Rita anonym um 1900

Tagebuch eines österreichischen Mädchens um 1901 - Band 129 in der gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski


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auch ihrer Mama nicht ganz trauen, eher noch dem Papa. Aber der hätte ihr, wenn ihr das passiert wäre, das Tagebuch um die Ohren gehauen. Ich habe mir nichts anmerken lassen, aber am Abend habe ich der Mama nur ein ganz kleines Bußerl gegeben. Und sie hat gesagt: Was hast du denn, mein Kleines, ist dir etwas passiert? Und da habe ich mich nicht halten können und habe grässlich geweint und gesagt: Du hast mich schmählich verraten. Und die Mama hat gesagt: „Ich?“ Ja, du; du hast dem Papa das vom Tagebuch gesagt, obwohl du mir versprochen hast, nichts zu sagen. Zuerst erinnerte sich die Mama nicht einmal daran; aber dann erinnerte sie sich gleich und sagte: „Aber, Kindchen, der Papa darf doch alles wissen. Du hast doch nur nicht wollen, dass die Dora etwas erfährt.“ Das ist wohl wahr, das wäre schon gar schön gewesen; aber der Papa hätte es auch nicht wissen brauchen. Und die Mama war furchtbar lieb und nett, und ich ging erst um 10 Uhr ins Bett. Aber sagen werde ich ihr doch auf keinen Fall mehr etwas, und das ganze Tagebuch freut mich nicht mehr. Die Hella sagt: Das ist eine Dummheit; deswegen soll ich nur weiterschreiben; aber ein andermal soll ich nichts verlieren, und dann soll ich nicht gleich immer alles der Mama und dem Papa klatschen. Sie sagt ihrer Mama gar nichts mehr, seit damals im Sommer, wo ihr ihre Mama eine Ohrfeige gegeben hat, weil ihr das fremde Mädchen alles gesagt hat. Es ist wahr, die Hella hat recht, ich bin sehr kindisch, dass ich mit allem gleich zur Mama renne und ihr alles erzähle. Und das ist vom Papa auch nicht schön, dass er mich so aufzieht mit dem Tagebuch; wahrscheinlich hat er selber nie eines gehabt.

      27. März: Juchu, wir fahren zu Ostern nach Hainfeld; ich freue mich riesig. Die Freundin der Mama wohnt dort, und ihr Mann ist dort Doktor, deshalb müssen sie jahraus, jahrein dort wohnen. Voriges Jahr im Winter war sie einmal mit der Ada auf drei Tage bei uns, weil sie augenleidend ist. Die Ada ist zwar beinahe so alt wie die Dora, aber die Dora sagt in ihrer Frechheit: „Nach ihrem geistigen Niwo passt sie entschieden besser zu dir.“ Die Dora glaubt nämlich, so gescheit wie sie, ist kein anderer Mensch. Und zwei Buben haben sie, aber die kenne ich nicht genau, weil sie erst 8 und 9 Jahre sind. Die Freundin der Mama war schon einmal im Irrenhaus, weil sie trübsinnig war, wie ihr kleines Kind mit zwei Jahren gestorben ist. Ich kann mich gut erinnern, das muss vor zwei Jahren gewesen sein, da sagten die Eltern immer, die arme Anna, unter drei Tagen hat sie ihr Kind verloren. Und ich habe geglaubt, wirklich verloren, und habe einmal gefragt, ob sie es schon gefunden haben. Ich glaubte nämlich, im Wald verloren, weil bei Hainfeld so viel Wald ist. Und ich kann seither nicht leiden, wenn jemand sagt verloren statt, er ist gestorben, weil man sich dann nie auskennt, wie es gemeint ist.

      Am 8. April fangen die Osterferien an, und wir fahren am 11., am Gründonnerstag.

      6. April: Ich weiß nicht, wie ich das machen soll mit dem Tagebuchschreiben. Mitnehmen will ich es eigentlich nicht und mir alles merken und dann nachher alles schreiben, das weiß ich, das tue ich dann nicht. Die Hella meint, ich soll mir Schlagwörter, so sagt immer die Frau Dr. M., aufschreiben in Hainfeld und dann wenn ich zurückkomme, alles ordentlich aufschreiben. Sie macht es auch so. Sie fahren nämlich auf die Brionischen Inseln. Ich war noch nie am Meere. Die Hella sagt aber, es ist gar nicht so großartig. Sie war schon viermal. Aber sie ist nicht gar so vernarrt wie alle anderen Leute. Also muss es nicht so wunderbar sein. Und ich denke mir 's auch ziemlich fad.

      12. April: Gestern angekommen. Ada sehr lieb und die zwei Buben furchtbar ordinär. Der Ernstl sagt zur Ada: Ich geb dir ein Paar am A..., wennst nicht augenblicklich mein Revolver hergibst. Die Ada ist schon so groß wie ihre Mama. Sie reden alle etwas bäurisch. Auch der Herr Doktor. Er trinkt furchtbar viel Bier, ich glaube 8 l.

      14. April: Heute Papa nachgekommen. Hat den Herr Doktor riesig gern. Haben sich geküsst. Da hab ich furchtbar lachen müssen. Vormittag waren wir im Wald; aber es sind noch keine Veilchen, nur ganz wenig Schneeglöckchen, aber dafür riesig viel Nießwurz, ganz rote.

      15. April: Gestern um 4 Uhr Auferstehung. Wir waren nicht drinnen in der Kirche, weil die Mama Angst hatte, der Dora wird schlecht vom Weihrauch und vom Stiefelgeruch. Solche Faxen! Es war sehr schön. Heute nachmittags fahren wir in die Ramsau, dort ist es sehr schön.

