Alexandra Bauer

Die Midgard-Saga - Jötunheim


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sah zu Heimdall, der noch immer auf Gulltopp saß. „Glaubst du, du findest Angrboda aus der Luft?“

      Heimdall schüttelte den Kopf. „Das Blattwerk dieser Bäume ist dicht und durch Eisen kann selbst ich nicht sehen.“

      Tyr seufzte. Er sprang von seinem Wagen, stellte sich neben Vinur und streichelte sie sanft am Kopf, während er den Blick in der Ferne gefangen hielt. „Dann ist das Reisen in der Luft ohnehin nutzlos. Ich fürchte, du hast recht, Wal-Freya. Wenn sie in die Finger von Trollen geraten, würden sie sicher an einem Spieß über einem Feuer enden …“

      „Aber könnten nicht gerade Wölfe dabei helfen einen Wolf zu finden?“, wandte Tom ein.

      „Sie würden versuchen, Fenrir zu bekämpfen, und der würde sie mit einem Biss in Stücke reißen.“

      „Wir rasten hier für die Nacht und brechen im Morgengrauen zu Fuß auf“, beschloss Wal-Freya. „Heimdall, auch du solltest heute schlafen. Wenn wir zu Fuß reisen, werden wir deine wachen Augen brauchen.“

      Heimdall nickte einverstanden. „Gulltopp, Vinur und Hugrakkir können Wache halten. Wenn wir morgen aufbrechen, schicken wir sie zurück nach Asgard.“

      Thea warf Tom einen verunsicherten Blick zu. Götter, die sich Sorgen um ihr Leib und Wohl machten, trugen nicht zu ihrer Beruhigung bei.

      Abermals schien Wal-Freya ihre Gedanken zu lesen. „Keine Sorge. Bygul und Trjegul haben nicht den Verstand, sich gegen Trolle zu wehren, und Hugrakkir und Vinur wären wiederum zu mutig, um sich von ihnen fernzuhalten.“

      Wie abgesprochen warteten sie die Nacht ab, ehe sie im Morgengrauen die Quersäcke über ihre Rücken warfen und die Tiere samt der Wagen zurück nach Asgard schickten. Auch Heimdall gab seinem Pferd einen Klaps. Lange sahen sie den Tieren nach, bis diese sich irgendwann am Firmament verloren. Dann liefen sie voran.

      Als hätte ein schwerer Sturm in seinem Gehölz gewütet, zeichnete sich bald der Eisenwald vor ihnen ab. Viele der Bäume waren bis zu ihrer Mitte gespalten, manche Stämme komplett durchgebrochen. Dahinter ragten hohe und mächtige Baumkronen auf. Das Licht des anbrechenden Tages spiegelte sich silbern in ihren dunklen Blättern wider und ließ den Wald funkeln, als wäre er mit Glitter bestreut. Im Innern des Waldes jedoch blieb es dunkel.

      „Da hat aber jemand gewütet“, kommentierte Wal-Freya.

      „Vielleicht ein Riese, der nach Midgard drängte“, brummte Heimdall.

      „Und von Thor zurückgeworfen wurde“, scherzte Tyr.

      Tom stand der Mund offen. „So groß sind die, dass sie diese Bäume knicken können?“

      „Sind doch nur ganz kleine Bäume“, meinte Heimdall.

      „Allenfalls zehn Meter“, bestätigte Tyr.

      Wal-Freya runzelte die Stirn. „Vielleicht auch zwölf“, schätzte sie.

      „Und das bedeutet?“, fragte Tom.

      „Dass das, was auch immer sich da den Weg gebahnt hat, maximal acht Meter groß war, würde ich sagen“, erwiderte Wal-Freya.

      „Acht?“, ächzte Tom.

      „Die wirklich großen Brocken leben tief in Jötunheim, nicht im Eisenwald“, erklärte Tyr. „In einem Wald haben sie keinen Platz.“ Er deutete auf die Verwüstungen. „Und ich bin mir ziemlich sicher, dass es die Bewohner nicht gerne sehen, wenn ihr Wald zertrampelt wird. Der hier war sicher eine Ausnahme.“

      „Ziemlich sicher? Es ist wirklich faszinierend, wie wenig ihr euch in eurer eigenen Welt auskennt“, erwiderte Thea mit leichtem Vorwurf.

      „Thor würde es wissen, er reist oft nach Jötunheim“, erwiderte Tyr achselzuckend.

