Philipp Porter

Luca und der Weihnachtsbaum


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Junge lugte zwischen roter Winterjacke und Pudelmütze hervor. „Aber Mama, Mäuse haben doch keine Tollwut und sie sind auch kein Ungeziefer. Opa hat gesagt ...“

      „Nichts da! Ich möchte diesen Unsinn erst gar nicht hören. Immer wenn ich dir etwas verbiete, kommt: Aber Opa hat gesagt. Denkst du, dein Opa hat immer recht? Opa hat früher auch nicht alles so gesehen. Als ich so alt war wie du, hätte er mir sofort einen Klaps auf den Po gegeben, wenn ich Mäuse gefüttert hätte.“

      Luca schob seinen Kopf aus der Winterjacke hervor. „Hast du als Kind keine Tiere gefüttert?“, fragte er trotzig.

      Seine Mutter zog ihre Nase etwas nach oben und sah ihren Sohn nachdenklich an. Sie wusste, dass Luca jedes Tier, das er fand, liebevoll umsorgte und ihm etwas zu essen besorgte. Hin und wieder musste sie sogar lachen, da er mit seinen fünf Jahren noch nicht recht wusste, dass ein Frosch keine Gummibärchen und eine Heuschrecke keine Nudeln mochte.

      Doch bei Mäusen hörte der Spaß für sie auf. Mäuse waren Ungeziefer, man konnte krank von ihnen werden und, das war das Wichtigste, sie hatte fürchterliche Angst vor ihnen. Daher musste jede Maus, wo immer sie sie erblickte, vertrieben werden.

      „Doch, gewiss. Ich habe immer unsere Schlachthasen gefüttert und Bello, unseren Schäferhund“, sagte Lucas Mutter und überlegte, ob es noch andere Tiere gab, die sie als Kind gefüttert hatte.

      „Den Bello, von dem Opa mir erzählt hat?“, fragte Luca vorsichtig und zog die Nase nach oben, bis eine tiefe Falte zwischen seinen Augen zu erkennen war.

      Seine Mutter nickte.

      „Du hast Bello nicht sehr lieb gehabt, sonst hättest du ihn von seiner Kette losgemacht. Hunde gehören nicht an die Kette, das hat der Doktor im Fernsehen gesagt. Es tut den Hunden weh, wenn sie an der Kette sind“, sagte Luca ärgerlich und drehte sich weg. Dann zog er seine rote Pudelmütze tief in sein Gesichtund stampfte, ohne noch etwas zu seiner Mutter zu sagen, ärgerlich davon.

       Am nächsten Tag kam Luca aus dem Kindergarten zurück. Schon von der Straße aus sah er seinen Opa vor dem Haus auf der alten grünen Holzbank in der tiefstehenden Wintersonne sitzen. Er stopfte sich gerade seine Pfeife und zündete sie dann mit einem Streichholz an.

      Es war so wie an jedem Tag, an dem Luca vom Kindergarten nach Hause zurückkehrte. Immer wenn er die Straße entlang kam, das Hoftor mit einem Schubs aufdrückte und ihm mit dem Fuß einen weiteren Schubs gab, damit es scheppernd wieder ins Schloss fiel, saß sein Opa auf der Bank vor ihrem Haus und rauchte Pfeife.

      Doch an diesem Tag war es anders: Luca rannte nicht wie sonst, sondern er ging vorsichtig mit kleinen Schritten über den Hof.

      Sein Opa bemerkte dies natürlich sofort. Er lachte und schüttelte den Kopf. „Schon wieder?“, rief er Luca zu und der nickte bekümmert.

      „Hmm ...“, raunte er und schob vorsichtig seine rechte Hand in die Innentasche seiner roten Winterjacke. „Ich habe ihn am Dorfbrunnen gefunden. Er hat gerufen. Ich glaube, er ist krank.“

      „Na, dann komm mal her“, sagte sein Opa und schaute verstohlen zur Haustür, die einen Spalt breit offen stand.

      Auch Luca warf einen verstohlenen Blick zur Tür. Er wusste, dass er und sein Opa nicht bummeln durften. Denn es würde nicht viel Zeit vergehen, bevor seine Mutter im Türrahmen erscheinen würde. So wie an jedem Tag, wenn er aus dem Kindergarten nach Hause kam.

      Luca zog vorsichtig seine Hand aus der roten Winterjacke hervor und hielt seine andere sofort schützend darüber. Dann streckte er seinem Opa beide Hände entgegen. „Du musst aber leise sein, damit er sich nicht ängstigt“, flüsterte er und sein Opa nickte.

