Hans Joachim Gorny

Pandemie des Todes III Teil


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sind von der Getreideseuche betroffen. Beide Gemeinschaften haben auf Zoratoms Überproduktion und Wirtschaftskraft gehofft. Nun konkurrieren sie um das Getreide, das überregional erhältlich ist. Schon Ende des Sommers ist nichts mehr zu bekommen. Aber die Misere spricht sich herum. Auf einmal tauchen Händler auf, die man noch nie gesehen hat, die allerlei Getreide zu unverschämt hohen Preisen anbieten. Getreide, das aus den Tiefen Frankreichs, aus Ostdeutschland und sogar südlich der Alpen stammt. Getreide, das von weit her kommt, schon mehrmals den Besitzer gewechselt hat und deshalb sehr teuer ist. Anstatt es dem Meistbietenden zu überlassen, nehmen es die Händler lieber wieder mit.

      Ralf, der Landwirt mit dem Emmer Feld, stellt Vogelscheuen auf. Wie es ihm gerade einfällt, reitet er manchmal sogar nachts hin, um nach dem Rechten zu sehen. Er glaubt zwar nicht an Diebstahl, aber sicher ist sicher. Nachdem einige Feldhasen es gewagt haben seinen Schatz anzuknabbern, bindet er dort einen Hofhund an. Leider liegt das Feld zu dicht am Dorf. Der einsame Köter jault die ganze Nacht. Zur Beruhigung wird ein zweiter Hund angebunden. Als der Emmer endlich geerntet wird, geschieht das auf eine übertrieben vorsichtige Weise, damit nichts verloren geht. Den Vögeln bleibt nichts, weder den Tauben noch den Saatkrähen. Und die vielen kleinen Vogelarten gehen erst recht leer aus.

      Die Auswirkungen des unfreiwilligen Brotverzichtes merken die Menschen zuerst am veränderten Stuhlgang. Er ist nicht mehr so fest und riecht auch stärker als gewohnt. Die veränderte Ernährung wirkt sich auf die Därme aus, Blähungen nehmen zu, Durchfall auch. Unwohlsein, schlechte Stimmung, verlorene Feierlaune, sind Auswirkungen der abnehmenden Lebensqualität. Das Frühstück wird mit Unlust eingenommen und oft mit Alkohol aufgewertet.

      Im Hebst werden Wintervorräte angelegt wie nie zuvor. Es ist das geschäftigste Spätjahr aller. Nie wurde so sehr auf die Qualität des Heus geachtet, um die Pferde einigermaßen zufrieden zu stellen. An Obst und Gemüse wird eingemacht was geht, die kleinste Kartoffel und die mickrigste Rübe werden geerntet und eingelagert. Es wird doppelt so viel Käse hergestellt als sonst und doppelt so viel Wurst geräuchert. Jede Traube wird geerntet, alles Fallobst zu Schnaps gebrannt, denn Wein und Schnaps aus Zoratom sind begehrt. So begehrt, dass man dafür sogar Weizen bekommt.

      In der folgenden Vollversammlung geben die Erfinderischen ihre Lieblingsrezepte Preis. Zum Beispiel: Welche Teige sich aus Soja, Linsen und Kartoffeln machen lassen. Manche Bürger reden über ihre Körperlichen Veränderungen. Viele leiden unter Kopfschmerzen, weil sie Brot durch Fleisch ersetzt haben. Carlina warnt vor zu vielem Tierischen. Dreiviertel der Ernährung sollte aus Gemüse und Obst bestehen, erklärt sie. Doch richtig satt werden die Leute nur von Fleisch, Wurst, Eiern und Käse.

      An Weihnachten dann die Überraschung. In den meisten Haushalten gibt es Gebäck und Kuchen. Von Mehl, das man sich am Munde abgespart oder teuer erstanden hat. Man lädt nun seine Freunde nicht mehr zu einem leckeren Braten ein, sondern zu Gebäck und Kuchen. Einige bieten üppige Butterbrote an, die die Gäste wahlweise mit Wurst, Käse, Ei oder Marmelade garnieren dürfen. Das sind Festessen. Für zwei Tage sind die Leute guter Stimmung. Danach folgt wieder die ungewollte triste Ernährung. Carlina lehnt alle Einladungen ab. Will niemandem etwas wegessen, schließlich ist sie maßgeblich mitverantwortlich, dass es kein Mehl gibt.

      Im neuen Jahr werden längst verwilderte Terrassen gerodet. Die Wildtierherden weiden zwar alles ab was hoch wachsen will. Aber im Bereich der Grasnarbe ist der Boden furchtbar verwurzelt und verfilzt. Um lockeren Ackerboden zu bekommen, müssen die Landwirte die oberen zwanzig Zentimeter umstechen und zerkleinern. Auf diese neuen Grundstücke fahren sie noch Kuh- und Pferdemist und schaffen so beste Wachstumsbedingungen. Im Frühjahr soll ein neuer Versuch mit Getreide und Mais gestartet werden. Vielleicht steckt die Getreideseuche nur in den alten Böden.