      „Und Odin“, pflichtete Heimdall offenherzig bei. „Er hat viel Wissen angehäuft.“

      „Und warum ihr nicht? Woher kommt das Desinteresse?“

      „Was will ich in einem Land voll mit Riesen?“, erwiderte Wal-Freya. „Mein Hauptaugenmerk liegt auf den Menschen.“

      „Meines auch“, antwortete Tyr.

      Heimdall hob entschuldigend die Augenbrauen.

      „Sag nichts“, schmunzelte Thea. „Deins auch?“

      „Ja. Und bei Bifröst.“ Er nickte Heimdall zu und lachte.

      „Ist doch auch völlig übertrieben, wenn man sich um alles kümmern müsste“, stimmte Wal-Freya zu und gab Thea einen Knuff. „Du wohnst in Midgard, oder nicht? Kennst du alle Tiere, die in Afrika oder Südamerika leben?“

      „Nein“, antwortete Thea geschlagen. „Aber ich bin ja auch kein Gott!“

      „Wann kam eigentlich dieser Glaube auf, dass Götter immer alles können?“, fragte Heimdall in die Runde, aber er schien keine Antwort zu erwarten, denn schon fügte er an: „Los jetzt! Mein Bifröst wartet auf mich.“ Und schon stiefelte er los.

      Sie liefen bis zu den Wurzeln der abgeknickten Bäume. Dort formierten sie sich. Heimdall führte die Gruppe an. Gleich hinter Tom stellte sich Thea auf, die fest entschlossen war, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen und ihren Freund nicht aus den Augen zu lassen. Neben Thea stellte sich Wal-Freya. Sie erwiderte Theas Lächeln, die dankbar zu ihr aufblickte. Als sie das erste Mal auf die Walküre getroffen war, glaubte sich Thea verflucht. Nun fühlte sie sich gesegnet und war dankbar, dass die Wanin sie an ihrem Abenteuer teilhaben ließ. Wer in Midgard konnte von sich schon behaupten, Götter zum Freund zu haben?

      „Freu dich nicht zu sehr, Thea. Unser Sparziergang wird enden, wenn wir auf Fenrir treffen“, hörte sie Wal-Freya in ihrem Geist.

      Ertappt drehte Thea den Kopf.

      Wal-Freya lächelte. „Es tut mir leid! Ich habe nicht in deinen Gedanken gewühlt. Du hast mich geradezu angerufen. Selbst wenn ich gewollt hätte, hätte ich nicht weghören können. Denke einfach nicht so laut!“

      Thea zog eine unglückliche Grimasse. „Das war keine Absicht!“

      Wal-Freya schmunzelte. „Ich weiß.“ Sie machte eine Pause. „Und ich fühle mich ebenfalls gesegnet von deiner Begleitung.“

      Thea lächelte stolz. In diesem Moment lenkte ein Krächzen ihre Aufmerksamkeit um. Hugin und Munin überflogen die Gruppe, ließen sich auf einem Ast nieder und beobachteten sie.

      „Jetzt kann wirklich nichts mehr schief gehen“, kommentierte Tyr.

      Sie bahnten sich den Weg durch ein Gestrüpp abgebrochener Äste. Wenige Schritte später reckten sich die Bäume mächtig und dunkel zum Himmel auf. Durch das dichte Blätterdach strömte Sonnenlicht in einem weitgefächerten Vorhang aus einzelnen Lichtstrahlen und malte hier und da helle Punkte auf den Boden, die Farn- und Moosgewächse beleuchteten. Fasziniert berührte Thea einen Baumstamm.

      Zwischen den Rindenleisten zeichneten sich silbern schimmernde Adern ab, die das Holz in langen Furchen durchzogen. Die Blätter erinnerten an die einer Erle, jedoch waren sie größer und dunkelgrün – beinahe schwarz. Auch sie wurden von feinen, silbrigen Adern durchzogen. Thea begann zu verstehen, weshalb dieser Wald Eisenwald genannt wurde. Gefesselt von seiner magischen Aura und zugleich abgeschreckt von seiner Fremdartigkeit folgte sie der Gruppe, verlor ihren Blick jedoch irgendwo im blaugrünen Zwielicht.

      Plötzlich löste sich ein Tier aus dem Unterholz. Ein Hase mit dem Schwanz und den Flügeln eines Auerhahns querte mit langen Sprüngen ihren Weg und flüchtete in einen Bau unter einer hohen Wurzel. Thea blickte staunend zu

       Wal-Freya. Diese hob die Augenbrauen und zuckte schmunzelnd mit der Schulter.

      „War das ein Skvader?“, fragte Tyr.

      „Sieht ganz danach aus“, brummte Heimdall.

      „Dieser Wald ist erfüllt von Magie“,