kellner ihr hingestellt hatte. Es war stillos. Begehrenswerte Frauen tranken keinen Whisky. Sie liebten Champagner oder Chardonnay und verabredeten sich mit Männern, die Whisky tranken. »Es fehlt nur noch die Zigarre«, murmelte sie.

      »Oh, ich führe keine bei mir. Ich habe nie geraucht.«

      Rose ignorierte ihn. Sie verspürte ein merkwürdiges Gefühl in der Magengegend. Womöglich hatte sie den Champagner doch zu schnell hinuntergestürzt. Wenn sie keinen Kater riskieren wollte, würde sie jetzt nach Hause gehen und ein Schaumbad nehmen müssen. »Entschuldigen Sie mich, es ist Zeit zu gehen.«

      Nun würde die Frage kommen. Sie wartete ab und sah den Mann herausfordernd an. Dieser grinste nur. »Wie Sie meinen. Vielleicht sieht man sich ja mal wieder.«

      Das war alles? Rose zog eine Augenbraue hoch. War das sein Ernst? »Sie fragen mich nicht nach meiner Nummer?«

      »Wieso sollte ich?«

      Rose blieb beinahe der Mund offenstehen. Er flirtete mit ihr und wollte dann nicht einmal ihre Nummer haben? »Weil ich…weil Sie mich angesprochen haben.« Er hatte sie definitiv auf dem falschen Fuß erwischt. Sie spürte ihre wachsende Verunsicherung.

      »Ich wollte mich nur unterhalten. Aber ich denke, Sie haben kein Interesse an mir«, schloss er schulterzuckend.

      Seine Gleichgültigkeit machte sie rasend. »Wie Sie meinen. Wenn Sie zu feige sind, es zu versuchen…« Sie hörte, wie wütend sie klang. Schnaubend legte sie einen 50-Dollar-Schein auf den Tresen, nahm ihre Tasche und ging schnurstracks zum Ausgang. Was bildete sich dieser Mann ein? Sicher, er hatte ihr gefallen und sie neugierig gemacht. Doch Rose ließ sich nicht zum Narren halten. Dieser Kerl konnte ihr gestohlen bleiben.

      Kapitel 8 – Damals – Verrat

      Johnny Kruger war ein eher unscheinbarer Junge. Mit seinen 16 Jahren war er zu klein für sein Alter, zu schmächtig, zu picklig und zu dürr, um einem Mädchen zu gefallen. Dennoch erzählte er seinen Freunden von dieser und jener Frau, die er verführt hatte. Die Geschichten, die er sich ausmalte, waren außergewöhnlich. Fast immer traf er darin eine Unbekannte mit Hotpants und großer Oberweite und vergnügte sich mit ihr im Auto oder auf einer Parkbank.

      Mit seiner blühenden Fantasie fiel es Johnny nicht schwer, sich neue Geschichten auszudenken. Er hatte das Lügen perfektioniert und wurde dabei immer mutiger. Der Trick war, stets ein bisschen Wahrheit einfließen zu lassen. So war er bei der Hochzeit seiner Cousine tatsächlich einer vollbusigen Blonden begegnet, die später mit ihm hinter das Gebäude gegangen war – jedoch nicht, um Sex zu haben, sondern weil er Gras bei sich hatte.

      Seine Freunde, die den größten Teil ihrer Zeit in der virtuellen Welt von Fantasy-Computerspielen verbrachten, beneideten ihn um seine Erlebnisse. Keiner von ihnen stellte Johnnys Eroberungen in Frage. Und keiner wusste, dass Johnny in Wahrheit noch Jungfrau war.

      Eines Tages, als Johnny und seine Freunde über den Schulhof streiften, sahen sie Rose Carter. Wie immer schien sie irgendwie von innen heraus zu leuchten – ein Strahlen, das alle Jungen im Umkreis von 100 Metern dazu brachte, sich nach ihr umzudrehen.

      Rose ging in seine Parallelklasse und war fast einen Kopf größer als Johnny. Trotzdem träumte er seit Jahren fast jede Nacht von ihr. Sie schien so nah zu sein und spielte doch in einer ganz anderen Liga als er. Mit ihr hatte er noch nie vor seinen Freunden geprahlt. Es wäre wohl die erste Geschichte gewesen, die sie ihm nicht geglaubt hätten. An Rose Carter kam niemand heran. Sie schwebte weit über allen.

      »Wie wäre es, Johnny? Wenn du es schaffst, Rose ins Bett zu bekommen, bist du wirklich der King«, meinte einer seiner Freunde lachend und klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter.

      Johnny grinste ihn an und zuckte mit den Schultern, als müsste er es sich noch einmal überlegen. »Wer weiß. Sie wäre genau meine Kragenweite.«

      Just in diesem Moment drehte Rose sich um und sah ihn direkt an. Johnny spürte, wie seine Knie wacklig wurden. Ihr Blick ging ihm durch Mark und Bein. Sie musterte ihn eingehend von Kopf bis Fuß und drehte sich schließlich wieder um.

      »Alles klar, Alter?«, fragte sein Kumpel. Johnny tat, als müsste er husten, und wandte sich ab, um sein rotes Gesicht zu verbergen. Rose‘ Blick hatte ihn tief getroffen. Es hatte oft Mädchen gegeben, die er angehimmelt hatte, Mädchen, mit denen er geprahlt hatte, doch dieses war anders. Rose ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Vielleicht sollte er es diesmal wirklich wagen.

      Seit sie ihn angesehen hatte, konnte Johnny