      16. April: Heute ist der Papa weggefahren. Morgen fahren wir. Zu Pfingsten wird die Ada von der Mama zur Firmung geführt. Da kommen alle zu uns. In der Ramsau bin ich im Sumpf stecken geblieben. Das war wirklich grässlich. Aber der Herr Doktor hat mich herausgehoben. Und dann haben wir furchtbar gelacht, wie meine Schuhe und die Strümpfe ausgeschaut haben. Zum Glück habe ich mich an einem Baumstumpf halten können, sonst wäre ich untergesunken.

      18. April: Die Hella sagt, es war großartig auf den Brionischen Inseln. Sie ist ganz dunkelbraun. Aber das habe ich nicht gern, und drum gehe ich nie in meinem Leben nach dem Süden. Die Hella sagt zwar, wenn man im Winter heiratet, muss man die Hochzeitsreise nach dem Süden machen. Aber ich sehe das gar nicht ein, ich verschiebe es einfach auf den Sommer.

      Die Ada ist erst dreizehn, nicht vierzehn wie die Dora, und der Herr Pfarrer schimpft furchtbar, dass sie noch nicht gefirmt ist. Die Mama führt sie heuer zur Firmung. Wir werden nicht gefirmt, weil die Eltern niemand bitten wollen. Aber ich möchte schon gefirmt werden, denn da muss man eine Uhr kriegen und kann sich zu Weihnachten etwas anderes wünschen.

       21. April: Wir haben wahnsinnig viel zu lernen. Denn der Herr Landesschulinspektor wird bald kommen. Das ist immer sehr unangenehm. Die Mme. A. sagt zwar: die Inspektion gilt den Lehrkräften und nicht den Schülern. Aber trotzdem ist es auch für die Schülerin gräulich. Erstens weil sie sich blamiert und zweitens die Geschichten, die die Lehrkraft dann hinterdrein macht. Die Dora sagt, eine ungünstige Inspektion kann einem die Note um zwei Grade verschlechtern. Da fällt mir gerade ein, dass ich noch gar nicht geschrieben, warum der Oswald zu Ostern nicht da war. Er durfte nämlich, obwohl er durchaus keine guten Noten hat, nach Pola zur Tante Alma fahren, weil der Richard heuer das letzte Mal in die Ferien kommt. Dann fährt er auf drei Jahre mit dem Dampfer Ozean nach dem Orient oder in die Türkei oder nach Persien, das weiß er noch nicht genau. Wenn der Oswald Lust hat, geht er auch zur Marine in zwei Jahren.

      9. Mai: Heute war der Herr Landesschulinspektor da, zuerst in Naturgeschichte, da kam ich, Gott sei Dank nicht dran, und dann in Deutsch; da kann ich dran, beim Lesen und bei der Inhaltsangabe der wandelnden Glocke. Gott sei Dank hab' ich alles können.

      14. Mai: Heute ist der Geburtstag von der Mama. Wir haben absolut keine Zeit gehabt, ihr etwas zu arbeiten, so haben wir eine wunderbare elektrische Lampe für den Nachttisch gekauft, der Knopf ist eine herabhängende Weintraube und der Ständer ist aus Messing. Sie hat eine große Freude gehabt. Gestern war die Frau v. R. da, das ist eine Freundin der Mama und von der Mama der Hella. Bei der Frau v. R. möchte ich sehr gern Klavierstunden haben, sie gibt nämlich welche, seit ihr Mann, der Major war, gestorben ist, obwohl sie reich ist.

      15. Mai: Das wegen der Inspektion muss doch wahr sein; der Prof. Igel-Nickel sagte heute in der Pause zum Herrn Religionsprofessor: Also jetzt kommt er noch die ganze Woche, und dann sind wir für dieses Jahr sicher. Wir, das heißt natürlich die Lehrkräfte. Aber eigentlich können die Lehrkräfte nicht immer etwas dafür, wenn die Schüler nichts können. Der Oswald sagt zwar, ja es ist einzig und allein ihre Schuld. Ich bin auch froh, wenn die Inspektion vorüber ist. Die Lehrkräfte sind ganz anders, wenn der Herr Inspektor da ist, manche sind besser, manche sind strenger und die Mme. A. sagt: Es ist ihr immer ganz schlecht vor Angst.

      29. Mai: Zu Pfingsten war die Frau Dr. Haslinger aus Hainfeld mit der Ada und den zwei Buben da wegen der Firmung. Am Pfingstsonntag ist auch der Herr Dr. gekommen, und abends sind alle wieder gefahren. Die Ada ist sehr schön, aber sie sieht doch bäuerisch aus. Ich lasse mich auf keinen Fall firmen, wir mussten drei Stunden warten, obwohl der Freitag vor Pfingsten ein sehr feiner Tag ist. Die Dora war gar nicht mit; nur die Mama und ich und die Ada und ihre Mama. Alle Bandl-Frauen glaubten, ich sei auch ein Firmling, weil ich auch weiß angezogen war. Das hat die Ada auch ein bisschen gefuchst. Am Samstag waren wir vor- und nachmittags in der Stadt, weil das der Ada lieber war als auf den Kahlenberg; Sonntag vormittags in Schönbrunn und nachmittags fuhren sie schon weg. Die Uhr, die Ada bekommen hat, war sehr schön, und von der Dora und mir extra ein goldenes Halskettchen. Sie hat sich sehr gefreut, nur hatte sie Sonntagnachmittags gräulich Kopfweh. Weil sie den Stadtlärm nicht gewöhnt ist.

      31. Mai: Die Ada weiß auch schon Verschiedenes, aber