      Im Winter kommt sehr viel Kohl auf den Tisch. Weißkohl, Grünkohl, Blumenkohl, Rosenkohl und Brokkoli. Und viele Hülsenfrüchte. Von jeder Hülsenfrucht gibt es gleich mehrere Sorten. Sie werden zusammen mit Kartoffeln und Fleisch serviert. Oft gibt es nachmittags und abends dasselbe. Fleisch gibt es immer. Rind, Schwein, Schaf, Ziege, Geflügel, Wildschwein, Hirsch, Reh, Wisent, Gämse, Lama, Antilope, Strauß und manchmal sogar Pferdefleisch. Als Nachtisch, eingemachtes Obst. Nudeln aus Linsen werden in Ermangelung richtiger Nudeln immer beliebter. Brotersatz aus Sojamehl auch. Jede Hausfrau probiert ihre eigene Mischung. Salz ist am wichtigsten, und Eier und Milch. Was ein bekömmliches Sojabrot ausmacht, bestimmen diverse Kräuter und oft geheime Zutaten. Ein richtiger Wettkampf entsteht.

      Zu Ostern will Grissly für den besten Brotersatz einen Preis verleihen. Erster Preis, ein Kilo Mehl. Über fünfzig Hausfrauen und Hausmänner melden sich an, der Alte ist total überfordert. Letztlich kommen die Laibe auf eine Liste, werden mit einer Nummer versehen und im Sportheim auf Tischen präsentiert. Die Bevölkerung darf probieren und bis zu drei Punkte in Form von Strichen verleihen. Drei Striche für sehr gute Brote. Was nicht schmeckt soll strichlos bleiben. Es entsteht ein unübersichtliches Gerangel. Richard stellt fest, dass immer wieder die gleichen zum selben Brot gehen und die Strichliste vollkritzeln. Grissly sieht sich gezwungen den Wettbewerb, obwohl alle Brote schon deutlich angeknabbert sind, neu zu beginnen. Er postiert Saalordner, die das Abstimmungsverhalten überwachen. Und den Ablauf regeln. Zudem müssen sie sich merken, wer schon im Sportheim gewesen war. Gerade Kinder benutzen den Wettbewerb auch, um sich satt zu essen. Am Abend ist fast alles aufgegessen und es kommt zum Chaos. Angeblich wurden Strichlisten vertauscht, Nummern verändert. Als die Verwirrung ihr größtes Ausmaß erreicht hat, sammelt Carlina alle Listen ein und geht in die Küche des Sportheims. Dort untersucht sie die Handschriften. Alle Listen die ihr verdächtig erscheinen, lässt sie gleich verschwinden. Von den Restlichen nimmt sie die drei mit den meisten Strichen und geht wieder in die Halle.

      Bei der Preisverleihung kommt es zum Eklat. Das Kilo Mehl soll eine Joana bekommen, eine energische, kräftige und dunkelhaarige Frau, die sich zu wehren weiß. Als sie ihre Hände nach dem Kilo austreckt meint Grissly: „Nun wollen wir aber auch dein Rezept wissen.“

      „Das war so nicht abgemacht“, behauptet sie. „Das ist mein Rezept und geht keinen was an.“

      „Das war aber der Sinn des Wettbewerbs, damit sich alle köstliches Ersatzbrot backen können“, meint der Alte entrüstet.

      „Das hättest du vorher bekannt machen sollen. Ich will doch nicht, dass nun alle mein Brot essen. Wer will das schon.“

      Völlig betreten sucht Grisslys Blick Hilfe bei Carlina. Die Situation ist mehr als ärgerlich. Man kann der Frau schlecht den Preis vorenthalten, das würde sie und ihre Sippschaft gegen den Rat aufbringen. Vielleicht wäre es besser, an ihren Gemeinschaftssinn zu appellieren.

      „Du willst tatsächlich das Rezept für dich behalten?“, tut Carlina erstaunt. „Schau dich doch mal um, wie erwartungsvoll dich alle anstarren. Du kannst ruhig großzügig sein und dein Wissen mit der Gemeinschaft teilen.“

      „Tut mir furchtbar leid“, sagt Joana ungerührt, „aber ich will auch mal etwas, was andere nicht haben.“

      Carlina versucht es nochmal. „Bislang ließ man an seinen Erfindungen alle teilhaben. Du weißt schon, dass wir immer füreinander arbeiten, damit es mit der Menschheit vorwärts geht. Wer Nutzen aus der Gemeinschaft zieht, muss auch liefern.“

      „Sobald es wieder richtiges Brot gibt, verrate ich euch mein Geheimnis für die nächste Krise“, zischt sie, nimmt das Mehl und verlässt den Saal.

      Bald darauf machen sich erste Fehlernährungen und Mangelerscheinungen bemerkbar. Viele Leute fühlen sich unwohl, schlapp, energie- und antriebslos. Gerade die Leute, die oft auf die überflüssigen Faulenzer im Hospital schimpfen, wobei sie nicht die Ärzte sondern die Krankenschwestern- und Pfleger meinen, benötigen zuerst Hilfe. Nicht wenige Bürger nehmen jetzt auch zu. Gewichtsprobleme gab es in der Vergangenheit bislang nicht, denn jeder geht einer körperlichen Tätigkeit nach. Und die Schüler klagen über Konzentrationsmangel. Die Ärzte verabreichen selbst hergestellte Vitamin- und Mineraltabletten, die auch helfen. Leider ist der Vorrat schnell erschöpf, die Herstellung neuer Tabletten ist aufwändig und langwierig. Deshalb bekommen die Patienten eine Ernährungsberatung, doch das Dilemma bleibt. Kim berät sich mit Carlina.

      „Das Volk ist für eine ausgewogene Ernährung zu