Hans Joachim Gorny

Pandemie des Todes III Teil


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wenn das Getreide nächstes Jahr wieder verfault“, ruft jemand, „war das Sparen für die Katz und wir haben immer noch kein Brot.“

      Auch Kim, die Oberärztin, ist anwesend. „Sollen die Kranken auf Brot verzichten? Das kann doch nicht euer Ernst sein.“

      „Habt ihr mal daran gedacht“, schimpft eine Frau in Richtung Rat, „dass Hühner Körner picken. Wenn die nur Grünes bekommen, schmecken die Eier nicht mehr.“

      Jemand sehr erboster ruft: „Kann ein Pferd überhaupt ohne Hafer leben? Wie stellt ihr euch das vor?“

      Grissly schimpft dagegen: „Wenn ich ohne Brot leben muss, kann ich von meinem Pferd verlangen, dass es ohne Hafer auskommt.“

      Ein Landwirt, der sehr viel Getreide anbaut, steht auf. „Ich bin dafür, unser Getreide zu verbrauchen und für die Aussaat nächstes Jahr neues einzutauschen oder zu kaufen. Wer schließt sich mir an?“ Aufmunternd schaut er im Sportheim umher. Doch die Leute zögern.

      Carlina mischt sich ein. „Wir wissen überhaupt nicht, wie weit diese Getreideseuche verbreitet ist. Auch deshalb wollen wir mit dem Verbrauch vorsichtig sein. Es ist natürlich jedem belassen auf den Märkten, bei Freunden und Bekannten Getreide und Mehl zu besorgen. Wir werden niemanden aufhalten. Aber unsere Vorräte bleiben unter Verschluss, bis sich wieder eine Perspektive auftut.“ Damit sind die Bäcker arbeitslos.

      Nun reden die Leute nicht mehr von Schimmel und verfaulten Pflanzen, sondern nur noch von Getreideseuche.

      Der experimentierfreudige Landwirt, der den Emmer anbaut, steht auf. „Mein Emmer ist ja nicht betroffen. Deshalb werde ich die Körner nicht verbrauchen und die komplette Ernte nächstes Jahr aussäen. Auch die werde ich nicht verbrauchen, sondern übernächstes Jahr wieder aussäen. Ich werde solange Körner sammeln, bis sie für alle reichen. Es sei denn, wir bekommen den Pilz in den Griff.“

      „Das ist sehr vernünftig Ralf“, lobt Carlina. „Dafür sind wir dir sehr dankbar. Wir wollen nun aber nicht das Schlimmste befürchten.“

      „Auf was können wir denn hoffen?“ ruft eine Frau. „Wie wollen wir aus dem Notstand herausfinden, wenn die Sporen praktisch überall sind?“

      „Hoffnung gibt es“, sagt Carlina mit erhellter Stimme. „Wir bräuchten mal wieder einen richtig harten Winter. Ich kann mir vorstellen, dass die Sporen das nicht überleben. Sie scheinen mir sehr wärmeliebend zu sein. Außerdem werden wir ein kleines Versuchsfeld anlegen und Gegenmittel entwickeln und ausprobieren. Allerdings, wenn wir tatsächlich eines finden, sind wir noch lange nicht am Ziel. Wir müssten eine riesige Menge Gegenmittel herstellen, damit alle Felder besprüht werden können. Das kann Jahr dauern. Deshalb hoffe ich auf Kälte.“

      Mit einem Funken Hoffnung entlassen zu werden, lässt die Leute einigermaßen ruhig nachhause gehen. Der Rat bleibt sitzen und diskutiert weiter. Richard tritt an den Tisch. Unaufgefordert sagt er: „Wenn die Sporen überall sind, sind sie vielleicht schon in der Lagerhalle und sitzt in unserem Saatgut.“

      Carlina und Grissly, die beide sofort begreifen, werden ob ihrer Nachlässigkeit gemeinsam tiefrot.

      „Müssen wir nun alles abdecken?“ fragt Michelle. „Haben wir so viele Häute auf Lager?“

      „Leder können wir nicht nehmen“, weiß Fritzi. „Das schimmelt auch. Wir sollten solche Plastikfolien haben, wie es sie früher mal gab. Aber die sind alle zerbröselt. Sobald man etwas aus Kunststoff anfasst, fällt es auseinander.“

      Sigsig wird lebendig, reckt sich vor zur Tischkannte. „Es könnte sein, dass es noch feste Planen gibt. Ich kenne noch die ehemalige Mülldeponie. Die wurde mit dicken, schwarzen Planen abgedeckt. Ich kann mir vorstellen, wenn man schädlichen Müll abdeckt, macht man das für eine möglichst lange Zeit. Diese Planen müssten deshalb endlos haltbar sein.“

      „Sollen wir jetzt die Erde auf buddeln und nach Planen suchen?“ prudelt Buran.

      Sigsig schüttelt seinen Kopf und grinst. „Ich habe vor ungefähr fünfzig Jahren mehrere Rollen entdeckt. Mein Vater hatte zeitweise auf dem Deponiegelände die Fahrzeugwerkstatt betrieben. In einem Lager lagen solche Kunststoffrollen. Da sollten wir nachschauen.“

      „Wenn nicht inzwischen das Dach darauf liegt“, knurrt Richard.