      „Ich weiß. Aber er wird sicher keine Angst haben, solange du ihn in deinen Händen hältst.“

      Luca öffnete vorsichtig seine Hände und sein Opa legte die Pfeife beiseite.

      „Er ist schön. Ein bisschen mickrig, aber schön. Ich denke, er braucht nur ein warmes Plätzchen und ein paar Tage gutes Futter.“

      Luca schaute mit einem Stirnrunzeln auf den kleinen Spatz hinab, der in seinen Händen saß und seinen Opa ängstlich ansah.

      „Und wenn er sich doch wehgetan hat?“, fragte Luca und pustete dem kleinen Vogel sacht in das Gefieder hinein.

      „Ich werde ihn untersuchen, sobald er im Käfig sitzt; nach dem Essen“, antwortete sein Opa und strich Luca zärtlich eine Locke aus der Stirn.

      Plötzlich knarrte die Haustür und seine Mutter erschien im Türrahmen. Luca klappte blitzschnell die Hände zusammen, machte ein freudiges Gesicht und strahlte sie aus seinen hellblauen Augen an.

      „Hallo Mama“, sagte er, wusste aber bereits, dass es zu spät war.

      „Nicht schon wieder“, rief seine Mutter und stemmte beide Hände in die Hüften. „Das ist nun schon der dritte in diesem Monat. Luca, das geht so nicht weiter!“

      „Aber Mama ...“

      Der Opa öffnete die Hände des Jungen, nahm den kleinen Spatz vorsichtig heraus und ging, ohne etwas zu sagen, in die alte Schreinerwerkstatt hinein, die direkt an dem Haus angebaut war.

      „Geh sofort hinein und wasch dir deine Hände gründlich mit Seife. Wer weiß, was diese Maus der Lüfte für Krankheiten hat.“

      ImageLuca ließ den Kopf hängen und ging traurig an seiner Mutter vorbei in das Haus hinein. Er verstand einfach nicht, weshalb sie sich immer solche Sorgen machte. Bei ihr waren alle Tiere krank oder schmutzig. Selbst Maunzel, obwohl sie sich ständig putzte und immer blütenweiße Pfoten hatte, fand seine Mutter schmutzig.

      Am Essenstisch war es an diesem Tag sehr still. Nur die Löffel, die im Suppenteller kratzten, und leises Schlürfen waren zu hören. Niemand sprach ein Wort.

      Lucas Mutter beobachtete ihren Sohn während des Essens und dieser seinen Opa. Wenn sein Opa mit dem Löffel in seinen Teller fuhr und etwas Erbsensuppe löffelte, tat dies auch Luca. Im gleichen Takt wie sein Opa führte er den Löffel zum Mund und danach wieder zum Teller zurück. Er wollte auf keinen Fall später, aber auch nicht früher als sein Opa mit der Suppe fertig sein. Denn nur wenn er im gleichen Moment seinen Teller leer gegessen hatte und mit seinem Opa vom Tisch aufstand, um in die alte Schreinerwerkstatt zu gehen, konnte er weiterem Geschimpfe seiner Mutter entgehen.

      Er hatte im letzten Sommer bereits bemerkt, dass seine Mutter immer nur dann mit ihm schimpfte, wenn sein Opa nicht dabei war.

      Denn Lucas Opa war ja der Papa von Lucas Mama. Das hatte der Junge erst nicht so richtig verstanden, als sein Opa ihm dies einmal erzählt hatte. Doch nach einigem Grübeln und ein paar Erzählungen von seinem Opa fand er es dann doch ganz toll.

      Sein Opa war der Papa von seiner Mama. Und so wie er auf seinen Papa hören musste, so musste auch seine Mama auf ihren Papa hören. Und Lucas Opa war Lucas bester Freund.

      Luca kratzte den letzten Rest Erbsensuppe aus dem Teller und schaute verstohlen zu seinem Opa, der ihm direkt gegenübersaß. Der nickte kurz und Luca sprang voller Freude von seinem Stuhl auf. Seine Mutter wollte etwas sagen, doch ihr Vater legte ihr sanft eine Hand auf die Schulter.

      „Wir werden nicht lange draußen sein“, sagte er und zwinkerte Luca dabei mit einem Auge zu. Luca zwinkerte zurück und legte seine Hand auf die andere Schulter seiner Mutter. Die musste nun lachen und Luca und sein Opa gingen hinaus.

      „Weshalb mag Mama eigentlich keine Tiere?“, fragte Luca und nahm seinen Opa an der Hand, während beide zur alten Schreinerwerkstatt gingen.

      „Sie mag Tiere. Nur nicht so wie du. Für sie sind sie einfach nur da. Sie war schon als Kind so. Ich aber auch. Ich habe erst