      „Satteln wir unsere haferfreien Pferde und schauen einfach nach“, schlägt Grissly vor. „Richard, du darfst mit, wir brauchen junge Arme die tragen können.“

      Ein Packpferd wird mit Sägen und Äxten beladen. Letztlich reiten nur Grissly, Richard, Sigsig und Fritzi. Wo die Werkstatt steht, können sie nur noch erahnen. Die Deponiegebäude sind von bis zu hundert Jahre alten Bäumen verdeckt. Auf der Suche nach Mauern, irrt Sigsig eine Zeitlang durchs Unterholz. Auch an den Asphaltstraßen kann er sich nicht orientieren, denn die sind von Pflanzen gesprengt und genauso Wald, wie die ganze Deponie. Das Dach der Werkstatthalle ist tatsächlich eingestürzt. Doch finden sie durch den Hintereingang hinein und von dort in die einzelnen Lager. Als Sigsig seine Kameraden in einen Raum winkt, bleiben alle ehrfürchtig stehen. Dort liegen sie. Zwei Meter lange fette, schwarze Rollen. Sigsig hat sie schon von Spinnweben, herabgefallenem Putz und sonstigem Dreck befreit. Die Gruppe steht davor, wie man vor einem heiligen Altar steht, oder einem blendenden Goldschatz. Nach dem Ende der Andacht reißt Grissly sein Messer heraus und tätigt einen Probeschnitt.

      „Fällt nicht auseinander“, stellt er fest. „Hervorragendes Material. Damit könnte man sogar Dächer abdecken.“

      Alle bestätigen durch Nicken. Richard meint: „Und Teiche bauen. Ich wollte schon immer hinter meinem Haus einen Fischteich.“

      Sigsig hebt eine Rolle an. Sie sind enorm schwer. „Wie viele Rollen werden wir brauchen? Reicht eine? Oder eher zwei?“

      „Die nehmen wir alle mit“, tut Grissly verwundert. „Sowas kann man immer mal wieder brauchen. Wir gehen zu den Pferden und holen die Äxte. Dann hacken wir uns einen Pfad frei und tragen die Rollen zum nächsten offenen Platz. Nach dem Abendessen fahren wir mit dem Wagen her, laden auf, und bevor es dunkel wird, haben wir das Getreide abgedeckt“, gibt er die Richtung vor.

      Richard, Sigsig und Fritzi schauen ungläubig. Hektik und Übereifer sind die Menschen nicht gewohnt. Arbeiten werden meist gemütlich und ohne Druck ausgeführt. Beim Sport beeilt man sich, oder wenn man vom Feld zum Essen heimgeht, bei der Arbeit selten. Das Wort Stress kennt bestenfalls Carlina. Alle anderen können sich darunter nichts vorstellen. Aber was Grissly gerade fordert, hört sich nach maximaler Aktivität an.

      Bevor die Nacht hereinbricht, ist die Schinderei beendet. Alle Beteiligte schauen, mit dem Gefühl außerordentliches geleistet zu haben, zufrieden auf den schwarzen Berg, unter dem das Getreide hoffentlich Sporengeschützt lagert.

      Der Verzicht auf Körner macht sich bei den Tieren zuerst bemerkbar. Die Pferde sind ab dem ersten Tag unzufrieden und bockig. Verweigern manchmal die Arbeit. Wer hat, nimmt nun lieber einen Esel und lässt sein Ross einige Tage im Stall schmollen. Die Hühner picken nach den Beinen, die ihnen das Futter bringen und fordern mehr. Unbestritten schmecken die Eier nun anders. Und es werden weniger. Allerdings gewöhnen sich die Tiere schneller an die Umstellung, als die Menschen.

      Jede Familie geht mit dem Mangel anders um. Einige ziehen sofort mit Wagen los und besorgen sich im Umland Weizen oder Mehl, bevor es andere tun. Andere nehmen es gelassen, lassen sich allerhand Brotersatz einfallen, wollen für fremdes Getreide nichts opfern. Die Tüftler denken sich neue Mischungen aus, die sie wie Brot in die Röhre schieben. Begehrt sind jetzt vor allem längst vergessene Kochbücher. Zucker und Salz gibt es ja nach wie vor. Die Frage lautet, wie backe ich ohne Getreidemehl einen Kuchen?

      Das Hospital muss genauso ohne Brot auskommen wie alle. Das Personal zerbricht sich den Kopf, welche gleichwertige Ernährung den Patienten vorgesetzt werden kann. Den Schulkindern werden keine Pausenbrote mehr mitgegeben, sondern gekochte Kartoffeln, Gemüsebratlinge, Obst. Käse und Wurst pur am Stück. Die Kleinen, denen das Verständnis fehlt, schmeißen ihre Vesper weg und fordern dann zuhause dicke Brote. Das Gemaule in den Familien hört nicht auf. Essensverweigerung